# taz.de -- Von Frankreich lernen: Büros mit Herz gesucht
       
       > In Frankreich öffnen Büros bereits ihre Türen für Wohnungslose. Könnte
       > das auch ein Weg aus der Wohnungskrise in Deutschland sein?
       
 (IMG) Bild: Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett. „Büros mit Herz“ sollen laut SPD-NRW ihre Türen nachts für Wohnungslose öffnen
       
       Mit einem Modell aus Frankreich will die NRW-SPD der angespannte
       Wohnungssituation in NRW begegnen. „Bureaux du cœur“, die „Büros mit bzw.
       des Herz(ens)“, könnten nach Auffassung der SPD-Landtagsfraktion auch in
       [1][Nordrhein-Westfalen] ihre Türen nachts und am Wochenende für erwachsene
       Wohnungslose öffnen. Einen Antrag für ein solches Pilotprojekt haben
       kürzlich die Sozialdemokraten in den NRW-Landtag eingebracht.
       
       Beim „Büro des Herzens“ vermittelt ein Verein aus dem westfranzösischen
       Nantes zusammen mit lokalen Partnern [2][Wohnungslose und Obdachlose] an
       Unternehmen aus dem mittlerweile stark angewachsenen Netzwerk. Innerhalb
       weniger Jahre sei die Zahl der Firmen, die mitmachten beim Projekt, von
       fünf auf 350 gestiegen.
       
       Für drei bis sechs Monate bieten ausgewählte Unternehmen kostenfrei und
       ohne andere Gegenleistung vom Verein in ihren Büroräumen volljährigen,
       alleinstehenden Wohnungslosen eine temporäre Unterkunft. Dabei dürfen die
       Interessenten an keiner [3][Sucht-Problematik] oder anderen schweren
       gesundheitlichen Problemen leiden und dürfen keine Haustiere mitnehmen.
       Viele Menschen, die auf der Straße leben, werden somit wohl nie in den
       Genuss kommen, in den Büros schlafen zu dürfen.
       
       Zudem ist das Ziel, die Menschen wieder zügig in eine feste Bleibe und in
       Arbeit zu bringen. Daher müssen sie an einer Eingliederungsmaßnahme
       teilnehmen oder eine Ausbildung beginnen. Der Verein hilft dabei; er bietet
       nach eigenen Angaben auch soziale Beratung, Hilfe bei der Wohnungssuche
       oder bei der Erstellung von Entschuldungsplänen an. Alles ist vertraglich
       festgehalten. Austausch gibt es auch regelmäßig zwischen den Akteure, um
       über den Fortschritt zu sprechen.
       
       ## Gute Erfolgsquote
       
       Sicherheit, Stabilität, Austausch und ein Mindestmaß an Privatsphäre würden
       durch die Unterbringung in den Büros gewährleistet werden, argumentiert die
       [4][SPD]. Ab und an käme es auch zu Kontakten zu den Bürobeschäftigten,
       wenn diese länger blieben. Das sei auch förderlich und schaffe mitunter
       neue Netzwerke für die Wohnungslosen. In einigen Firmen dürften die
       Wohnungslosen sogar Bewerbungen an den Firmen-Computern schreiben, duschen
       und die Küche mitbenutzen. In den seltensten Fällen komme es zu Problemen.
       Die wohnungslosen Mensch seien dankbar um die Chance und würden daher nicht
       negativ auffallen wollen.
       
       Die Erfolgsquote sei gut, liest man auf der Webseite des Vereins. Knapp 90
       Prozent der Teilnehmer hätten demnach einen Job und eine Unterkunft nach
       den wenigen Monaten in den Büroräumen.
       
       In NRW ist die Wirtschaft aber noch nicht soweit, scheint es, das Modell zu
       adaptieren. „Aktuell sehe ich für einen solchen Vorstoß in den meisten
       Unternehmen wenig Möglichkeiten und viele offene rechtliche und
       organisatorische Fragen“, heißt es auf Anfrage vom Unternehmerverband NRW.
       Lokale Unternehmensverbände und die NRW-IHK wollten sich zu dem Thema erst
       gar nicht äußern, ergab eine kleine Umfrage.
       
       „All diese gut gemeinten Vorschläge sind eine Ablenkung vom eigentlichen
       Problem“, sagt Hubert Ostendorf von der Düsseldorfer Obdachlosenhilfe
       fiftyfifty zu dem Model aus Frankreich. Er fordert, „normale Wohnungen für
       normale Menschen. Keine Provisorien – nicht in Büros, nicht über Tiny
       Houses, auch wenn sie gut gemeint sind.“
       
       Geht es jedoch nach der SPD, sollen die „Büro des Herzens“ zusammen mit
       anderen Maßnahmen wie mehr Sozialwohnungen, mehr Frauenhausplätze und einen
       besseren Mieterschutz die grassierende Wohnungskrise in NRW zumindest
       mildern.
       
       ## Immer mehr Wohnungslose in NRW
       
       Rund 120.000 Menschen an Rhein und Ruhr waren im vergangenen Jahr
       wohnungslos gemeldet – ein Anstieg um 12,5 Prozent zu 2023. Zugleich ist
       der SPD zufolge der Bestand an mietpreisgebundenen Wohnungen seit Jahren
       kontinuierlich gesunken. Jeweils nur gut 6700 neue geförderte Wohnungen
       seien in den beiden zurückliegenden Jahren gebaut worden.
       
       Betroffen von der Wohnungskrise sind besonders Frauen. Mittlerweile mache
       deren Anteil unter den Wohnungslosen in NRW 40 Prozent aus. Diese Frauen
       seien dann häufig zwangsweise auf prekäre Wohnsituationen angewiesen oder
       sähen sich bei der Suche nach einer Unterkunft sexuellen Übergriffen
       ausgesetzt, so die SPD.
       
       Viele [5][Frauenhäuser] und Schutzunterkünfte seien zudem überbelegt. 2023
       hätten drei von vier Hilfesuchenden dort keinen Schutz gefunden. Selbst
       nach Gewaltschutz sei der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum oft verbaut. Mit
       der Folge, dass die Frauen entweder dauerhaft wohnungslos blieben oder
       sogar in alte Gewaltbeziehungen zurückkehrten, um wieder ein Dach über dem
       Kopf zu haben.
       
       Im [6][Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Obdach- und
       Wohnungslosigkeit bis 2030] werden daher junge Menschen und Frauen als
       besondere Bedarfsgruppe genannt. Dem Bericht zufolge hat mehr als jede
       dritte wohnungslose Frau seit Beginn ihrer Wohnungslosigkeit sexuelle
       Übergriffe erlebt.
       
       Bis 2030 soll in Deutschland kein Mensch mehr ohne Wohnung sein. Das hat
       noch die damalige Ampel-Bundesregierung im Nationalen Aktionsplan gegen
       Wohnungslosigkeit 2024 festgehalten. Viele Experten bezweifeln, ob das Ziel
       angesichts der neuen Regierung erreicht wird.
       
       26 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nordrhein-Westfalen/!t5008120
 (DIR) [2] /Kaeltebus-fordert-mehr-Hilfsangebote/!6139735
 (DIR) [3] /Obdachlosigkeit-und-Aufbruch/!5931604
 (DIR) [4] /SPD/!t5008456
 (DIR) [5] /Frauenhaeuser/!t5046583
 (DIR) [6] /Bekaempfung-von-Wohnungslosigkeit/!6123640
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) David Bieber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Obdachlosigkeit
 (DIR) Wohnungslosigkeit
 (DIR) NRW-SPD
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Reden wir darüber
 (DIR) Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
 (DIR) Kältehilfe
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kältebus fordert mehr Hilfsangebote: „Auch dieses Jahr sind schon Menschen gestorben“
       
       Jedes Jahr rettet der Berliner Kältebus Obdachlose vor dem Gefriertod. Dass
       Ehrenamtler:innen dies übernehmen, sei Politikversagen, so eine Helferin.
       
 (DIR) Wohnungsnotfallhilfe in Berlin: Nicht schönzutrinken
       
       Zum Ende der Kältehilfesaison zeigt sich, dass die Wohnungsnotfallhilfe
       überlastet ist. Der Bedarf steigt währenddessen stetig.
       
 (DIR) Obdachlosigkeit und Aufbruch: Mein Leben auf der Straße
       
       Unser Autor ist auf der Straße groß geworden, der Berliner Hermannplatz war
       sein Wohnzimmer. Eine Geschichte von Gewalt, Drogen und Zusammenhalt.
       Nominiert für den Theodor-Wolff-Preis 2024