# taz.de -- CO₂-Zertifikate in indigenen Gebieten: Wie Indigene auf der Klimakonferenz Widerstand leisten
       
       > Projekte für CO₂-Zertifikate führen in indigenen Gebieten oft zu
       > Menschenrechtsverletzungen. Auf dem UN-Klimagipfel bildet sich
       > Widerstand.
       
 (IMG) Bild: Indigene vom Volk der Munduruku aus dem unteren Tapajós-Gebiet nehmen an einem Treffen mit dem Präsidenten der COP30 teil
       
       „Unsere Natur steht nicht zum Verkauf“, steht auf einem Banner bei einem
       Protest sozialer und indigener Bewegungen im brasilianischen Belém, wo die
       UN-Klimakonferenz stattfindet. „CO₂-Zertifikate raus!“, heißt es darunter.
       Davor hat sich eine Gruppe der Indigenen Munduruku versammelt und stimmt
       traditionelle Gesänge an.
       
       Die Munduruku leben im Amazonasgebiet am Rio Tapajós im Bundesstat Pará,
       dessen Hauptstadt Belém ist. In ihrem Territorium haben sich Erdölfirmen,
       Goldschürfer und das Agrobusiness breitgemacht, die den Wald abholzen und
       die Lebensgrundlage der Indigenen gefährden. Nun ist eine neue Bedrohung
       dazu gekommen, die eigentlich die Entwaldung stoppen sollte:
       CO₂-Zertifikate.
       
       Der Bundesstaat Pará hat sich in den vergangenen Jahren aktiv um die
       Vermarktung von CO₂-Zertifikaten, auch als Carbon Credits bekannt, bemüht.
       Dabei handelt es sich um Zertifikate, die für vermiedene oder gebundene
       CO₂-Emissionen stehen, die beispielsweise durch Projekte für Waldschutz
       oder Aufforstung entstehen. Unternehmen oder Staaten können sie kaufen, um
       ihre eigenen Emissionen zu „kompensieren“ und so ihre Klimaziele zu
       erfüllen.
       
       Während der ersten Verhandlungswoche der UN-Klimakonferenz [1][beschloss
       das EU-Parlament ein neues Klimaziel, das die Netto-Emissionen bis 2040 um
       90 Prozent senken soll]. Die EU erlaubt dabei ausdrücklich, einen Teil
       davon über internationale CO₂-Zertifikate aus Ländern außerhalb der EU zu
       erreichen. Dabei hatte der wissenschaftliche Beirat der EU eine mindestens
       90-prozentige Reduktion ohne CO₂-Zertifikate gefordert, um das
       1,5-Grad-Ziel einzuhalten.
       
       ## Alessandra Korap protestiert auf dem Konferenzgelände
       
       „Europa erzeugt jetzt ganz viel Druck im internationalen CO₂-Markt“, sagt
       Anika Schroeder, die bei Misereor das Themenfeld „Klimapolitik und
       Armutsbekämpfung“ koordiniert und an den Verhandlungen in Belém als
       Beobachterin teilnimmt. „Wo ein Geschäft gerochen wird, wird schnell
       gehandelt – deshalb befürchten wir, dass die Bevölkerungsgruppen, die am
       wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben, jetzt komplett überrollt
       werden.“
       
       Indigene Territorien – allen voran der Amazonasregenwald – gelten im
       CO₂-Markt als besonders attraktiv. Sie beherbergen eine außergewöhnliche
       Artenvielfalt und speichern enorme Mengen Kohlenstoff, wodurch sie sich für
       die Erzeugung zahlreicher Carbon Credits anbieten. Die CO₂-Zertifikate, mit
       denen die EU ihre Emissionen senken will, könnten deshalb zukünftig aus
       artenreichen Ländern wie Brasilien kommen.
       
       Hier klagen indigene Gemeinschaften wie die Munduruku über mangelnde
       Konsultation, neue Formen von Kontrolle und Landkonflikte durch den
       wachsenden CO₂-Markt.
       
       „Die Unternehmen wollen unseren Wald zur Ware machen“, sagt [2][Alessandra
       Korap, eine indigene Aktivistin der Munduruku]. Auf der Weltklimakonferenz
       protestiert sie vor der Blue Zone, wo die offiziellen Verhandlungen
       stattfinden, um mehr Mitbestimmung der indigenen Bevölkerung einzufordern.
       
       „Die Staatschefs wollen Bergbau, sie wollen Öl, sie wollen Gold, sie wollen
       CO2-Zertifikate“, sagt sie. „Sie denken, im Wald lebt niemand. Aber für uns
       ist der Wald alles: er gibt uns Medizin und Nahrung.“
       
       ## Indigene in Kolumbien bereuen Zustimmung
       
       Auch in Kolumbien boomt der CO₂-Markt dort, wo die Indigenen leben. „Das
       Unternehmen hat uns betrogen“, sagt Ingry Mojanajinsoy von der Volksgruppe
       der Inga aus Villagarzón im Departamento Putumayo, der kolumbianischen
       Amazonasregion. Auch sie ist nach Belém gereist, um die Anliegen ihrer
       indigenen Gemeinschaft vorzutragen. „Sie haben uns unter Druck gesetzt, zu
       unterschreiben, obwohl wir keine ausreichenden Informationen hatten.“
       
       Die Gemeindeführerin beschreibt, wie ein CO₂-Projektentwickler ihrer
       Gemeinschaft „die perfekte Lösung“ präsentierte – ein Modell, das angeblich
       Landkäufe, Infrastruktur und ein besseres Leben finanzieren sollte:
       CO₂-Zertifikate. Doch sie stellte fest, dass der Vertrag nicht einmal die
       besonderen Schutzbestimmungen für die Indigenen enthielt.
       
       Nach internen Konflikten und Drohungen des Unternehmens versuchen die
       Gemeinschaften in Putumayo nun, den Vertrag wieder aufzulösen. „Die
       CO₂-Kompensation ist eine falsche Lösung für die Klimakrise“, sagt
       Mojanajinsoy.
       
       ## Probleme in Afrika und Lateinamerika
       
       Anika Schroeder beobachtet die Gespräche über den CO₂-Zertifikatehandel in
       der Blue Zone. „Es herrscht immer noch das Gefühl vor, insgesamt sei es
       doch ganz toll, weil es Transfer von Kapital von Nord nach Süden gibt“. Es
       sprechen sich auch nicht alle Indigenen gegen den CO₂-Markt aus. Manche
       Organisationen erwarten, dass sie so von der Klimafinanzierung profitieren
       können.
       
       „CO₂-Zertifikate sind keine Klimafinanzierung“, sagt Annika Schroeder.
       „Erstens bekommt man was zurück, nämlich das vermeintliche Recht, CO₂
       auszustoßen. Und zweitens bleibt das meiste Geld auf dem Weg dahin hängen.“
       Stattdessen sollten Klimaschutzgelder direkt an die Indigenen
       Gemeinschaften fließen, [3][die den Wald schützen], anstatt den Umweg über
       die Zertifikate zu gehen.
       
       Die EU wolle sich im Rahmen ihrer neuen Klimaziele am freiwilligen
       CO₂-Handel orientieren. Dieser steht jedoch stark in der Kritik, weil es
       bei Projekten in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverletzungen gekommen
       ist.
       
       In afrikanischen Ländern wie Kenia zum Beispiel wurden indigene
       Gemeinschaften für Waldschutzprojekte vertrieben. In Lateinamerika ist
       Menschen der Zugang zu den Gebieten versagt worden, die sie für den Alltag
       nutzen, also zum Beispiel für Nahrung, für Medizin, um Feuerholz zu sammeln
       oder um ihre Tiere weiten zu lassen. „Aus Menschenrechtssicht und aus
       Klimaschutzsicht gibt es immense Probleme“, sagt Schroeder.
       
       Elisângela Soldatelli Paim ist promovierte Soziologin und
       lateinamerikanische Koordinatorin des Klimaprogramms der
       Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ihrer Ansicht nach verschärft er CO₂-Markt
       ungleiche Machtstrukturen zwischen dem globalen Norden und dem globalen
       Süden.
       
       „Die Konzerne aus dem globalen Norden kontrollieren diesen Mechanismus,
       während die betroffenen Gemeinschaften im Globalen Süden passive Empfänger
       sind“, erklärt sie. Außerdem bremse der Kompensationsmarkt Anstrengungen
       für reale Lösungen für die Klimakrise aus.
       
       Die Zertifikate erweckten den Anschein, sie würden die Emissionen
       reduzieren, obwohl sie eigentlich als Green Washing für Konzerne und Länder
       dienten, sagt die Soziologin. „Sie brechen nicht mit der Logik des
       Kapitalismus.“
       
       20 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.reuters.com/sustainability/cop/eu-parliament-backs-new-2040-climate-target-2025-11-13/
 (DIR) [2] /Indigene-Aktivistin-ueber-Klimaschutz/!6129430
 (DIR) [3] /Ecuador-auf-der-COP30/!6129130
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sophia Boddenberg
       
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