# taz.de -- Kältebus fordert mehr Hilfsangebote: „Auch dieses Jahr sind schon Menschen gestorben“
       
       > Jedes Jahr rettet der Berliner Kältebus Obdachlose vor dem Gefriertod.
       > Dass Ehrenamtler:innen dies übernehmen, sei Politikversagen, so eine
       > Helferin.
       
 (IMG) Bild: Gina Weber versorgt obdachlose Menschen mit warmem Tee
       
       taz: Frau Weber, Sie sind beim [1][Kältebus] aktiv, einem Angebot, das im
       Winter obdachlose Menschen aufsucht, die in der Kälte ausharren müssen.
       Berlin ist eine reiche Stadt. Wie kann es überhaupt sein, dass hier
       Menschen erfrieren müssen? 
       
       Gina Weber: Gute Frage. Für mich wäre die einzige Antwort, dass dem Thema
       auf politischer Ebene eine höhere Priorität eingeräumt werden müsste. Auch
       der Kältebus wird bisher nur durch Spenden finanziert. Dadurch liegt vieles
       auf den Schultern von ehrenamtlich Engagierten. Spendenfinanzierte Projekte
       versuchen abzufangen, was offensichtlich anders nicht gelöst wird.
       
       taz: Die Mission des Kältebusses ist es, wohnungslose Menschen in Berlin
       vor dem Erfrieren zu bewahren. Konnte diese Mission 2025 erfüllt werden? 
       
       Weber: Nein. Auch dieses Jahr sind schon Menschen gestorben. Ich weiß
       konkret von einer Person, die auf der Straße verstorben ist, kurz bevor wir
       sie mit dem Kältebus erreicht haben. Da sieht man ganz drastisch, dass es
       nicht genug ist, was wir tun. Obwohl wir alles machen, was wir können.
       
       taz: Seit wie vielen Jahren kümmern Sie sich schon um diejenigen, die von
       der Politik ignoriert werden? 
       
       Gina Weber: Ich bin seit ungefähr sechs Jahren ehren- und hauptamtlich in
       der Obdachlosenhilfe aktiv. Ich habe damals nach einem Ehrenamt neben dem
       Studium und meinem Job gesucht. Ich wollte einfach was Sinnvolles tun. Um
       die Ecke von mir war eine Obdachlosen-Notübernachtung, da habe ich das
       Arbeitsfeld besser kennengelernt. Später habe ich in dem Feld auch meinen
       beruflichen Schwerpunkt gesetzt. Über die Arbeit in der Notübernachtung
       habe ich den Kältebus kennengelernt. Da bin ich noch als Ehrenamtliche
       hereingerutscht.
       
       taz: Wie oft sind Sie mit dem Kältebus unterwegs? 
       
       Weber: Ich habe aktuell einen Teilzeitjob in der Sozialarbeit und mache
       nebenbei im Schnitt zwei Schichten pro Woche für den Kältebus.
       
       taz: Sie fahren jährlich auch an Weihnachten raus. Sind die Geschichten,
       die man an diesem Tag mitbekommt, besonders traurig?
       
       Weber: Einerseits sind die Aufgaben an Heiligabend wie jeden anderen Abend
       auch. Andererseits ist es schon ein besonderer Tag. Wir haben kleine
       Geschenke dabei, mit warmen Klamotten oder Süßigkeiten, die wir gespendet
       bekommen. Wenn die Personen das möchten, verteilen wir diese als kleine
       Aufmerksamkeit. Die Leute erzählen uns dann auch schöne Geschichten: mit
       wem sie den Tag verbracht haben und wo sie schon eines der Angebote
       wahrnehmen konnten, die zu Weihnachten speziell ins Leben gerufen werden,
       wie besondere Essensausgaben oder Weihnachtsfeiern.
       
       taz: Also ist die Stimmung an Weihnachten eher positiv? 
       
       Weber: Es gibt natürlich viele traurige Geschichten. Ich habe das Gefühl,
       dass die Leute an den Tagen vor Weihnachten merken, dass sie Weihnachten
       nicht mehr so feiern können wie früher. Dass Familienangehörige und
       Freund:innen fehlen, dass da diese große Distanz zu anderen Menschen ist.
       
       taz: In Berlin war mal davon die Rede, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu
       beenden. Inzwischen geht der Senat vom Gegenteil aus. Offizielle Prognosen
       rechnen mit einer Verdopplung der Wohnungslosenzahlen, bis 2029 soll der
       Bedarf für die Notunterkünfte auf mehr als 85.000 wachsen. Wie blicken Sie
       auf diese Entwicklung in Bezug auf Obdachlosigkeit? 
       
       Weber: Das Ziel, Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen, wird ja immer
       wieder proklamiert. Jede:r, der:die in dem Bereich arbeitet oder
       ehrenamtlich aktiv ist, weiß, dass das utopisch ist und nicht erreicht
       werden kann. Die Zahl der Leute, die Unterstützung brauchen, wächst enorm.
       Die Zahl der Aufträge im Kältebus nimmt jedes Jahr zu. Es wird auch immer
       schwieriger, die Leute ins Hilfesystem zu vermitteln. Nicht nur, weil die
       Zahl der Hilfesuchenden steigt, sondern auch, weil es einfach nicht
       genügend öffentlich finanzierte Angebote gibt oder diese nicht
       zielgruppengerecht sind.
       
       taz: Was müsste getan werden? 
       
       Weber: Es braucht schlicht und ergreifend ein breiter aufgestelltes
       Hilfesystem: eines mit mehr Plätzen und eines, das niedrigschwelliger
       erreichbar ist. Es müssen mehr Menschen Zugang zu Hilfsangeboten bekommen,
       die mehr Unterstützung oder Zeit benötigen, um Vertrauen aufzubauen. Es
       gibt auch zu wenig spezifische Angebote für zum Beispiel queere Personen,
       Frauen mit Gewalterfahrungen, Jugendliche, Menschen mit psychischen
       Erkrankungen oder körperlichen Einschränkungen wie Rollstuhlfahrende
       
       taz: Sie fahren den Kältebus, sind aber auch Beifahrerin und im Callcenter
       aktiv. Welche Unterschiede gibt es da? 
       
       Weber: Callcenter, Fahren und Beifahren sind die drei Posten, die es beim
       Kältebus gibt. Als Fahrerin geht es primär ums Autofahren. Im Callcenter
       nehmen wir die Anrufe der Passant:innen, der Selbstmelder:innen, der
       Krankenhäuser und Notübernachtungen an und schreiben daraus Aufträge. Als
       Beifahrer:in ist man primär mit den Betroffenen auf der Straße in
       Kontakt. Es geht aber auch viel um die Planung, in welcher Reihenfolge wir
       Einsätze annehmen und in welche Notübernachtung wir die Leute fahren. Wir
       bekommen den ganzen Abend über neue Aufträge rein und dann schaut man, was
       logistisch Sinn macht. Wir rufen die Anrufenden vielleicht zurück, rufen in
       den Krankenhäusern an oder fragen in der Notübernachtung nach Plätzen.
       
       taz: Erreichen Sie im Callcenter auch schwierige Anrufe? 
       
       Weber: Ja. Wenn mich Passant:innen anrufen und sagen, hier liegt jemand
       auf der Straße und stört uns als Nachbarschaft. Da werden wir mit
       Erwartungshaltungen von Nachbar:innen konfrontiert, die Leute einfach
       nur loswerden wollen. Hier gehen wir gar nicht drauf ein. Die Person hat ja
       ein Recht, dort zu sein. Wenn jemand nicht freiwillig von uns mitgenommen
       werden möchte, können wir die Person lediglich vor Ort versorgen und so
       ausstatten, dass sie möglichst sicher die Nacht dort bleiben kann. Manche
       Anrufende sind auch extrem frustriert und wütend über Situationen, mit
       denen sie überfordert sind – die wir als Kältebus aber nicht verändern
       können.
       
       taz: Gibt es auch Anrufe von Betroffenen, die Sie überfordern? 
       
       Weber: Schwierig ist, wenn wir angerufen werden für Leute, die sehr gerne
       Hilfsangebote annehmen möchten, aber aus verschiedenen Gründen keine
       Angebote zur Verfügung stehen. Wenn wir zum Beispiel angerufen werden, weil
       ein Rollstuhlfahrer in die Notübernachtung gebracht werden möchte, aber wir
       finden keine barrierearme Notübernachtung in Berlin. Das bringt uns auf
       einem ganz anderen Level an die Grenzen und nimmt einen am meisten mit.
       
       taz: Wenn Sie alles Revue passieren lassen: Macht Sie Ihre Arbeit eher
       stolz oder wütend? 
       
       Weber: Eher wütend. In meinen Augen sollte das Ehrenamt niemals Ersatz für
       öffentlich finanzierte Hilfeleistungen sein, sondern eine sinnvolle
       Ergänzung. Ich finde, es ist keine tragbare Situation, dass
       gesellschaftlich relevante und in manchen Nächten lebensnotwendige Aufgaben
       von Ehrenamt und Spenden getragen werden.
       
       24 Dec 2025
       
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