# taz.de -- Synagogen-Neubau in Hamburg: Platz für die Vielfalt
       
       > Bis zur Schoah lebten die meisten Hamburger Jüd*innen im Grindelviertel.
       > Dort soll wieder eine Synagoge entstehen – aber wie genau soll sie
       > aussehen?
       
 (IMG) Bild: Wo Hamburgs größte Synagoge stand: Gedenkaktion „Grindel leuchtet“ am 9. 11. 2018
       
       Hamburg taz | Es war wie eine kurze Unterbrechung [1][all der
       Wahlkampfrituale]: Fünf von sechs Fraktionen – alle in der Hamburgischen
       Bürgerschaft vertretenen Parteien außer der AfD – traten [2][Ende Januar
       zusammen] vor die Presse. Dazu kam noch der Vorsitzende von [3][Hamburgs
       Jüdischer Gemeinde], Philipp Stricharz. Nicht irgendwo stellten sie diese
       Einigkeit aus, sondern in der Aula der jüdischen Schule im Hamburger
       Grindelviertel nahe der Universität.
       
       Mit gutem Grund: Gleich nebenan, auf dem Platz, der früher einmal Bornplatz
       hieß, stand bis 1939 die größte, die selbstbewussteste Synagoge
       Norddeutschlands. [4][Und genau dort soll wieder eine entstehen], und das
       vielleicht schon in fünf Jahren. Es geht um „die Sichtbarkeit des jüdischen
       Lebens in Hamburg“, so steht es [5][im gemeinsamen Antrag der fünf
       Parteien]. „Ich glaube, es ist die Pflicht des deutschen Staates und auch
       der Freien und Hansestadt Hamburg, das zu ermöglichen“, sagt Anjes Tajrks,
       Fraktionschef der Grünen und einer der Väter des ganzen Projekts.
       
       Nicht dass es in Hamburg keine Synagoge gäbe. „Wir fühlen uns da durchaus
       wohl“, sagt auch der Gemeindevorsitzende Stricharz. Aber [6][das Gebäude
       aus dem Jahr 1960], in einer Nebenstraße im Stadtteil Eimsbüttel gelegen,
       sende eben auch „ein Signal von Verstecktheit, von Abgeschottetheit“. Das
       soll anders werden durch eine neue Synagoge am alten Platz – da, wo „das
       Herz des jüdischen Hamburg schlägt“, wie es Ruben Herzberg einmal gesagt
       hat, ein ehemaliger Vorsitzender der Gemeinde.
       
       Stricharz sprach bei dem Termin einmal mehr von einer „Sehnsucht“ seiner
       Gemeindemitglieder: danach, die alte Wunde verheilt zu sehen. Das Areal
       „wieder jüdisch zu machen“, so Stricharz schon [7][vor Längerem zur taz] –
       das wäre aber schon auch „ein später Sieg“. Denn „brisant“ sei, „wie damals
       mit dem Platz und der Synagoge umgegangen wurde, also nach der Schoah,
       durch den wieder demokratisch gewählten Senat“. Da habe etwa der Beamte,
       der 1939 den zwangsweisen Verkauf der Synagoge besorgte, nach 1945 die
       Verhandlungen zur Entschädigung geführt, so Stricharz – „dieselbe Person“.
       
       ## Ein selbstbewusster Bau
       
       Eröffnet wurde die alte Synagoge auf dem Bornplatz im Jahr 1906: ein
       selbstbewusster Bau, 40 Meter hoch, entworfen im neoromanischen Stil von
       dem Architekten Semmy Engel und dem Hamburger Regierungsbaumeister Ernst
       Friedheim. Platz bot sie für bis zu 1.200 Menschen – dass es in einem
       Neubau so viele nicht wieder sein werden, darüber besteht weitgehend
       Konsens. Die Jüdische Gemeinde hat derzeit um die 3.000 Mitglieder.
       
       Es gibt in der Debatte einflussreiche Stimmen, die dafür sprechen, sich
       architektonisch an den damaligen Entwürfen zu orientieren. So ist der
       Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs dafür, dass [8][„die
       Außenhülle originalgetreu rekonstruiert wird“]. Kahrs ist
       haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und hat mit dafür
       gesorgt, dass im November 600.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie zum
       Wiederaufbau bereitgestellt wurden. Deren Ergebnis soll Ende 2020
       vorliegen. Es ist auch die Rede davon gewesen, dass weitere öffentliche
       Zuschüsse für einen neuen Bau schwieriger zu beschaffen wären als für eine
       Wiederherstellung.
       
       Die reichsweiten Pogrome am und nach dem 9. November 1938 hatte die
       Bornplatzsynagoge schwer beschädigt überstanden. Einen Winter ohne Schutz
       später musste die damalige Israelitische Gemeinde dann abreißen lassen, was
       noch stand. Den Grundriss immerhin macht seit 1988 ein Kunstwerk
       nachvollziehbar, [9][das „Synagogenmonument“ von Margit Kahl]: in Form von
       polierten Granitsteinen, die in den Platz eingelassen sind.
       
       Was damals dort stand, sei ein Zeichen auch dafür gewesen, dass die
       Jüd*innen in der Kaufmannsstadt „etwas erreicht hatten“, sagt Marion
       Kollbach, Journalistin und Filmemacherin, die heute wieder in der
       Nachbarschaft lebt; in dem Viertel, aus dem ihre Familie einst vertrieben
       wurde, wenn nicht ermordet. „Man musste sich nicht mehr verstecken im
       Hinterhof.“
       
       Kollbach, aktiv auch [10][im Jüdischen Salon ganz in der Nähe], ist absolut
       für Bewegung auf dem prominenten Platz – findet es aber „falsch, die alte
       Synagoge wieder aufzubauen“. Ein solcher Bau, zumal in Deutschland, müsse
       „Erinnerung speichern“, sagt Kollbach. „Und das kann er nicht, wenn er so
       tut, als wäre nichts gewesen.“ Sie verweist auf zeitgenössische
       Neubauprojekte, etwa das Gebäude der jüdischen Gemeinde am Jakobsplatz in
       der Münchener Innenstadt: „Es gibt ein vielfältigeres, ein modernes
       Judentum, und dafür muss eine neue Synagoge auch Ausdruck sein.“
       
       Noch weiter geht Miriam Rürup, selbst aufgewachsen „in einer typischen
       nachkriegsdeutschen Einheitsgemeinde“, Historikerin und Direktorin des
       [11][Instituts für die Geschichte der deutschen Juden] in Hamburg: „Mein
       Eindruck ist, dass sich diese einhellige Begeisterung für den Wiederaufbau
       – und hier denke ich eher an die nichtjüdische Seite – auch so gelesen
       werden könnte, dass man sich als geläuterte Gesellschaft sieht, die
       ausreichend der Opfer gedacht habe; als ob sich dort anknüpfen ließe, wo
       man vor 1933 aufgehört hat.“
       
       ## Der leere Platz
       
       Stricharz hat solche Bedenken als „abgehoben“ bezeichnet, „zynisch“ nannte
       sie gar der World Jewish Council, der nach eigenen Angaben jüdische
       Gemeinschaften in 100 Ländern vertritt: „Stimmen, die fordern, dass der
       Bornplatz leer bleiben müsse, um zu zeigen, was der Jüdischen Gemeinde
       angetan wurde, erteilen wir eine klare Absage“, [12][erklärte die
       Organisation im Dezember].
       
       Leer ist er aber gar nicht, der Bornplatz: In die Mitte stellte das
       NS-Regime einen kleinen Hochbunker, den heute die Universität nutzt, deren
       Campus nebenan beginnt. „Das Gelände ist städtebaulich hochgradig
       schwierig“, hat der Grünen-Abgeordnete Tjarks im November gesagt. Und: „Die
       Probleme sind mannigfaltig und nicht einfach wegzudiskutieren“, neben dem
       Geld geht es etwa um Fragen des Denkmalschutzes.
       
       Selbst wenn es, wie von Stricharz und anderen favorisiert, ein Bau in der
       alten Anmutung wird: Was soll eigentlich genau drinnen passieren? Die
       Nutzung müsse „ausdrücken, was die Gemeinde heute ist“, sagt Michael
       Heimann, der ihrem reformierten Zweig angehört – nämlich eine, „in der
       viele Strömungen des Judentums Heimat suchen“. Und an alldem noch gar nicht
       beteiligt ist bislang Hamburgs [13][jüngere Liberale Jüdische Gemeinde],
       die nicht einmal von allen Beteiligten anerkannt wird.
       
       Es sei nicht so, dass auf dem Platz nichts passieren dürfe, findet die
       Historikerin Rürup. Aber: „Wenn wir den Platz neu denken wollen, müssen wir
       das tun mit den verschiedenen Zeitschichten.“ Wer aber eine orthodoxe
       Synagoge aus der Kaiserzeit wieder errichte – und sei es nur als Hülle –,
       der werde ja gerade der Vielfalt heutigen Judentums nicht gerecht: Dazu
       gehört „ja nicht nur das Religiöse, dazu gehört auch das Kulturelle, das
       Weltliche oder auch einfach das Bürgerliche. Und da hat die Stadt [14][eine
       große Chance].“
       
       18 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!t5015647/
 (DIR) [2] /Hamburgs-Parlament-ungewohnt-einig/!5657166/
 (DIR) [3] https://www.jghh.org/de/gemeinde
 (DIR) [4] /Neue-alte-Synagoge/!5640874/
 (DIR) [5] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/69644/wiederaufbau_der_bornplatzsynagoge.pdf
 (DIR) [6] https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Grundsteinlegung-der-juedischen-Gemeinde,synagoge104.html
 (DIR) [7] /Synagogen-Initative-in-Hamburg/!5637335/
 (DIR) [8] https://kahrs.hamburg/pressemitteilung-johannes-kahrs-spd-und-ruediger-kruse-cdu-setzen-sich-erfolgreich-fuer-die-synagoge-am-bornplatz-ein/
 (DIR) [9] https://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/artists/kahl.htm
 (DIR) [10] https://www.salonamgrindel.de/
 (DIR) [11] http://www.igdj-hh.de/profil.html
 (DIR) [12] https://www.presseportal.de/pm/137488/4462932
 (DIR) [13] http://davidstern.de/
 (DIR) [14] /200-Jahre-Reformjudentum/!5464453
       
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