# taz.de -- Nach dem Syriza-Sieg in Griechenland: Die virile Regierung
       
       > Das griechische Männerkabinett, die Rückkehr der Putzfrauen und die
       > Annäherung an russische Antifeministen sind ein grober Fehler in der
       > Symbolpolitik.
       
 (IMG) Bild: Finde die Frauen.
       
       Zu Griechenland äußern sich ja viele, die keine Ahnung haben. Ich zum
       Beispiel. Abgesehen von einem Strandurlaub auf Korfu war ich noch nie dort.
       Mit Griechenlands Politik beschäftige ich mich seit der Wahl. Wie viele
       meiner Freunde habe ich mich über den Sieg von Syriza gefreut und war dann
       erschrocken über die Wahl des Koalitionspartners Anel (Unabhängige
       Griechen).
       
       „Ihre Haltung zu Kirche, Familie, Patriotismus und ihre
       Verschwörungstheorien könnten einem nicht ferner liegen“ – so zitierte zum
       Beispiel Margarita Tsomou ([1][taz vom 2. 2.]) den Tenor ihrer
       Gesprächspartner, verteidigte aber die Aufnahme der Rechtspopulisten in die
       Regierung als „realpolitische Taktik“.
       
       Unterdessen verfestigt sich in Deutschlands Medien ein Schreckensbild vom
       drohenden Untergang Europas, das sich aus Alarmismus, Ahnungslosigkeit und
       antigriechischen Ressentiments speist. [2][taz-Kolumnist Robert Misik
       schreibt]: „Der Höhepunkt des medialen Geifers war das Spiegel-Cover vom
       Wochenende ’Der Geisterfahrer – Europas Albtraum Alexis Tsipras‘, der eine
       Titelgeschichte umhüllte, wie ich sie jedenfalls noch nie in einem
       Qualitätsmagazin gelesen habe.“
       
       Schlüssig belegen Misik wie Tsomou, dass Sturmgeschütze der Demagogie gegen
       „die Griechen“ ein „besonders deutsches Phänomen“ sind. Vor diesem
       Hintergrund ist es eine Wohltat, „Jenseits des Merkelismus“ zu lesen, den
       Text der frisch aus Athen zurückgekehrten Margarita Tsomou.
       
       ## Fehler in der Symbolpolitik
       
       Die Autorin ist Herausgeberin des Missy Magazins und „in Deutschland
       lebende Griechin“, unterscheidet sich also in wesentlichen Punkten von der
       Mehrzahl der Kommentierenden: biologische Frau, Feministin, Griechin.
       Tsomou weist auf einen Skandal hin, der im Griechen-Bashing von Bild bis
       Spiegel so gar keine Rolle spielt: die Abwesenheit von Frauen im neuen
       Kabinett.
       
       Nach der schnellen Regierungsbildung produzierten Tsipras & Co. im
       Minutentakt Nachrichten von (nicht nur symbol-) politischer Tragweite: Am
       Montag besucht der neue Premier den „Altar der Freiheit“ bei Athen. Hier
       ermordeten deutsche Besatzungstruppen Hunderte von Widerstandskämpfern. Am
       selben Tag verkündet er Privatisierungsstopp und Mindestlohn. Abends meldet
       das Radio: Über 500 Putzfrauen werden nach ihrer Entlassung aus dem
       öffentlichen Dienst wieder eingestellt.
       
       Was für ein Bild: Bewaffnet mit Gummihandschuhen und Besen kehren (!) die
       Frauen zurück in die Amtsstuben. Moment mal: Wirklich nur Putzfrauen?
       Gibt’s in Hellas keine Putzmänner? Umgekehrt sieht es mit den
       Nicht-Putzfrauen aus. Im Kabinett von Tsipras sitzt keine einzige Frau.
       „Skandalös“, schreibt Margarita Tsomou. Clara Serra von der spanischen
       Linkspartei Podemos erklärt: „Für uns ist das eine rote Linie, die nicht
       überschritten werden darf.“
       
       Ein grober Fehler in Syrizas Symbolpolitik also? Blinder Fleck?
       Bedauerliches Versehen? Oder ist die Berufung einer reinen Männerriege doch
       ein symbolpolitischer Schachzug? Im Sinne von: Wir machen diesen
       neumodisch-westlichen Genderwahn nicht mit? Wir lassen uns aus Europa keine
       Geschlechter-Quoten diktieren, schon gar nicht von einer Frau Merkel. Das
       soll nicht heißen, dass die Entscheidung gegen Frauen im Kabinett
       intentional in Richtung Merkel und EU gefällt wurde, sehr wohl aber, dass
       so ein Schritt Signalcharakter hat.
       
       ## Hochgekrempelte Ärmel
       
       Für seine Geschichte vom „Wutgriechen“ und „Geisterfahrer“ Tsipras hat der
       Spiegel ein interessantes Titelbild gefunden. Da posiert „Europas Albtraum“
       so, wie seit der Weltmeisterschaft die Fußballer, wenn die
       Mannschaftsaufstellung eingeblendet wird: im Halbprofil mit verschränkten
       Armen, den Blick auf ultraentschlossen gestellt, was Tsipras deutlich
       überzeugender hinbekommt als, sagen wir, Mesut Özil. Das hellblaue Hemd
       trägt er offen, ohne Krawatte, die hochgekrempelten Ärmel geben den Blick
       frei auf schwarzbehaarte Unterarme.
       
       Mit so einem möchte man sich nicht anlegen. Mit so einem kann sich
       Griechenland mit der EU anlegen. Tsipras und sein Männerbund – das ist auch
       ein Zeichen der Ermutigung an Griechenlands Männer, die sich, schuld ist
       nur Angela Merkel, in ihrer Männlichkeit verletzt fühlen. Die ihren Job
       verloren haben, ihre Familie nicht mehr ernähren können, nicht mehr ihren
       Mann stehen können in einer patriarchal geprägten Gesellschaft.
       
       Von „diminished masculinity“ spricht die jamaikanische Autorin Carolyn
       Cooper und sieht in dieser eingeschränkten Maskulinität die Ursache für den
       übersteigerten Machismo und die daraus resultierende Homophobie und
       Misogynie im Dancehall-Reggae und HipHop afrikanisch-amerikanischer
       Prägung. Heterosexuelle Potenz und Zeugungskraft kompensieren ökonomische
       Schwäche.
       
       Zur virilen Performance der Syriza-Regierung steuert der Koalitionspartner
       von Anel einen bizarren Auftritt bei: Panos Kammenos, neuer
       Verteidigungsminister, fliegt nach seiner Ernennung zwecks Kranzabwurf mit
       einem Hubschrauber über die unbewohnte Imia-Insel, um die es 1996 beinahe
       Krieg zwischen Griechenland und der Türkei gegeben hatte. Der Stunt bringt
       schöne Fotos, Kammenos über den Wolken – und einen Kampfjet-Einsatz von
       beiden Seiten.
       
       Zum Repertoire der Anel-Politiker gehören frauenverachtende,
       schwulenfeindliche und antisemitische Sprüche. Angesichts der anstehenden
       Probleme könnte man sagen: file under Nebenwidersprüche. Wären da nicht
       noch andere Querfronten. Der angebliche oder tatsächliche (ich kann das
       nicht beurteilen) Schulterschluss von Syriza mit Russland. Auch Putin liebt
       die hypermaskuline Selbstinszenierung, wie sein Männerfreund Gerhard
       Schröder macht er sich nichts aus geschlechterpolitischem Gedöns und
       unterbindet Diskussionen am liebsten mit: Basta!
       
       ## „Antifeminismus als Scharnier“
       
       Allerdings geht es hier nicht um private Idiosynkrasien eines Autokraten.
       In Russland sind Antifeminismus und Homophobie Schlüsselelemente einer
       antiwestlichen Staatsdoktrin. Und Identifikationssonderangebote an
       Modernisierungsverlierer, die sich angesichts komplexer Verhältnisse in
       alte Identitätsgewissheiten flüchten. Nicht nur in Russland. In seiner
       Studie „Keimzelle der Nation“ analysiert der Soziologe Andreas Kemper, „wie
       sich in Europa Parteien und Bewegungen für konservative Familienwerte,
       gegen Toleranz und Vielfalt und gegen eine progressive Geschlechterpolitik
       radikalisieren“.
       
       Dabei stößt er auf erstaunliche Koalitionen. So beraten in Wien im
       vergangenen Sommer Nationalisten und christliche Fundamentalisten aus
       Russland mit Vertretern der FPÖ darüber, wie man der „satanischen
       Schwulenlobby“ Einhalt gebieten könnte. Mit von der Partie: Marion
       Maréchal-Le Pen, jüngste Hoffnungsträgerin des Front National, und
       Alexander Dugin, Mitbegründer der Nationalbolschewistischen Partei,
       Lichtgestalt der Eurasischen Bewegung und Putinfreund.
       
       Der rechtsradikale Antimodernist Dugin hat gute Beziehungen zu Anel und den
       Neonazis von der „Goldenen Morgenröte“. Und er soll Kontakte zu Nikos
       Kotzias pflegen – Griechenlands neuem Außenminister. „Antifeminismus als
       Scharnier zwischen extremer Rechter, Konservatismus und bürgerlichem
       Mainstream“, diagnostiziert das Lotta-Magazin. Entsteht da eine Querfront
       gegen die Queerfront?
       
       Syriza hat gezeigt, dass eine andere Politik möglich ist. Dass es
       Alternativen gibt zum Mantra des Neoliberalismus: „There is no alternative“
       (Thatcher), „alternativlos“ (Merkel). Gerade weil sie solche Hoffnungen
       geweckt haben, sollten Tsipras & Co. sich unter keinen Umständen auf eine
       antifeministische, homophobe Querfront einlassen. Tender To All Gender,
       Geschlechtergerechtigkeit, das sind Essentials, keine Nebenwidersprüche. In
       dieser Konstellation ist die Entscheidung für ein reines Männerkabinett in
       der Tat: skandalös.
       
       5 Feb 2015
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Griechenland-nach-der-Wahl/!153908/
 (DIR) [2] http://misik.at/2015/02/syriza-bashing-ein-versuch-den-deutschen-irrsinn-zu-verstehen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Walter
       
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