# taz.de -- Schiller auf dem Klo: Sturm und Drang gegen Dunkelheit und Kälte
> Wenn man sich darauf einlässt, ist Berlin noch für eine künstlerische
> Überraschung gut. Nach drei Stunden Theater schmerzen die Glieder aber
> doch etwas.
(IMG) Bild: Eine dubiose Bank soll Geldwäsche betreiben
Anfang: Schon allein die Location hatte uns überzeugt, heute Abend ins
Theater zu gehen: das ehemalige Klo am Viktoriapark. Dort soll heute eine
freie Interpretation von [1][Schillers „Die Räuber“] aufgeführt werden. Von
der jungen Truppe des NIE-Theaters, die die ehemalige Bedürfnisanstalt vor
anderthalb Jahren zu einer ihrer Bühnen umgebaut hat.
„Teile von dem Kollektiv haben vor ein paar Jahren auch mal das alte
Gebäude der Ernst-Busch besetzt“, erzähle ich dir, weil ich es ziemlich
cool finde, wenn in dieser fast durchkommerzialisierten Stadt Kulturleute
versuchen, Konventionen zu durchbrechen und Räume zurückzuerobern.
Aber jetzt stehen wir erstmal zusammen mit etwa dreißig anderen
Theatergängern vor der steinernen Toiletten-Mauer und verschlossenen Türen,
wenige Meter entfernt von einer modernen öffentlichen Toilette und am Fuße
des Nationaldenkmals für die sogenannten Befreiungskriege.
Ein bisschen Sturm und Drang, denke ich mir, ist wohl genau das richtige
gegen Dunkelheit und kalten, andauernden Nieselregen. Außerdem gibt es
Handwärmer (Du: „Was für eine unnötige Umweltverschmutzung.“) und den
ersten Glühwein des Jahres (Ich: „Wenn’s sein muss, aber eigentlich mag ich
so’n süßes Zeug nicht.“). Und eine Art Vorwarnung: das Stück geht drei
Stunden, ohne Pause.
## Alles nur Theater
Es beginnt. Draußen auf dem Bushalte-Dach. Meta, kapitalismuskritisch und
auf Englisch. Eine dubiose Bank soll in den Klo-Räumen ihre Geldwäsche
betreiben, der schlecht laufende Blumenladen davor soll das beweisen. Ganz
kurz bekommt das Ganze Agitprop-Theater-Vibes. „Where is the money?“,
skandieren wir zusammen, was auch gar nicht schwerfällt in diesen Zeiten.
Es folgt ein Vortrag von der Balustrade über dem Lokus: „Der Handschuh“ von
Schiller natürlich. Es sei ja alles nur Theater hier und das wolle man uns
jetzt beweisen. Wir dürfen rein in den Raum und sitzen fast schon mitten
auf der Bühne, über uns (zum Glück) ein Heizstrahler.
Fast schon unerträglich lange schauen wir zunächst der [2][Familie Moor]
bei der wortwörtlichen Geldwäsche zu: beim Einweichen, Schrubben, an die
Wäscheleine hängen, wieder Abhängen, Zählen. Eieruhren klingeln, und
besonders Amalia, mit gepflegtem Vollbart und selbstgebastelten pinken
Moonboots-Attrappen, schrubbt fleißig und mit voller Inbrunst die Scheine
am Waschbrett.
Auch sie wird das Stück nicht überleben, aber das wissen wir ja. Es geht
schließlich um Schillers „Die Räuber“, die Geschichte zweier ungleicher
Brüder – Franz und Karl Moor – die man noch heute spielen kann, ohne dass
sie aus der Zeit gefallen wirkt. Vor allem, wenn man sie so inszeniert, wie
das NIE-Kollektiv es heute tut.
## Tschechows Prinzip
Der Raum ist voll mit Requisiten, die alle brav, aber gekonnt nach dem
Prinzip Tschechows eingesetzt werden: „Wenn du im ersten Akt eine Pistole
an die Wand gehängt hast, dann soll sie im nächsten abgefeuert werden.
Ansonsten hänge sie nicht dort hin.“
Es geht sogar darüber hinaus. Nicht nur die Requisiten haben alle ihre
Verwendung, nein, sogar alle Räumlichkeiten, die der kleine Raum zu bieten
hat, werden genutzt. Und auch die außerhalb des Raumes. Immer wieder
verlagert sich die Szenerie auch draußen, auf die Straße vor dem Klo. Wir
bekommen davon die Live-Aufnahmen auf zwei alten Fernsehern gezeigt.
Am Ende wird dann sogar noch der Vater durch eine Klappe unter den Stühlen
der Zuschauer geführt und in den Keller gesperrt. Wo er dann vor seinem –
Achtung, jetzt wirds etwas zu gewollt – Hakenkreuz-Altar singt. Trotz aller
komischen Elemente, am Ende schimmert doch etwas der moralisch erhobene
Zeigefinger [3][Bertolt Brechts] durch.
Und nach drei Stunden Sitzen schmerzen die Glieder dann doch etwas. Aber
das war es wert. Manchmal ist Berlin doch noch für die ein oder andere
künstlerische Überraschung zu haben, denke ich mir. Während wir durch den
Bergmannkiez und an seinen Schickimicki-Bars vorbei zur U-Bahn laufen.
Ende.
1 Dec 2025
## LINKS
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## AUTOREN
(DIR) Ruth Lang Fuentes
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