# taz.de -- Anton Hofreiter zum Ukraine-Krieg: „Die Ukraine kann den Deal nicht annehmen“
> Der 28-Punkte-Plan von Trump und Putin werde nicht zum Frieden führen,
> sagt der Grüne Anton Hofreiter. Die Alternative: mehr Ukraine-Hilfen aus
> der EU.
(IMG) Bild: Die EU kann nicht immer nur der Good Cop sein: Anton Hofreiter zum Krieg gegen die Ukraine
taz: Herr Hofreiter, gibt es noch Hoffnung für die Ukraine?
Anton Hofreiter: Ja, weil die ukrainischen Soldaten sehr entschlossen sind.
Einer von ihnen hat mir jüngst gesagt, dass er natürlich nicht zurück an
die Front will. Man könne sich gar nicht vorstellen, wie schrecklich es
dort ist. Aber die Alternative sei, dass die russische Armee komme,
massenhaft foltert, vergewaltigt und mordet. Also kämpft er weiter.
taz: Die Anzahl der Deserteure steigt, allein im Oktober sollen 20.000
Soldaten desertiert sein.
Hofreiter: Wir können uns die Lage an der Front nur schwer vorstellen.
Durch die Drohnen gibt es nicht mal mehr eine klare Frontlinie, sondern
einen 50 Kilometer breiten Frontbereich, in dem du als Soldat keine Minute
sicher bist. Das ist im Grunde für einen Menschen nicht ertragbar.
taz: Die militärische Lage ist schlecht, die USA sind als Unterstützer
weggebrochen, die Korruptionsvorwürfe sind massiv: Was ist aus Ihrer Sicht
aktuell das größte Problem?
Hofreiter: Dass die Europäer immer noch nicht ausreichend verstanden haben,
dass die USA kein Verbündeter mehr sind und wir für unsere Sicherheit
selber sorgen müssen. Es muss endgültig Schluss sein mit der Naivität, die
man sich zum Teil jahrelang gegenüber Russland geleistet hat, sich
teilweise immer noch gegenüber China leistet und jetzt auch noch gegenüber
den USA.
taz: Was folgt daraus konkret?
Hofreiter: Erstens müssten wir uns in vielen Bereichen unabhängiger machen
von den USA, aber auch von China. Zweitens müsste man der Ukraine alles
geben, was sie braucht. Seit Herr Merz Kanzler ist, hört man vom Taurus
leider nichts mehr. Taurus und andere Waffen würden aber einen Unterschied
machen. Drittens müsste man die Ukraine auch finanziell anders
unterstützen. Deren Rüstungsindustrie läuft wegen Geldmangel immer noch
nicht mit voller Auslastung.
taz: Laut einer Prognose des IWF braucht die Ukraine für die nächsten
beiden Jahre 135,7 Milliarden Euro. Die EU-Kommission möchte ihr Gelder aus
dem russischen Staatsvermögen zur Verfügung stellen, die in Europa angelegt
waren und nach Kriegsbeginn eingefroren wurden. [1][Aber das ist
umstritten,] weil Russland rechtlich dagegen vorgehen könnte.
Hofreiter: Das rechtliche Risiko beim Plan der Kommission halte ich für
gering. Die Ukraine könnte einen Teil ihrer Reparationsforderungen an ihre
Darlehensgeber abtreten und dann verrechnet man die Schäden, die Russland
angerichtet hat, mit den eingefrorenen Vermögen.
taz: Ein Großteil dieser Vermögen liegt in Belgien und die dortige
Regierung lässt sich bislang nicht überzeugen. Beim nächsten Europäischen
Rat am 18. Dezember steht das Thema wieder auf der Tagesordnung. Wie könnte
es noch gelingen?
Hofreiter: Deutschland, Frankreich und andere Länder müssten noch mehr
Druck ausüben und gleichzeitig die belgische Regierung gegen Drohungen der
USA finanziell absichern. Trump möchte die eingefrorenen Vermögen selbst
nutzen und könnte Belgien mit Strafzöllen belegen. Die Drohungen wirken,
weil Belgien sowieso mit dem Rücken zur Wand steht. Da müsste die
Bundesregierung sagen: Wir helfen euch und halten dagegen.
taz: Friedrich Merz engagiert sich doch in der Sache, ist am Freitag sogar
spontan zu einem Gespräch mit dem belgischen Premierminister nach Brüssel
gereist. Was genau soll er noch machen?
Hofreiter: So wie Merz die Schuldenbremse in Deutschland geöffnet hat,
müsste er es auch auf europäischer Ebene machen. Ähnlich wie Angela Merkel
übergangsweise bei den europäischen Aufbauhilfen nach Corona deutlich
flexibler war.
taz: Finanzgarantien in Form von gemeinsamen europäischen Schulden also?
Das ist doch eine Illusion – und dürfte der deutschen Öffentlichkeit und
auch der CDU schwer zu vermitteln sein.
Hofreiter: Das ist halt das Problem, wenn du einen Wahlkampf gegen die
Wirklichkeit führst. Merz jagt seine Partei immer wieder auf den Baum und
hat dann ein Problem, weil er sie brutal wieder runterholen muss.
taz: So wie Sie jetzt über Merz reden: Vermissen Sie eigentlich Olaf
Scholz?
Hofreiter: Ich finde es interessant, wie ganz unterschiedliche Rhetoriken
zu verblüffend ähnlicher Politik führen können.
taz: Was wären die Alternativen zur Finanzierung der Ukraine, wenn der Weg
über die eingefrorenen Vermögen nicht klappt?
Hofreiter: Die Alternativen sind keine guten. Entweder landet man wieder
bei gemeinsamen Schulden in der EU. Oder es kommt aus den europäischen
Staatshaushalten, wofür aber nur noch Deutschland, Norwegen und ein paar
kleinere Länder die finanzielle Kraft hätten. Oder die Ukraine kollabiert.
Das käme uns am teuersten zu stehen.
taz: Oder aber: Die Frage hat sich schon vorher erledigt, weil [2][die
aktuellen Verhandlungen zwischen Russland, den USA und der Ukraine] den
Krieg beenden.
Hofreiter: Die Ukraine kann den Deal, den die USA vorschlagen, nicht
annehmen. Er sieht vor, dass sie ihre stärksten Verteidigungsstellungen
räumt. Ich glaube auch nicht, dass der 28-Punkte-Plan so modifiziert werden
kann, dass er zu Frieden führt. Würde die Ukraine Gebietsabtretungen im
Gegenzug für harte Sicherheitsgarantien zustimmen, würde Russland nicht
einschlagen.
taz: So wie sich die Lage entwickelt, hat die Ukraine aber immer weniger
Verhandlungsmacht. Wenn sie jetzt nicht zustimmt, könnte dann die Lage
nicht noch schlimmer werden?
Hofreiter: Egal, wie schlecht die Verhandlungsposition der Ukraine ist: Die
Menschen dort sind sich bewusst, dass dieser Plan nicht der Endpunkt des
Krieges wäre, sondern nur eine Zwischenetappe. Ihnen stünde unter noch
schlechteren Bedingungen der nächste Krieg bevor. Deswegen werden sie nicht
zustimmen.
taz: Der einzige Weg zu einem dauerhaften Frieden ist aus Ihrer Sicht also
ein militärischer Sieg der Ukraine?
Hofreiter: Kein Sieg. Aber die Lage muss so sein, dass Putin seine
Kalkulation ändert. Putin sieht derzeit keinen Grund, den Krieg zu beenden,
weil es läuft ja gar nicht so schlecht für ihn. Man kann einen Krieg dann
beenden, wenn alle Konfliktparteien ein Interesse daran haben – also muss
man dafür sorgen, dass auch Putin ein Interesse daran bekommt. Dieses
Interesse gewinnt er erst dann, wenn seine Armee nicht mehr vorankommt.
taz: Sie halten das trotz allem noch für machbar: Dass Europa die Ukraine
so unterstützt, dass sie Russland wirklich stoppen kann – selbst wenn die
USA dauerhaft als Partner ausfallen?
Hofreiter: Ja, ich halte es für machbar. Wir sind als Europäer eine der
reichsten Regionen der Welt. Warum brauchen 500 Millionen Europäer 340
Millionen Amerikaner, um sie vor einem Land mit 140 Millionen Einwohnern zu
schützen?
taz: Die Mehrheit in Deutschland glaubt nicht mehr daran, dass man Russland
in der Ukraine entscheidend schwächen kann – oder nur mit großem Risiko,
weil sich Russland dann wehrt. Dann sind wir bei der Gefahr der Eskalation.
Hofreiter: Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht so sicher, ob das so ist.
Viele Leute haben doch das Gefühl, Putin agiert wie ein Schulhof-Bully.
Wenn du dem mit Appeasement und Schwäche begegnest, werden die Angriffe
nicht aufhören, sondern stärker werden. Und dazu kommt schon ein gewisses
geschichtliches Bewusstsein. Auf Veranstaltungen zur Ukraine werde ich oft
auf die Appeasement-Politik von Chamberlain angesprochen. Ich habe das
Gefühl, dass das Verständnis zumindest in einem Teil der Bevölkerung
deutlich größer ist, als man das in Berlin wahrnimmt.
taz: Was bräuchte es neben mehr Waffen und mehr Geld für die Ukraine noch?
Hofreiter: Eine stärkere Durchsetzung der Sanktionen. Auch da wäre
Deutschland gefordert. Man könnte zum Beispiel die Schattenflotte, mit der
Russland weiter Öl verkauft, durch die Umweltgesetzgebung stoppen.
taz: Und wie?
Hofreiter: Mit Marpol etwa, das hat mir die Marine erklärt.
taz: Dem Internationalen Übereinkommen zur Verhütung der
Meeresverschmutzung durch Schiffe?
Hofreiter: Ja, die Ostsee ist als vulnerables Gewässer klassifiziert und
man könnte dort die gesamte Schattenflotte mit der Umweltgesetzgebung
stoppen. Die russische Schattenflotte besteht aus älteren, schlecht
gewarteten Tankern, die gezielt zur Umgehung internationaler Sanktionen
eingesetzt werden. Sie fallen häufig durch Flaggenwechsel, gefälschte
Versicherungsunterlagen oder die Verschleierung tatsächlicher
Eigentümerstrukturen auf. Man müsste natürlich alle Tanker – also auch
europäische, die nicht vernünftig versichert sind – stoppen und
durchsuchen.
taz: Und wie soll das funktionieren? Sollen deutsche Sicherheitskräfte
russische Tanker in der Ostsee stürmen?
Hofreiter: Es sind ja keine russischen Tanker, die fahren unter anderer
Flagge. Aber ja, weil diese Schiffe eine Gefahr sind und Recht brechen.
Eigentlich gibt es das Recht auf freie Passage, man hat auch das Recht, mit
dem eigenen Auto durch eine Ortschaft zu fahren. Aber wenn man das mit 100
Stundenkilometern, betrunken und ohne TÜV tut, ist es eben nicht mehr
erlaubt. Im übertragenen Sinn ist das genau das, was die russische
Schattenflotte macht.
taz: Wer müsste da genau aktiv werden?
Hofreiter: Das ist spannend, weil dieses Umweltrecht noch nie so richtig
durchgesetzt worden ist. Wahrscheinlich müssten sich für einen Teil der
Ostsee Zollkriminalamt, Bundespolizei und Marine miteinander ins Benehmen
setzen. In anderen Teilen wären Schweden und Dänemark zuständig.
taz: Reden wir zum Schluss noch über [3][die aktuelle Korruptionsaffäre der
ukrainischen Regierung:] Wie sehr schwächt sie die Ukraine im Allgemeinen
und Selenskyj im Speziellen?
Hofreiter: Sie schwächt Selenskyj im Speziellen. Ob sie die Ukraine
allgemein schwächt, ist offen. Es könnte sie sogar stärker machen: Die
Zivilgesellschaft und die Antikorruptionsbehörden haben einen Triumph
errungen.
taz: Ab welchem Punkt wäre Selenskyj für den Westen kein legitimer Partner
mehr?
Hofreiter: Er ist gewählt und hat die Ukraine zusammengehalten. Nur die
Menschen in der Ukraine selber können entscheiden, ob sie Selenskyj als
Präsidenten weiter haben wollen oder nicht.
taz: Muss Europa nicht einen kritischeren Blick drauf haben?
Hofreiter: Muss es. In der Ukraine selbst gibt es ja seit Jahren den
Vorwurf, dass die Europäer zu nett waren und der ukrainischen Regierung zu
wenig auf die Finger geklopft haben.
taz: Und wie müsste man wem mehr „auf die Finger klopfen“?
Hofreiter: Wenn man die eingefrorenen russischen Vermögen mobilisiert, muss
Europa die Gelder hart konditionieren und einen genauen Blick darauf haben.
Du kannst nicht immer nur der Good Cop sein. Die Europäer müssen sich auch
trauen, der Bad Cop zu sein. Das haben sie diesen Sommer gut gemacht, als
Selenskyj die Antikorruptionsbehörden entmachten wollte. Davor haben sie es
viel zu lange schleifen lassen.
8 Dec 2025
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