# taz.de -- Sommernacht-Konzepte: Klanggewordener Winterschlaf
       
       > Es hat durchaus Vorteile, wenn der Abend früh und unerwartet losgeht: So
       > kann man beizeiten ins Bett.
       
 (IMG) Bild: Schön warm war es in der C/O Galerie mit Musik und Drinks
       
       Als ich am Ostkreuz ankomme, bin ich beseelt, obwohl es sich bei diesem
       Bahnhof um einen richtig unwirtlichen Ort handelt. Zudem habe ich gerade
       zweieinhalb Stunden in rappelvollen Regionalbahnen verbracht. Doch [1][die
       William-Kentridge-Ausstellungen], drei (!) Stück an der Zahl, für die wir
       einen 24-Stunden-Ausflug nach Dresden gemacht hatten, waren total super.
       
       Gut, dass sie ein emotionales Polster geschaffen haben, denn die nächsten
       anderthalb Stunden werden herausfordernd. Weil die taz-Weihnachtsfeier in
       der Nähe stattfindet, gehe ich nicht mehr nach Hause. Besser wär’s gewesen.
       Dann hätte ich mir schnell 'ne Nudel gekocht, wäre satt bei der Party
       aufgeschlagen und hätte mich auf Gin-Tonic-Trinken und Plaudern
       konzentrieren können. Erstaunlich viele nette Ex-Kolleg:innen sind
       gekommen.
       
       Gleich am Eingang warnt mich die Kollegin: „Gib die Jacke bloß nicht an der
       Garderobe ab, Essen gibt's draußen.“ Angeblich, weil letztes Jahr die
       Büffet-Schlange so lang war. Lang sind die Schlangen wieder, nur gibt es
       diesmal mehrere davon und man wartet in der frostigen Nacht. Wo dann die
       Beute, wenn man sie endlich gemacht hat, im Nu wieder kalt wird.
       
       Dieses Konzept hat sich offenbar jemand in einer lauen Sommernacht
       ausgedacht. Der Kollege, der vor mir dran ist, lässt sich gleich zwei
       Portionen geben. Fast schon nachvollziehbar, schließlich verbrennt man
       allein schon beim Warten reichlich Kalorien. Leider waren das auch die
       letzten Portionen – zumindest für eine ganze Weile. Ein kaltes Getränk will
       ich nach der Aktion nicht mehr. Ein paar Punschbecher später wird der Abend
       dann doch noch ganz lustig.
       
       ## Erst Sauna, dann Kunst
       
       Fröstelig ist mir am nächsten Tag immer noch. Ich liege so lange in der
       Sauna, dass ich es fast nicht mehr zur verabredeten Runde durch die
       [2][Fotogalerie C/O Berlin] schaffe. Dort werden mit „Close Enough“ 12
       Fotografinnen der Agentur Magnum ausgestellt. Auf dem Weg befürchte ich,
       nicht mehr reingelassen zu werden, schließlich ist gleich Feierabend.
       
       Doch es kommt anders. Vor Ort großes Gedränge. Reinkommen erweist sich als
       unproblematisch, und dann drückt mir noch jemand Goodie Bag und
       Getränkegutschein in die Hand. Knalliger House lässt das Foyer brennen.
       Überhaupt liegt ein aufgeregtes Flirren in der Luft. Die eher jungen Gäste
       wirken aufgeregt und aufgebrezelt. Warum eigentlich? Die sind doch hier, um
       einen Film zu gucken. Co-Gastgeber ist der Streamingdienst Mubi; gezeigt
       wird [3][„Working Girls“ von 1986], aus dem eigens für die Ausstellung
       kuratierten Filmprogramm. Passend dazu bekommen die Fotografien von
       Christina De Middel die größte Aufmerksamkeit.
       
       Wie im Film geht es darin um Prostitution. Kund:innen von
       Sexarbeiter:innen ließen sich (gegen Honorar) fotografieren und geben
       zu Protokoll, was sie dazu bringt, Sex zu kaufen. Vor den Bildern stehen
       die Leute dichtgedrängt und versuchen an denen vorbeizulinsen, die vor
       ihnen stehen – was zu schrägen Verrenkungen führt. Dabei sind einige der
       anderen Fotoprojekte fast spannender. Doch Leute gucken ist heute am
       allerergiebigsten. Für die Bilder kommen wir dann ein andermal wieder.
       
       Anderthalb Stunden und einen köstlichen „signature aperitif cocktail“
       später bin ich plattgebügelt. Es hat durchaus Vorteile, wenn der Abend früh
       und unerwartet losgeht. So kann man beizeiten ins Bett, wo es um diese
       Jahreszeit sowieso am schönsten ist. Eigentlich wollte ich ja ins House of
       Music, zur schönen Reihe Jazzexzess. Pünktlich zum Yarns Ensemble, dem
       zweiten Konzert des Abends, komme ich dann tatsächlich endlich auch dort
       an. Die Musiker:innen lassen ihre mäandernden Improvisationen
       introspektiv und meditativ vor sich hinköcheln. Das ist klanggewordener
       Winterschlaf – im besten Sinne.
       
       24 Nov 2025
       
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