# taz.de -- Die Wahrheit: Lebenslänglich Bayer: Scheinheilige Nacht
       
       > Lebenslänglich Bayer: Allgegenwärtig vor Weihnachten ist in Bayern die
       > Versdichtung „Heilige Nacht“ des immer noch populären Antisemiten Ludwig
       > Thoma.
       
       Beim Rösslwirt sind sie ebenso wenig untergekommen wie im Lamplwirt, beim
       Bräu und im Gasthof zur Post hat man auch kein Zimmer für sie gehabt. Auch
       der Schimmelwirt hat sie weitergeschickt und im Goldenen Horn haben sie
       erst gar nicht gefragt, weil es ihnen da eh zu teuer gewesen wäre. Saukalt
       war es noch dazu damals im tief verschneiten Palästina, was den Weg von
       Josef und seiner schwangeren Frau Maria nach Bethlehem nicht gerade
       einfacher gemacht hat. So steht es in der „Heiligen Nacht“, einem
       beispiellosen Schmarrn, den der bayerische Evangelist Ludwig Thoma 1917 in
       Versform und Dialekt zu Papier gebracht hat.
       
       Der unsägliche Text ist in der Vorweihnachtszeit beinahe omnipräsent in
       Altbayern. Wer das Pech hat, zu einem volksmusikalischen Adventssingen
       eingeladen zu werden, der wird gewiss mit den Zwischengesängen des Versepos
       belästigt. „Im Wald is so staad / Alle Weg san vawaht / Alle Weg san
       vaschniebn / Is koa Steigl net bliebn.“ Generationen von Bayern kämpfen ihr
       Leben lang oft vergeblich gegen diesen Ohrwurm.
       
       Wer Pech hat, bekommt von der vorweihnachtlich verstrahlten Verwandtschaft
       zur Einstimmung auf das Fest Eintrittskarten zur Heiligen-Nacht-Show von
       Enrico de Paruta. Der Mann, der dem Bayerischen Rundfunk jahrzehntelang als
       Sprecher seine sonore Stimme geschenkt hat, trägt Thomas Kitschorgie seit
       weit über einem Vierteljahrhundert Jahr für Jahr zur Adventszeit vor
       ausverkauften Auditorien in München, Ingolstadt oder Regensburg vor. Und
       Jahr für Jahr fließen literweise Tränen der Rührung, wenn Paruta zitiert:
       „So hat die Nacht / Den Heiland bracht / Zu dieser Stund. / Ehre sei Gott
       in der Höh’ / Und Frieden den Menschen herunt!“
       
       Es ist ja auch wirklich zum Heulen, dass Ludwig Thoma als Heimatdichter
       immer noch so verehrt wird, als wäre nie bekannt geworden, welch finstere,
       antisemitische Hetztiraden der bayerische Nationaldichter für den
       Miesbacher Anzeiger verfasst hat. Hatespeech der widerlichsten Sorte ist
       das gewesen. Und doch wimmelt es in Oberbayern immer noch nur so von
       „Ludwig-Thoma-Straßen“. Mangels Alternative bleibt Eltern oft nichts
       anderes übrig, als ihre Kinder auf eine nach Thoma benannte Schule zu
       schicken.
       
       Umbenennungsinitiativen sind selten erfolgreich, auch wenn die Gutachten zu
       Thomas Judenhass nicht eindeutiger sein könnten. Viel zu viele Bayern
       wollen sich ihren Ludwig Thoma, über dessen „Lausbubengeschichten“ sie
       vielleicht als Jugendliche gelacht haben, einfach nicht nehmen lassen. Als
       in München diskutiert wurde, ob eine nach Thoma benannte Straße noch
       tragbar ist, soll Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter in gut
       eingeübtem populistischen Reflex eine Umbenennung mit den Worten „Solange
       ich OB bin, passiert das nicht“ abgelehnt haben. Der Applaus der
       zahlreichen Thomajünger in der Landeshauptstadt war ihm sicher. Gute Nacht!
       
       19 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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