# taz.de -- Zurück in Nigeria, Mali, Togo: Nach der Abschiebung
> Nach 7 Jahren in Deutschland wurde Richies Idemudia abgeschoben. Wie ist
> es, zurück zu sein? Und wer sind die Leute, die sich um Ankommende
> kümmern?
(IMG) Bild: Geflüchtete demonstrieren im bayerischen Fürstenfeldbruck, November 2018
Seine Mutter und seine beiden Schwestern waren zu Hause, als Richies
Idemudia zum ersten Mal nach sieben Jahren in Benin City ankam. Sie
weinten, aber nicht vor Freude oder Rührung. Er, der Haupternährer der
Familie, war zurück. Anstatt weiter Gabelstapler in Gaisbach,
Baden-Württemberg, zu fahren, und alles, was von seinem Lohn übrig blieb,
nach Hause zu schicken für die Medikamente seiner Mutter, die Bustickets
seiner Schwestern, endlich ein eigenes Haus für die Familie, war er nun
selbst wieder in Nigeria. Abgeschoben und mit leeren Händen. „Es ist eine
Katastrophe“, sagt Idemudia.
Das alles war im September 2022, erzählt Idemudia im Whatsapp-Call aus
Benin City. Ein Jahr bevor Bundeskanzler Olaf Scholz ankündigte, im großen
Stil abzuschieben. Etwas mehr als zwei Jahre bevor die Union zusammen mit
der AfD für eine noch restriktivere Migrationspolitik stimmte. Drei Jahre,
bevor die Zahl der Abschiebungen ihren Höchststand seit Pandemiebeginn
erreichte. Allein von Januar bis Oktober 2025 wurden 19.538 Menschen aus
Deutschland abgeschoben, das sind im Durchschnitt 65 pro Tag.
Idemudia erzählt, dass er direkt bei der Arbeit in der Logistikfirma
festgenommen worden sei, an einem Donnerstagnachmittag, dann unter
Polizeibegleitung zum Packen nach Hause und anschließend in den
Abschiebeknast nach Pforzheim gebracht worden sei. „Sie haben nicht viel
erklärt“, sagt er. Wenige Tage später, in der Morgendämmerung, sitzt er in
einem Charter-Abschiebeflug nach Nigeria, sein Leben in Deutschland in
einem 20-Kilo-Koffer.
Wenn das Flugzeug abgehoben hat, schwindet in Deutschland meist die
Aufmerksamkeit. So umstritten eine Abschiebung gewesen sein mag – wenn sie
vollzogen ist, hören Medien oft auf zu berichten, Aktivist*innen
beenden die Demonstrationen. Aber wie geht es weiter für die, die in den
Flugzeugen sitzen?
Im Abschiebeknast traf Idemudia einen Bekannten, der schrieb ihm eine
Handynummer auf einen Zettel: von Rex Osa, Mitgründer und Koordinator bei
[1][Deportees Emergency Reception and Support]. In Lagos kam Idemudia
zusammen mit den anderen Abgeschobenen für eine Woche in Quarantäne. „Dann
haben sie die Tore geöffnet und gesagt, dass wir gehen sollen“, sagt
Idemudia. „Es war ihnen total egal, ob die Leute überhaupt genug Geld
haben, um ihr Ziel zu erreichen.“
„Das erste Mal, dass ich Abgeschobene am Flughafen von Lagos in Empfang
genommen habe, war ein Schock“, erinnert sich Rex Osa. „Die Leute sind
völlig verstört.“ Osa und sein Team stellen Handys zur Verfügung, damit die
Abgeschobenen ihre Familien anrufen können, und organisieren mit ihnen die
Reise zu den Familien. Wer nicht in der Lage sei weiterzureisen, könne in
der Schutzwohnung der Organisation unterkommen.
„Dort essen und trinken wir zusammen, alle können ihre Geschichte
erzählen“, sagt Osa. Einen Raum zu schaffen, in dem den Betroffenen
zugehört wird und sie verstanden werden, sei wichtig, damit aus dem Trauma
der Abschiebung möglichst keine langfristige psychische Erkrankung wird.
„Das können am besten Leute, die dieselbe Erfahrung gemacht haben“, sagt
Osa. Also kümmern sich bei Deportees Emergency and Support jetzt einst
abgeschobene Menschen um die Ankommenden.
Osa, Vollzeitaktivist und Vater von vier Kindern, pendelt zwischen
Stuttgart und Lagos hin und her. Er selbst kam 2006 als Asylsuchender nach
Deutschland und begann wenig später, sich in antirassistischen Gruppen zu
engagieren. 2016 beschloss er, nicht nur in Deutschland, sondern auch in
seinem Heimatland Nigeria für die Rechte von Geflüchteten zu arbeiten. „Die
Debatte dort drehte sich damals nur um Schlepperbekämpfung – ein
europäisches Narrativ“, sagt Osa. „Ich wollte, dass die Abgeschobenen
selbst zu Akteuren des Migrationsdiskurses werden.“
Denn dass die Menschen und oft auch ihre Familien mit der Abschiebung ihre
Existenzgrundlage verloren haben, getrennt sind von Freund*innen und
Liebesbeziehungen, sich oft nicht einmal verabschieden konnten, den Plan
für ihr Leben nun wegwerfen können, das alles ist nur der eine Teil. Der
andere ist die Stigmatisierung in dem Land, das früher mal Zuhause war.
„Viele werden von ihren Familien zurückgewiesen“, sagt Osa.
## Die Familien auf die Ankunft ihrer Kinder vorbereiten
„Abgeschobene werden in Nigeria schlecht angesehen, so als ob sie
Kriminelle sind.“ Immer wieder telefoniere er mit den Familien, um sie nach
der Abschiebung auf die Ankunft ihrer Kinder vorzubereiten. „Ich erkläre
dann, dass sie nichts falsch gemacht und sich wirklich bemüht haben, in
Deutschland zu bleiben.“
Diese Art von Telefongespräch kennt Razakou Aboubakari gut. Aboubakari,
Lehrer in der Region Tchaoudjo in Togo, hat 2008 die togoische Vereinigung
der Abgeschobenen gegründet. Gerade eben hat Aboubakari in der zweiten
Klasse Französisch unterrichtet, jetzt ist Mittagspause, Aboubakaris
Erzählungen mischen sich mit Pausenhofgeräuschen.
„Es wird hier als Schande angesehen, abgeschoben zu werden“, sagt
Aboubakari, „die meisten schämen sich – gegenüber der Familie, den
Freunden, dem Dorf, dem Viertel.“ 2017 etwa schickten Togoer umgerechnet
etwa 507 Millionen US-Dollar nach Hause und erwirtschafteten damit knapp 10
Prozent des BIP. [2][2023 waren es mehr als 7 Prozent des BIP]. „Der, der
die Familie ernährt hat, muss jetzt selbst mit durchgefüttert werden.“
Aboubakari und die anderen Ehrenamtlichen begleiteten Rückkehrer*innen
deshalb zu ihren Familien. Aber von den einst 40 Mitgliedern der
Vereinigung sind nur noch wenige aktiv, und für kaum eine Aufgabe reicht
das Geld. Kürzlich hätten sie zum Beispiel eine Frau beherbergt, die auf
dem Weg zum Mittelmeer mehrfach vergewaltigt worden sei. „Die sichtbaren
Wunden konnten wir behandeln, das Krankenhaus bezahlen, aber sie braucht
dringend psychologische Unterstützung und dazu haben wir einfach nicht die
Mittel.“ Viele der Zurückkehrenden stürzten in Depressionen.
## Das Haus ist nur halb fertig geworden
„Ich versuche, klarzukommen, aber innerlich geht es mir nicht gut“, sagt
Idemudia. Die meiste Zeit sei er zu Hause, genau genommen in dem halb
fertiggebauten Haus, das er für seine Mutter und seine Schwestern mit
seinem Lohn finanziert hatte, bis die Abschiebung ihm zuvorkam. Im
Whatsapp-Anruf zeigt er, wie in der Mitte des Zimmers die weiße Farbe
ausgegangen ist, die Fliesen auf dem Boden fehlen noch. Idemudia ist
trotzdem lieber drinnen, ohne Menschen.
Alte Freunde aus Nigeria hätten sich nach der Abschiebung von ihm
abgewendet, viele aus Deutschland antworteten nicht mehr auf seine
Nachrichten. „Es ist schwierig, wieder Menschen zu vertrauen, wenn du all
das erlebt hast“, sagt Idemudia. Einen Job habe er bislang nicht gefunden.
Im Januar 2024 versuchte er, ein zweites Mal nach Europa zu kommen, erzählt
er. „Ich habe keinen anderen Weg gesehen, meiner Depression zu entkommen.“
Er scheitert. „Wer es sich irgendwie leisten kann, macht einen zweiten
Versuch“, berichtet auch Razakou Aboubakari aus Togo.
„Immerhin habe ich mein Leben noch, mein Körper ist vollständig, und ich
bin nicht verrückt geworden wie manche andere Abgeschobene“, sagt Idemudia.
Und immerhin versuchten seine Schwestern und seine Mutter, ihn
aufzumuntern.
Wie schwer es für die Zurückgekehrten ist, wieder anzukommen, berichtet
auch Ousmane Diarra aus Bamako. Nach seiner eigenen Abschiebung aus Angola
nach Mali gründete er 1996 gemeinsam mit anderen, die aus Liberia,
Frankreich und Saudi-Arabien zurückkehren mussten, die [3][Malische
Vereinigung der Abgeschobenen]. „Dass die Kredite für die Flucht zum Teil
noch nicht abbezahlt sind, macht die Rückkehr noch komplizierter“, sagt
Diarra. „Die Wiedereingliederung der Abgeschobenen in die Familien ist sehr
schwierig.“
Angefangen haben die Aktivist*innen in Bamako ihre Arbeit mit
Sprechstunden am Flughafen, wo viele der abgeschobenen Menschen ankommen.
Inzwischen betreibt die Organisation eine Unterkunft, in der die Menschen
bis zu 72 Stunden bleiben könnten, bevor sie zu ihren Familien
weiterreisen, erzählt Diarra.
„Dort bekommen sie Kleidung, wenn sie nicht einmal ihre Sachen packen
durften, Verpflegung und medizinische Versorgung, wenn sie an
Vorerkrankungen leiden oder ihnen bei der Abschiebung Gewalt angetan
wurde.“ Zugleich prüfen die Anwält*innen der Organisation die
Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Zum Teil mit Erfolg: „Manchmal schaffen wir
es gemeinsam mit den Anwält*innen im früheren Aufnahmeland, dafür zu
sorgen, dass die Abschiebung rückgängig gemacht wird“.
An einem solchen Fall arbeitet gerade Gwendolin Buddeberg. Die
Rechtsanwältin aus München erfuhr von der Abschiebung ihres Mandanten erst,
als Bright Obasuyi schon in Nigeria angekommen war. „Es war total
überraschend“, sagt Buddeberg. Obasuyis Asylantrag war zwar abgelehnt
worden, aber er ist psychisch schwer krank. „Ein umfangreiches Gutachten
seiner Psychiaterin über seine Reiseunfähigkeit lag der Ausländerbehörde
Oberbayern vor“, sagt Buddeberg. Besteht die Gefahr, dass sich der
Gesundheitszustand einer Person wesentlich oder gar lebensbedrohlich
verschlechtert, dann darf nicht abgeschoben werden. Eine solche Gefahr sah
der Psychiater bei Obasuyi.
Die Ausländerbehörde habe ein Gegengutachten beantragt, erzählt Buddeberg.
„Während der Untersuchung durch den Amtsarzt hatte Obasuyi einen
Wahnanfall, der Termin musste abgebrochen werden.“ Obasuyi selbst erzählt,
dass er es zum zweiten Termin nicht schaffte, weil er auf dem Weg einen
epileptischen Anfall erlitt und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
„Wir konnten mit einem Arztbrief aus dem Krankenhaus glaubhaft machen, dass
er nicht erscheinen konnte, und haben auf die Festsetzung eines neuen
Termins gewartet“, sagt Buddeberg. „Aber dann wurde er ohne neuen Termin
einfach abgeschoben. Aus den E-Mails zwischen Ausländerbehörde und Amtsarzt
wisse sie, dass der Amtsarzt nach der ersten Untersuchung davon ausgegangen
ist, dass Obasuyi nicht reisefähig und für die Entscheidung über die
Reiseunfähigkeit eine weitere Untersuchung erforderlich sei.
Doch auf Anfrage bei der Ausländerbehörde heißt es, dass ein fachärztliches
Gutachten Obasuyis Reisefähigkeit „im Rahmen einer medizinisch und
sicherheitsbegleiteten Abschiebung“ bestätigt habe. Wie das möglich ist,
ohne zweiten Termin? „Vieles deutet darauf hin, dass diese Abschiebung
nicht rechtmäßig war“, sagt Anwältin Buddeberg. Beim Verwaltungsgericht
München hat Buddeberg gegen die Abschiebung geklagt und per Eilverfahren
beantragt, dass das Gericht die Rückführung von Obasuyi nach Deutschland
anordnet.
„Mein ganzes Leben ist kaputt“, sagt Obasuyi, der trotz allem
Deutschprüfungen abgelegt, einen Integrationskurs besucht hat und im
September eine Ausbildung zum Lagerlogistiker beginnen wollte. „Er wirkt
von der Abschiebung total traumatisiert“, sagt Buddeberg. Obasuyi berichtet
von massiver Gewalt. Sämtliche Körperteile und auch sein Kopf seien im
Flugzeug fixiert worden. Auch als er vor Schmerzen schrie, habe man seinen
Kopf weiterhin fixiert. Gegen seinen Willen seien ihm Medikamente
eingeflößt worden. Ein Video zeigt, wie Obasuyi reglos auf einem Sitz im
Flughafen hängt, Speichel tropft aus seinem Mund.
„Er wurde mit aller Gewalt abgeschoben, aber wenn die Abschiebung
rechtmäßig gewesen wäre, wäre möglicherweise auch die Gewaltanwedung
rechtens gewesen“, sagt Anwältin Buddeberg. „Das deutsche Recht erlaubt,
dass festgebunden und sediert wird, wer sich wehrt“. Kleine Anfragen der
Linken aus den vergangenen Jahren ergeben, dass mit dem Anstieg der Zahl
der Abschiebungen auch immer häufiger sogenannte „Hilfsmittel der
körperlichen Gewalt“ zum Einsatz kommen, dazu gehören etwa Hand- und
Fußfesseln wie sogenannte Bodycuffs, bei denen Hand- und teilweise
Fußgelenke an einem Hüft- oder Bauchgurt fixiert werden.
2019 rügte das Antifolterkomitee des Europarats die deutsche
Abschiebepraxis, unter anderem wegen [4][unverhältnismäßiger und
unangemessener Gewaltanwendung]. Allein für das Jahr 2024 gab die
Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken an, bei
1.189 Geflüchteten Hilfsmittel körperlicher Gewalt angewandt zu haben.
Die Bundespolizei will sich nicht zu Obasuyis Abschiebung äußern, das
gerichtliche Verfahren laufe noch. Über den Eilantrag hat das
Verwaltungsgericht München noch immer nicht entschieden – auf taz-Anfrage
mit der Begründung, dass es sich um einen sehr komplexen Sachverhalt
handele, umfangreiche Stellungnahmen müssten im Detail bewertet werden. Die
Entscheidung im Eilverfahren werde in Kürze ergehen.
## Druck auf Herkunftsstaaten aufbauen, damit sie sich EU entgegenstellen
Seine Medikamente und das Zimmer in Benin City zahlen momentan Obasuyis
Unterstützer*innen in Deutschland. „Bis Februar habe ich noch
Medikamente“, sagt Obasuyi. „Ich habe sehr große Angst, was danach
passiert.“
„Wenn wir transnational zusammenarbeiten, können wir viel mehr schaffen“,
sagt [5][Ousmane Diarra] und bezieht das nicht nur auf die praktische
Unterstützung von abgeschobenen Menschen. Druck auf die Herkunftsstaaten
aufbauen, um der Externalisierung der EU-Grenzen Einhalt zu gebieten, das
ist die Strategie von Aktivist*innen in Nord- und Westafrika. Sie
kämpfen gegen Rückführungsabkommen, klären über Migrationsrouten auf und
dokumentieren Menschenrechtsverletzungen bei Pushbacks und Abschiebungen.
Die Aktivist*innen arbeiten aber auch daran, das vielerorts noch immer
vorherrschende Bild Europas als Kontinent der Menschenrechte zu entkräften.
„Die Abschottung Europas hat uns diese ganzen Dramen gebracht: die
Zurückweisungen, die Abschiebungen, das Sterben im Mittelmeer“, sagt
Diarra. Erst wenn ein realistisches Bild Europas in den Herkunftsländern
entsteht, können die Abgeschobenen rehabilitiert werden. Razakou Aboubakari
in Togo hat zum internationalen Tag der Migration am 18. Dezember
Migrant*innen eingeladen, um jungen Menschen über ihre Erfahrungen auf
der Reise zu berichten.
Richies Idemudia hofft, bald irgendwie genug Geld beisammenzuhaben, um sein
eigenes Gewerbe zu starten. Sich ein gebrauchtes Auto zu kaufen zum
Beispiel, Taxi fahren. Dann könnten endlich auch seine Freundin und sein
einjähriger Sohn Desmond zu ihm ziehen, sie sind momentan noch in Lagos,
bei den Schwiegereltern. „Gerade geht das noch nicht, weil ich sie nicht
versorgen kann“, sagt Idemudia. „Ich wünsche mir so sehr, dass sie bei mir
sein könnten, gerade jetzt, wo Weihnachten kommt.“ Und dass seine Eltern
endlich seinen Sohn kennenlernen könnten.
22 Dec 2025
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