# taz.de -- Kommentar Rot-Rot-Grün in Thüringen: Chance und Risiko
       
       > Die erste rot-rot-grüne Landesregierung bedeutet weder den Weltuntergang
       > noch die Weltrevolution. Umwälzen wird sie allenfalls die Linkspartei.
       
 (IMG) Bild: Bodo Ramelow freut sich seines neuen Amtes. Dass er das Land auf den Kopf stellt, ist aber unwahrscheinlich
       
       Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen ist ein Akt politischer Akrobatik.
       Dreierbündnisse sind in der Bundesrepublik, in der man Experimente scheut,
       ohnehin die Ausnahme. Ein Dreierbündnis, das nur über die zarte Mehrheit
       von einer Stimme verfügt, ist ein seltenes Phänomen. Eins, das von der
       Linkspartei geführt wird, erst recht.
       
       Es ist erstaunlich, dass es diese Regierung überhaupt gibt – auch
       angesichts der hyperventilierten Versuche, sie als die Wiederkehr der DDR
       zu denunzieren. Dass manche DDR-Oppositionelle skeptisch auf einen
       Linkspartei-Ministerpräsidenten schauen, ist verständlich, dass Opfer des
       SED-Regimes protestieren, erst recht.
       
       Doch die Verve, mit der Ramelow als verkappter Kommunist beschimpft wurde,
       der Übergriff auf das Büro einer Linkspartei-Abgeordneten, das war kein
       ziviler Bürgerprotest. Die Bewegung gegen die halluzinierte Rückkehr des
       Totalitarismus hat selbst etwas Ressentimenthaftes.
       
       Selten hatten großkalibrige politische Symbolik und leichtgewichtige reale
       Politik so wenig miteinander zu tun. Dort die Wiederaufführung des
       Weltbürgerkrieges des letzten Jahrhunderts, hier die Gebietsreform zwischen
       Eisenach und Gera. Ist dies also ein normaler Regierungswechsel in einem
       kleineren Bundesland, in dem die CDU nach 25 Jahren einen Ermüdungsbruch
       erlitten hat? Oder haben wir es mit mehr, mit einer Zäsur in der
       Parteiengeschichte zu tun?
       
       ## Erfurt wird kein Modell
       
       Diese Regierung wird die Befürchtungen der Hysteriker ebenso enttäuschen
       wie allzu hochfahrende Erwartungen. Wer Landes- auf Bundespolitik
       hochrechnet, kalkuliert falsch. First we take Erfurt, then we take Berlin?
       Das ist Unfug. Ramelow & Co haben in Thüringen genug damit zu tun, zu
       regieren oder wenigstens ordentlich zu verwalten.
       
       Erfurt wird also kein Modell. Wenn diese Regierung über die Landesgrenzen
       hinaus Strahlkraft entwickelt, dann vor allem für die Linkspartei selbst.
       Ramelow könnte der Kretschmann der Genossen werden: einer, der pragmatisch
       regiert und dem im Zweifel das Land näher ist als die Partei.
       
       Die Sektierer in der Linkspartei sind daher zu Recht alarmiert. Diese
       Regierungsbeteiligung ist ein Schritt in Richtung etablierte, normale
       Partei. Damit wird die Legende, dass man das ganz Andere verkörpert, als
       das sichtbar, was sie ist: eine Illusion.
       
       Die Linkspartei, die großteils eine etwas spießigere Sozialdemokratie ist,
       ist längst fest in der bundesdeutschen Demokratie vertäut. Dass sie jetzt
       einen Ministerpräsident stellt, ist in der Tat ein Symbol: nicht für ein
       Zombie-Revival der SED. Sondern dafür, dass es für die Genossen Zeit wird,
       aufzuhören, Robin Hood zu spielen.
       
       ## Alle unter einen Hut
       
       Für die Linkspartei ist diese Regierung also die Probe aufs Exempel – in
       vielerlei Hinsicht. Sie muss beweisen, dass sie regieren kann. Das geht
       nur, wenn sie über genug Sensoren für die facettenreichen Milieus der
       östlichen Gesellschaft verfügt.
       
       Dieses Bündnis wird nur halten, wenn es gelingt, den sozialdemokratischen
       Pastor und den mittelständischen Unternehmer, verstockte DDR-Nostalgiker in
       Plattenbauten und das urbane grüne Bürgertum unter einen Hut zu bekommen.
       Das wird, zumal mit einem Verwaltungsapparat, der noch fest in der Hand der
       CDU ist, nicht einfach.
       
       Ob es gelingt, hängt viel von der Person Ramelows ab, dem Motor dieser
       Koalition. Der Regierungschef muss Moderator dieser fragilen Konstruktion
       sein. Und nicht mehr. Spielt er den Zampano, wird das rot-rot-grüne Mikado
       schneller zusammenbrechen, als es entstanden ist.
       
       Für die Linkspartei ist all das Chance – und Risiko. Bislang hat sie in
       rot-roten Regierungen regelmäßig ein Drittel ihrer Wähler verloren. Die
       Genossen haben das in der Vergangenheit stets mit der undankbaren Rolle als
       kleinerer Koalitionspartner erklärt. Damit ist es vorbei. Ob die
       Linkspartei im Osten nur eine Protestpartei ist oder ob sie tatsächlich als
       etablierte Reformpartei taugt – das muss sich jetzt in Erfurt zeigen.
       
       5 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
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