# taz.de -- Expertin zu CO₂-Handel: „Ich kenne keine erfolgreichen Beispiele“
> Der Sinn vom Handel mit CO₂-Zertifikaten ist äußerst fragwürdig, sagt
> Ökonomin Claudia Horn. Helfen würde eine Umverteilung von Land.
(IMG) Bild: Luftbild von abgeholztem und existierendem Regenwald
taz: Frau Horn, marktbasierte Projekte wie Kohlenstoffkredite werden als
Antwort auf die Klimakrise angepriesen. Viele dieser Projekte versprechen,
Wälder zu schützen und gleichzeitig arme Gemeinden finanziell zu
unterstützen. Klingt doch nach einer guten Idee, oder?
Claudia Horn: Solche Ansätze sind nicht neu: Sie stammen aus den 1980er
Jahren und gehen auf Weltbank-Manager und Finanzakteure zurück, nicht auf
den Globalen Süden. Ihr Fortbestehen hat viel mit den Interessen dieser
Institutionen zu tun. Fraglich ist, wie zuverlässig solche Projekte
CO₂-Einsparungen belegen können. Zwar speichern Wälder Kohlenstoff, doch
viele Initiativen behaupten lediglich, ihre Intervention verhindere eine
zukünftige Abholzung. Das sind hypothetische Szenarios, die kaum belegbar
sind.
taz: Können Sie das genauer erklären?
Claudia Horn: 2023 zeigte eine Recherche der britischen Tageszeitung
Guardian, dass Verra – die weltweit größte Zertifizierungsstelle –
systematisch mit überhöhten Basiswerten gearbeitet hat. Nur etwa sechs
Prozent der ausgestellten Zertifikate führten tatsächlich zu einer
messbaren Reduzierung der Entwaldung. Das Problem ist also strukturell,
nicht punktuell. Die Legitimität des gesamten Systems steht auf unsicherem
Fundament.
taz: Welche Auswirkungen haben CO₂-Projekte für die Menschen in den
entsprechenden Regionen?
Claudia Horn: Viele Projekte werden auf dem Land traditioneller und
indigener Gemeinschaften umgesetzt. Ihre Armut wird dabei häufig
ausgenutzt: Mit dem Versprechen von Einnahmen oder Landtiteln werden
Gemeinden zum Unterschreiben bewegt. Oft für Verträge, in denen sie ihre
Nutzungsrechte abtreten. Gleichzeitig bleibt völlig intransparent, wie viel
die Unternehmen tatsächlich verdienen und welcher Anteil davon überhaupt
bei den Gemeinden ankommt.
taz: Einige Firmen werben damit, alles anders machen zu wollen – sozial
gerechter, transparenter, nachhaltiger. Kann das funktionieren?
Claudia Horn: Ich kenne keine erfolgreichen Beispiele. Das ganze System
basiert ja darauf, dass man Geld mit einem hypothetischen Szenario
verdient. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig plausibel, dass
wirklich robuste Erfolgsnachweise existieren.
taz: Viele Käufer von Kohlenstoffkrediten sind Unternehmen aus dem Ausland.
Ist das nicht grundsätzlich eine gute Möglichkeit, verursachte
Umweltschäden wiedergutzumachen?
Claudia Horn: Solche Projekte sind eher Verzögerungstaktiken, die es diesen
Unternehmen ermöglichen, ihr Geschäftsmodell fortzuführen. Es ist kein
Zufall, dass ausgerechnet große Emittenten wie Delta und Shell den
Emissionshandel vorantreiben. Von „Wiedergutmachung“ kann angesichts einer
sich abzeichnenden Erderwärmung von rund 3 Grad keine Rede sein. Statt
Lösungen, die letztlich auf dem Rücken von Gemeinschaften im Globalen Süden
ausgetragen werden, brauchen wir echte Maßnahmen zur Begrenzung der
Erhitzung.
taz: Wie könnten die aussehen?
Claudia Horn: Es gibt wirksame und vergleichsweise einfache Maßnahmen gegen
Entwaldung. Zentral ist die Demarkierung indigener Gebiete: Rund 600 sind
in Brasilien bereits ausgewiesen, 162 weitere könnten sofort ausgewiesen
werden. Ebenso notwendig ist eine Landreform. In Brasilien besitzt ein
Prozent der Bevölkerung fast die Hälfte des Landes, was die Ausbreitung von
Monokulturen und Viehzucht, Haupttreiber der Entwaldung, begünstigt.
Wirksamer Schutz setzt an den Ursachen der Entwaldung an – etwas, das
marktbasierte Projekte grundsätzlich nicht leisten.
taz: Kurz vor der COP hat die EU beschlossen, dass Mitgliedstaaten künftig
auch internationale Kohlenstoffzertifikate anrechnen dürfen, um ihre
Klimaziele zu erreichen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Claudia Horn: Das ist ein deutlicher Rückschritt und zeigt klar, welche
Kräfte die Klimapolitik prägen. Die neue EU-Regelung enthält auch eine
Klausel, die es erlaubt, die 2040-Ziele bei wirtschaftlichen Interessen
abzuschwächen. Die Kommunikation ist extrem widersprüchlich: Während die
EU-Kommission die COP30 feiert, drängt Ursula von der Leyen auf den
Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens, das nachweislich mehr Entwaldung im
Amazonas befeuern würde. Im Namen der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit
wird der Klimaschutz zurückgestellt.
taz: Auf der COP wird derzeit über das von Brasilien vorgeschlagene
TFFF-Modell diskutiert, ebenfalls ein marktbasiertes Instrument. Was halten
Sie davon?
Claudia Horn: Anders als Kohlenstoffkredite vergibt der TFFF keine
Zertifikate, sondern setzt auf ein groß angelegtes Finanzierungsmodell:
Staaten erhalten jährlich Geld für Waldschutz, bei höherer Entwaldung
sinken die Zahlungen. Der Fonds soll durch Kapitalmarkterträge finanziert
werden. Die Mittel wären nicht projektgebunden, sondern frei einsetzbar.
Trotzdem ist der Mechanismus problematisch.
Er adressiert nicht die Haupttreiber der Entwaldung, wie Agrarindustrie
oder Landkonflikte. Unklar bleibt auch, wie finanzielle Anreize wirken
sollen, wenn eine Regierung Entwaldung politisch fördert, wie es bei
Bolsonaro der Fall war. Ohne politischen Willen greifen auch Boni oder
Sanktionen kaum. Hinzu kommen hohe Risiken: Bei geringen Renditen werden
zunächst Fondsmanager, Berater und Investoren bedient. Ob dann überhaupt
Mittel bei lokalen Gemeinschaften ankommen, ist fraglich.
18 Nov 2025
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(DIR) Niklas Franzen
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