# taz.de -- Freihandelsabkommen TTIP: Die Macht der Konzerne
       
       > Ein neues Abkommen zwischen EU und USA soll Konzernen neue Klagerechte
       > geben. Die Industrie könnte so mehr Einfluss auf die Politik bekommen.
       
 (IMG) Bild: Nur fürs Pressefoto an die Öffentlichkeit: Die Verhandlungsführer von USA und EU stimmen sich hinter verschlossenen Türen ab
       
       BERLIN taz | Zwei Atomkraftwerke musste der schwedische Stromkonzern
       Vattenfall wegen des Atomausstiegs abstellen: Brunsbüttel und Krümmel –
       teuer gebaut, aber wegen der geänderten Politik der Regierung nicht bis zum
       vorgesehenen Laufzeitende betrieben.
       
       3,5 Milliarden Euro Entschädigung will Vattenfall deshalb – und verklagte
       2012 die Bundesregierung auf Schadenersatz beim Internationalen Zentrum zur
       Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington. Ausgang
       offen.
       
       Die Klage ist schon die zweite, die Vattenfall gegen den deutschen Staat
       angestrengt hat, weil das Unternehmen seine Investitionen in Gefahr wähnte.
       Bereits 2009 zog Vattenfall vor das ICSID-Schiedsgericht, weil angeblich
       die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg zu strikt seien.
       
       Damals einigten sich Politik und Vattenfall außergerichtlich – und hinter
       verschlossenen Türen. Was man weiß: Die Umweltauflagen wurden gelockert.
       Viel mehr ist von dem Deal nicht bekannt.
       
       ## Schutz für den Investor
       
       Ausländische Konzerne, die Staaten verklagen, sind nichts Neues. Vattenfall
       ist allerdings das erste Unternehmen, das auf diese Weise gegen Deutschland
       vorgeht. Möglich machen solche Investor-Staat-Klagen sogenannten
       Investitionsschutzverträge, die in der Regel Teil internationaler
       Freihandelsabkommen sind. Vattenfall berief sich bei seinen Klagen auf die
       Energiecharta, ein 1994 geschlossenes internationales Abkommen zur
       Liberalisierung des Energiemarkts.
       
       Solche Abkommen garantieren Unternehmen, dass ihre Investitionen in den
       Vertragsländern geschützt sind, etwa vor „Enteignung“ oder „unfairer
       Behandlung“. Was das genau bedeutet, ist Auslegungssache.
       
       ## „Ein scharfes Schwert“
       
       Überschattet vom NSA-Skandal begannen nun im Juli die Verhandlungen
       zwischen den USA und der Europäischen Union über das künftig größte
       Abkommen dieser Art weltweit: die Transatlantische Handels- und
       Investitionspartnerschaft (TTIP, siehe Kasten). „Eine Einigung wäre eine
       sehr, sehr gute Botschaft an die gesamte Weltwirtschaft“, sagte
       EU-Handelskommissar Karl De Gucht zum Gesprächsauftakt. Doch auch das TTIP
       soll Klauseln enthalten, um ausländische Investitionen zu schützen.
       
       Kritiker fürchten, dass Deutschland deshalb öfter von Konzernen vor
       internationale Schiedsgerichte zitiert werden könnte. „Unternehmen nutzen
       diesen Schutz, um gegen unliebsame Regulierung vorzugehen“, sagt Pia
       Eberhardt von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe
       Observatory. Und Peter Fuchs von der NGO Powershift meint: „Der
       Investitionsschutz ist ein scharfes Schwert in der Hand von Unternehmen.“
       
       Andere Länder haben schon mehr Erfahrungen mit Investor-Staat-Klagen. Der
       Tabakkonzern Philip Morris geht wegen Warnhinweisen auf
       Zigarettenschachteln gegen Australien und Uruguay vor. Und der kanadische
       Konzern Lone Pine verklagt über eine US-Niederlassung seine eigene
       Regierung, weil die Provinz Quebec ein Fracking-Moratorium erlassen hat.
       
       ## Mehrere tausend Abkommen
       
       Ska Keller, Mitglied der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament,
       befürchtet, dass mithilfe des TTIPs künftig europäische Staaten etwa wegen
       Umweltauflagen, Gesundheits- oder sozialen Standards verklagt werden
       könnten. Schon die Aussicht auf einen solchen Rechtsstreit könne
       Gesetzesvorhaben stoppen.
       
       Der Investitionsschutz wurde ursprünglich vereinbart, um das Engagement von
       Unternehmen in Entwicklungsländern zu fördern. Firmen sollten vor
       internationalen Schiedsgerichten klagen können, wenn sie etwa in Staaten
       enteignet werden, die keine unabhängige Justiz haben. Mehrere tausend
       solcher Abkommen gibt es weltweit, zu den bekanntesten zählen die
       amerikanischen Verträge Nafta oder Mercosur.
       
       Laut Unctad, der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, gab es bis
       Ende 2012 insgesamt 514 öffentlich bekannte
       Investor-Staat-Schiedsverfahren, die tatsächliche Zahl dürfte weit höher
       liegen (siehe Interview). Im Jahr 2012 wurden mindestens 58 neue Klagen
       eingereicht, vor zehn Jahren waren es halb so viele. 31 Prozent aller bei
       Unctad gelisteten Streitfälle wurden zugunsten des Investors entschieden,
       42 Prozent zugunsten des Staats; in 27 Prozent der Fälle gab es eine
       Einigung.
       
       ## Das Recht zu regulieren
       
       „Das System ist mutiert und zu einer Allzweckwaffe von Unternehmen in
       politischen Auseinandersetzungen geworden“, sagt Eberhardt. NGOs und Grüne
       wie Keller fordern deshalb, die Klagemöglichkeit für Investoren im
       Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU ganz zu streichen. Auch
       weil der transatlantische Wirtschaftsraum mit seiner enormen Handelsmacht
       Vorbild für weitere Freihandelsabkommen sein dürfte.
       
       Auch das Bundeswirtschaftsministerium kritisiert:
       „Investor-Staat-Schiedsverfahren sollten nur nach Ausschöpfung des
       Rechtswegs vor nationalen Gerichten eingeleitet werden können“, so ein
       Sprecher.
       
       Wie genau der Investitionsschutz im Freihandelsabkommen zwischen der EU und
       den USA aussehen soll, ist bislang unbekannt. Die Verhandlungen finden
       unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wie lange sie dauern werden, ist
       offen.
       
       Die EU-Kommission sah sich bereits genötigt, auf Kritik zu reagieren: Auf
       ihrer Webseite heißt es, der Investitionsschutz im TTIP werde so gestaltet,
       dass das „Recht der Staaten zu regulieren Vorrang vor den Interessen der
       Investoren hat“.
       
       23 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maike Brzoska
       
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