# taz.de -- Debatte TTIP-Freihandelsabkommen: Sinnlose Chlorhuhnjagd
       
       > Die Kritiker mobilisieren gegen das Freihandelsabkommen mit den USA – und
       > beschwören falsche Gefahren herauf. Lobbyisten können sich freuen.
       
 (IMG) Bild: Angst vor amerikanischem Hühnchen? Das ist doch albern
       
       Die Schlagworte sind bestens geeignet, um wütende Massen zu mobilisieren:
       Chlorhühnchen, Hormonfleisch, Genfood. Das klingt ekelig und soll ekelig
       klingen. Selbst Bundesbürger, die sich sonst nicht für Politik
       interessieren, haben vom „Chlorhühnchen“ gehört, das angeblich auf
       deutschen Tellern landen soll, wenn die EU und die USA ein
       Freihandelsabkommen abschließen, das auf den Namen TTIP hört.
       
       In der Politik ist es wichtig, Begriffe zu besetzen, was der
       Anti-TTIP-Bewegung grandios gelungen ist. Es gibt nur ein Problem: Das
       Chlorhühnchen wird nicht kommen. Es steht gar nicht auf der
       Verhandlungsagenda.
       
       Für Europa werden die TTIP-Verhandlungen vom Handelskommissar Karel De
       Gucht geführt, der kein Interview auslässt, um zu versichern: „Ich werde
       keine europäischen Gesetze ändern, um eine Unterschrift unter das Abkommen
       zu bekommen.“
       
       Man kann De Gucht ruhig glauben, denn blöd ist die EU-Kommission nicht. Sie
       weiß genau, dass das TTIP-Abkommen im europäischen Parlament nicht
       ratifiziert würde, wenn sich damit Stichworte wie „Chlorhühnchen“ oder
       „Hormonfleisch“ assoziieren ließen.
       
       Die Kritiker sollten daher ernst nehmen, dass De Gucht permanent
       verspricht, dass „kein europäischer Schutzstandard aufgrund dieses
       Freihandelsabkommens aufgegeben wird: Das gilt sowohl für Nahrungsmittel
       und Sozialstandards als auch für den Datenschutz. Ich werde dafür sorgen,
       dass TTIP nicht zu einem Dumping-Abkommen wird.“
       
       ## In der Sackgasse
       
       Die Anti-TTIP-Bewegung manövriert sich in eine Sackgasse, wenn sie
       weiterhin mit Schlagworten wie „Chlorhühnchen“ oder „Hormonfleisch“
       mobilisiert. Diese Begriffe sind zwar publikumswirksam, können sich aber
       als Bumerang erweisen. Die EU-Kommission muss sich nur mit den Amerikanern
       einigen, dass sie den Status quo wahren, und schon ist es spielend einfach,
       die Kritiker vorzuführen und mundtot zu machen.
       
       Einige NGOs haben diese Gefahr bereits erkannt. Dazu gehört Corporate
       Europe Observatory in Brüssel. Die Anti-Lobby-Vereinigung schreibt auf
       ihrer Homepage: „Es kann sehr gut sein, dass der endgültige TTIP-Text keine
       unmittelbaren Zugeständnisse in Bezug auf das Gesundheitswesen oder
       Umweltrichtlinien enthält.“
       
       Die Aktivisten rechnen damit, dass sich Amerikaner und Europäer zunächst
       nur auf Standards einigen, die wenig Verhandlungsaufwand erfordern, weil
       sie sowieso ähnlich geregelt sind. Ein Beispiel könnten die hinteren
       Autoblinker sein. In den USA sind sie rot, während sie in der EU orange
       leuchten müssen. Da wäre ein Kompromiss leicht möglich – und auch kein
       Drama.
       
       ## Ein Eldorado für Lobbyisten
       
       Dennoch gibt Corporate Europe Observatory keine Entwarnung, im Gegenteil.
       Doch statt sich auf so konkrete Objekte wie Chlorhühnchen zu konzentrieren,
       macht die NGO eine prinzipielle Bedrohung aus: Sie warnt vor den
       Verfahrensweisen, auf die sich Amerikaner und Europäer verständigen
       könnten, um sich langfristig weiter anzunähern. Das Problem wäre also die
       Zukunft, nicht die Gegenwart.
       
       TTIP soll nämlich als „living agreement“ gestaltet werden. Das Abkommen
       würde vorsehen, dass bei jeder neuen Gesetzesinitiative sehr frühzeitig
       geprüft werden muss, ob sie einen „wesentlichen“ Einfluss auf den
       transatlantischen Handel hätte. Derartige Klauseln würden es den
       europäischen und amerikanischen Unternehmen erlauben, ihr Lobbying extrem
       auszuweiten, weil sie auf beiden Kontinenten ständig einbezogen werden
       müssten. Ob beim Umwelt- oder Verbraucherschutz: Immer müssten die Firmen
       gefragt werden. Doch für diese langfristige Bedrohung hat die
       Anti-TTIP-Bewegung noch keinen Begriff gefunden, der die Massen
       mobilisiert.
       
       Diese Sprachlosigkeit ist gefährlich, denn die Verfahrensfragen dürften das
       Einzige sein, was von TTIP übrig bleibt, wenn man von so unstrittigen
       Themen wie Autoblinkern absieht. Der Rest des Abkommens ist bereits tot,
       denn auch CSU-Politiker wie Josef Göppel fragen: „Warum brauchen wir dieses
       Abkommen überhaupt?“ Bei TTIP haben sich seltene Allianzen gebildet: Nicht
       nur Attac kämpft dagegen, sondern auch der Bauernverband.
       
       Zudem blicken nicht nur die Europäer misstrauisch über den Atlantik – die
       US-Bürger tun es umgekehrt auch. So halten es die Amerikaner für möglich,
       dass sie mit BSE verseucht werden, falls sie europäisches Rindfleisch
       einführen. Auch finden sie es erschreckend, wie schnell Medikamente in
       Europa zugelassen werden. Es befremdet sie zudem, wie mild die Auflagen für
       Tabakkonzerne ausfallen.
       
       ## Der Investorenschutz ist tot
       
       Sobald es konkret wird, sind sich Amerikaner und Europäer transatlantisch
       einig: TTIP, nein danke! Genau deswegen werden die Lobbyisten in Brüssel
       und Washington versuchen, formale Verfahren durchzusetzen, die zunächst
       harmlos aussehen, aber größten Einfluss sichern.
       
       Wie gefährlich formale Regelungen sein können, hat sich bei einem anderen
       Thema gezeigt: bei den Investorenschutzklauseln. In den 1990er Jahren waren
       sie groß in Mode; pro Woche wurden weltweit vier dieser Verträge
       abgeschlossen, so dass es inzwischen mehr als 3.200 gibt. Dieser
       Investorenschutz sah ebenfalls harmlos aus, erweist sich aber als
       Zeitbombe.
       
       In Deutschland wurde vor allem ein Fall berühmt: Der schwedische Konzern
       Vattenfall klagt gegen die Bundesrepublik und verlangt 3,7 Milliarden Euro
       Schadenersatz, weil die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel vorzeitig
       abgeschaltet wurden.
       
       Für Vattenfall mag sich diese Klage lohnen, aber seither ist der
       Investorenschutz politisch tot. Der öffentliche Druck wurde so groß, dass
       De Gucht versprochen hat, den Investorenschutz bei TTIP vorerst
       auszuklammern – und eine Debatte in Europa anzustoßen. So sieht die
       Beerdigung eines Themas aus.
       
       Doch ist dies kein Grund aufzuatmen. Ohne den Investorenschutz werden die
       Lobbyisten versuchen, andere Instrumente durchzusetzen, die ihren Einfluss
       maximieren. Deswegen ist es so wichtig, nicht über Chlorhühnchen zu reden –
       sondern über das „living agreement“.
       
       27 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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