# taz.de -- Ein Bayer in Berlin: Hochdeutsch mit rollendem R
> Unser Autor gilt als Experte für bayerische Grundnahrungsmittel. Und das
> nur, weil er sich anders als andere anhört. „Passt scho!?“ – „Schauma
> moi!“
(IMG) Bild: Zünftig abgetanzt!
Natürlich lacht wieder jemand. Eigentlich lachen alle. Bis auf einen. Der
eine bin ich, und ich habe mich schon daran gewöhnt, dass über mich gelacht
wird. „Ich bin Köpenicker.“ Wenn ich das in meiner neuen Heimat sage,
lachen die anderen. Dabei bin ich schon seit über 20 Jahren Köpenicker. Da
ist nur diese Sache mit meinem Akzent. Man hört mir an, dass ich nicht
immer Köpenicker war. Früher war ich mal Münchner. Ein sehr bayerischer
Münchner bin ich gewesen. Einer, der bairischer gesprochen hat als die
meisten Münchnerinnen und Münchner. Da ist wohl einiges mehr als mein
rollendes R hängengeblieben.
Ich bin damals aus einem Bayern nach Berlin gekommen, das sich in einer Art
bajuwarischen Wahns befunden hat, der die Alternativkultur dominiert hat.
Die Leute haben über [1][Gerhard Polt] gelacht, und auch Zugezogene konnten
Biermösl Blosn relativ unfallfrei aussprechen. Wer gegen die atomare
Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf demonstriert hat, wurde von der
Bühne gnadenlos angebaiert – von Kabarettisten und politischen
Volksmusikanten.
Dass mit der Alternativfolklore der Grundstein gelegt wurde für all die
volksfestkompatiblen Folkoloreschlager und den Alpenrock als Saufbegleitung
zum Mitstampfen und -schunkeln, konnte damals nicht ahnen, wer in der alten
Lederhose seines Vaters und im T-Shirt mit Protestmotto zur Demo gekommen
ist. Das Gute an Bayern trug damals gerne Hirschleder und sprach Dialekt.
Das andere Bayern, das der CSU, trug Anzug mit Eichenlaub, grüne Filzhüte
und sprach Hochdeutsch mit rollendem R.
Jenes R, das bis heute in Berlin bisweilen für Lacher sorgt, wenn es meinem
Mund entweicht. Das Lachen stört mich heute nicht mehr. Zu Beginn meines
Berliner Lebens war das durchaus anders. Da hat es mich verstört. Ich saß
in einem Seminar in der Humboldt-Universität, in dem es um die
DDR-Geschichte im Spiegel der Belletristik gegangen ist. Als ich einmal
etwas gesagt habe, was ich gewiss für klug gehalten habe, brach Heiterkeit
im Seminarraum aus. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich verstanden habe,
dass da über meinen Akzent gelacht worden ist.
## Dialekt spreche ich nicht in Berlin
Mehr kann es nicht gewesen sein als der Akzent. Ich möchte ja verstanden
werden. Dialekt spreche ich nicht in Berlin. Vielleicht kommt mir ab und zu
ein bairischer Ausdruck über die Lippen, ein „Passt scho!“ oder ein „Radl“,
aber viel mehr ist das nicht. Nur manchmal verfalle wirklich ich in
Dialekt.
Wenn mich mein Gegenüber besonders heftig anberlinert, dann kann es schon
mal sein, dass ich sprachlich jede Zurückhaltung verliere und einfach
zurückbaiere. Nicht um ein Zeichen zu setzen, nein, es passiert, weil ich
mich besonders wohlfühle, wenn jemand Dialekt spricht.
Der Leiter des Seminars damals an der Uni, der Historiker Stefan Wolle, hat
übrigens gewaltig berlinert. Vielleicht habe ich mich einfach zu
wohlgefühlt im Dialog mit einem Dialektsprecher und bin ins Bairische
verfallen. Dann hätte ich mir die Lacher redlich verdient.
Auch Toni Hofreiter, der Grüne mit dem bayerischen Akzent im Bundestag, hat
auf dem [2][taz lab] 2014 mal erzählt, dass er immer dann ins Bairische
verfällt, wenn er sich irgendwo heimisch fühlt. Wenn es etwa in
Mecklenburg-Vorpommern ebenso ländlich zugeht wie in Sauerlach, jenem Ort
zwischen München und den Alpen, aus dem Hofreiter kommt, dann werde er
bairischer, als er das in Berlin sei. Er saß damals zusammen mit der
Sächsin Katja Kipping auf der Bühne und sollte über Heimat sprechen. Die
damalige Linken-Chefin meinte, sie fühle sich im Sozialismus zu Hause.
Fragen nach Akzent und Dialekt stellen sich da nicht.
## Ja, Bayern ist ein finsteres Land
So progressiv wie diese Antwort daherkommen sollte, so gemein war sie.
Hofreiter war plötzlich in der Rolle des rückwärtsgewandten Heimatdeppen.
In die wird man als Mensch, der sich bairisch anhört gern mal gesteckt. Ja,
Bayern ist ein finsteres Land. Wer die Umfrageergebnisse von CSU, AfD und
Freien Wählern zusammenrechnet, muss denken, die Landesfarben seien nicht
Weiß und Blau, sondern Schwarz und Braun.
Dafür sind sicherlich viele Menschen verantwortlich, die Bairisch sprechen,
aber doch nicht alle. Und ich schon gar nicht. Ich bin in Bayern gar nicht
wahlberechtigt. Und doch werde ich ständig zu Markus Söder gefragt. Über
meinen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) will sich kaum jemand mit
mir unterhalten.
Ich muss zu Schweinsbraten und Bier Auskunft geben, als sei ich Experte für
bayerische Grundnahrungsmittel, nur weil ich mich anders als andere anhöre.
Wie eigentlich? Was stellen sich die Leute vor, wenn sie mich hören? Eine
Mensch gewordene Schaumgeburt aus einem Weißwurstkessel? Ich möchte es gar
nicht wissen. Mit den Essgewohnheiten dieses Foodinfluencers, der es zum
Ministerpräsidenten gebracht hat, habe ich wirklich nichts am Hut. Ich esse
gerne einen Schweinebraten, aber die vegane Leberkassemmel, die ich mir bei
meinem jüngsten Münchenbesuch hinter dem Viktualienmarkt gekauft habe, hat
mir auch sehr gut geschmeckt. Sehr gut? Wirklich? „Passt scho!“, wie man
auf Bairisch sagt.
Immer noch gilt viel zu oft als gestrig, wer seinen bairischen Akzent nicht
verleugnet. Dabei kann man sich in bestem Bairisch über die modernste
Fahrzeugtechnik, Stellwerkprobleme bei der Bahn oder Halbleitertechnologie
unterhalten. Man muss nur ein paar Fachbegriffe aus dem Lateinischen,
Englischen oder eben Schriftdeutschen entlehnen. Und auch wenn der
sogenannte Freistaat Bayern die sogenannte Gendersprache aus amtlichen
Texten verbannt hat, heißt das noch lange nicht, dass man auf gut Bairisch
nicht gendern kann. Alles lässt sich im Dialekt gendern, nur der Depp
vielleicht nicht. Aber der ist eh immer ein Mann.
Auf jeden Fall gibt es jede Menge Menschen bairischer Zunge, die nicht nur
an Dirndln und Buam denken, wenn sie über die Leute reden. Wer Bairisch
spricht, denkt noch lange nicht automatisch binär. Ob sich das Gendern auf
Bairisch nicht komisch anhört? Kann schon sein. Auf jeden Fall verstößt das
Gendern im Bairischen gegen keine Regeln. Denn die gibt es gar nicht. Das
Bairische darf werden, wie immer es kommt. Mal sehen, wie es kommt.
„Schauma moi!“
Und wenn es dem Hochdeutschen immer ähnlicher wird? Kann schon sein, dass
immer weniger Kinder „das Teller“ sagen oder „der Butter“, weil sie in der
Schule einen anderen Artikel als richtig lernen. „Der Schoklad“ wird ihnen
in der Literatur ebenso wenig begegnen wie „das Limo“.
Das kann schlimm finden, wer mag. Schon seit Jahrzehnten werden Abgesänge
auf den bairischen Dialekt angestimmt, schwingen sich Mundartfetischisten
zu selbsternannten Rettern des Bairischen auf. Die möchten den Dialekt so
erhalten, wie er wahrscheinlich schon lange nicht mehr ist. Längst reden
sich junge Bayern mit „Digger“ an, weil sie sich wohl damit fühlen. Warum
sollten sie nicht? Dagegen sollte wirklich niemand etwas haben.
Am Ende geht es eh darum, sich verständlich zu machen, wenn man den Mund
aufmacht. Und was hätte ein Bayer auch davon, so zu sprechen, dass ihn
niemand versteht?
Mein Akzent mag sich ja drollig anhören für einen Nichtbayern, daneben oder
auch finster, ein Verständigungshindernis ist er nicht. Und die Gestalten,
die an irgendeinem Stammtisch irgendwo auf dem Land in Bayern so Bairisch
sprechen, dass sie niemand versteht, der von anderswo kommt? Die geben sich
auch Mühe, wenn die Bedienung aus Syrien kommt, aus Sachsen oder der
Ukraine. Wie sollten sie sonst an ihr Bier kommen?
26 Dec 2025
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