# taz.de -- Klimaschutz in Hamburg jetzt ernsthaft: Wie die SPD die Zukunft vergeigte
> Wirtschaft, SPD und CDU in Hamburg jammern über das vom Volk beschlossene
> scharfe Klimaschutzgesetz. Dabei hätte es nicht so weit kommen müssen.
(IMG) Bild: Peter Tschentscher (r, SPD und Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen) müssen jetzt liefern, Hamburg, 13.10.2025
Hamburg taz | Hamburg ist am Montagmorgen unversehens in der Zukunft
aufgewacht. Unverbindliche, schöne Worte zum Klimaschutz sind Schnee von
gestern. Ab jetzt wird nachgerechnet, nachgesteuert und, ja, auch mal was
verboten – so lange, bis der Kurs in Richtung Klimaneutralität stimmt. So
hat es das Volk am Sonntag mit dem „Zukunftsentscheid“ beschlossen. [1][53
Prozent der abgegebenen Stimmen lauteten auf Ja – bei einer
Abstimmungsbeteiligung von knapp 44 Prozent.] In einem Monat wird der
„Zukunftsentscheid“ Gesetz.
Wie konnte es so weit kommen? Wie kann eine Initiative ein Gesetz dieser
Tragweite durchbringen, gegen eine übergroße Mehrheit im Parlament, gegen
die geballte Kampagnenkraft der Unternehmen? Vor allem die regierende SPD
muss sich vorwerfen lassen, dass sie das Thema gewaltig unterschätzt hat.
Und das ist einigermaßen unerklärlich.
## Der Unterschied zu Berlin
Vielleicht haben die Genoss:innen sich darauf verlassen, dass der
Entscheid für schärfere Klimaziele das nötige Quorum von einem Fünftel der
Wahlberechtigten verfehlen würde, [2][wie 2023 in Berlin]. Schließlich hat
der Klimaschutz seitdem nicht unbedingt an Sympathien gewonnen.
Allerdings war das Ziel [3][in Berlin auch, bis 2030 klimaneutral zu
werden], also von damals gesehen innerhalb von sieben Jahren. Und das mag
auch manch überzeugtem Klimaschützer derart utopisch erschienen sein, dass
er sich dafür nicht an die Urne bequemt hat.
Auch der Blick in die Vergangenheit hätte Hamburgs SPD alarmieren müssen:
Seit der Einführung hat der Hamburger Senat sechs von acht
Volksabstimmungen verloren. Die Hamburger:innen lieben es, ihrer
Regierung den Marsch zu blasen.
Außerdem fanden jetzt in Hamburg – anders als vor zwei Jahren in Berlin –
zwei Volksentscheide gleichzeitig statt. Jener zum Grundeinkommen
appellierte zum Teil an ähnliche Milieus wie der Zukunftsentscheid.
Wahrscheinlich haben sie einander bei der Mobilisierung geholfen.
## Finanzsenator wird zum Running Gag
Und auf der Gegenseite? Hamburgs rot-grüner Senat war uneinig und hatte
sich darauf verständigt, sich in der Kampagne nicht zu exponieren. Als
erster hat es Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) nicht mehr ausgehalten
und in den letzten Wochen vor der Abstimmung praktisch täglich vor der
verheerenden Folgen des Zukunftsentscheids gewarnt, auch und gerade für
sein Ressort. Dass er dabei immer betonte, eben nicht als Senator zu
sprechen, sondern als einfacher Bürger, hat seiner Glaubwürdigkeit nicht
aufgeholfen. Die Rede vom „Bürger Dressel“ ist in den vergangenen Wochen zu
einer Art Running Gag in der Stadt geworden.
Am Ende waren es sechs SPD-Senator:innen, die umschichtig die Gegenkampagne
befeuerten – aber viel zu spät. Als die letzten von ihnen aufsprangen,
waren schon über 100.000 Briefwahlstimmen im Kasten. Und ein, zwei Wochen
sind auch für die kampferprobte SPD wenig Zeit, um ein paar zigtausend
Gegenstimmen zu mobilisieren.
In diesem Fall haben 35.000 gefehlt – sportlich, aber nicht unmöglich. Aber
nur, wenn die Führung die Parteibasis auf ihrer Seite wüsste. Und das war
bei diesem Thema nicht gewiss. Wobei ja lange auch gar nicht deutlich
wurde, was die Führung wollte.
## SPD bremst, Grüne dürfen nicht unterstützen
Die große Leerstelle war der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD),
der sonst gern robust seinen Führungsanspruch erhebt. Beim
Zukunftsentscheid ist er derart abgetaucht, dass man sich aus seinen
übrigen Grundüberzeugungen zusammenreimen musste, was er wohl davon halten
mag.
Seine grüne Stellvertreterin Katharina Fegebank, inzwischen
Umweltsenatorin, hingegen hatte [4][zuletzt im taz Salon] keinen Hehl
daraus gemacht, dass allein die Koalitionsräson sie daran hinderte, den
Zukunftsentscheid zu unterstützen – wie es viele Parteifreunde und
Abgeordnete auch taten. Sie vergoss reichlich Krokodilstränen in Richtung
der Initiative und betonte ein ums andere Mal, wie sehr sie bedaure, sich
nicht mit ihr geeinigt zu haben.
Deren Vertreterin Lou Töllner konterte eiskalt mit Geplauder aus dem
Nähkästchen: Die Koalition habe ein „völlig unzureichendes“ Angebot erst
wenige Tage vor Ablauf der Anmeldefrist zum Volksentscheid auf den Tisch
gelegt – und eine Einigung damit schon rein zeitlich verunmöglicht.
Man darf davon ausgehen, dass das nicht auf die Kappe der Grünen geht,
sondern die SPD der Bremser war – auch das schon ein strategischer Fehler,
wie sich nun gezeigt hat. Dabei wäre es sicher möglich gewesen, die Spitzen
aus dem Gesetzentwurf herauszuverhandeln, wie es Rot-Grün in den
vergangenen Jahren oft erfolgreich getan hat. Denn am Ende ist so einer von
viel ehrenamtlichem Kraftaufwand getragenen Volksinitiative häufig der
Spatz in der Hand lieber als die Fotovoltaikanlage auf dem Dach.
## In Schleswig-Holstein ist selbst die CDU weiter
Die SPD hätte den Grünen natürlich auch einfach schon im Koalitionsvertrag
einen Schritt weiter entgegenkommen können: Null-Emissionen bis 2040,
[5][so wie es im benachbarten Schleswig-Holstein sogar die CDU mit den
Grünen beschlossen hat]. Und wie es auch die über den Volksentscheid laut
jammernde Handelskammer längst anstrebt. Damit hätte man der
Volksinitiative die Punchline geklaut. Diese ganzen angeblich furchtbar
bürokratischen Detailbestimmungen über Monitoring und Zwangsmaßnahmen wären
sicher nicht so sexy gewesen wie der Claim „wir machen’s fünf Jahre
schneller“. Vielleicht wäre es nie zum Volksentscheid gekommen.
Aber dazu müssten Hamburgs Sozialdemokraten gönnen können – und das ist
ihre Stärke nun mal nicht.
13 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
(DIR) Jan Kahlcke
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