# taz.de -- Neues Gedenkstättenkonzept der Regierung: KZ-Gedenkstätten droht der Zerfall
       
       > Das Kabinett verabschiedet Konzept für die Erinnerung an das NS-Regime
       > und die SED-Diktatur. Die Erinnerung an die Kolonialverbrechen kommt
       > nicht vor.
       
 (IMG) Bild: (KZ-)Gedenkstätten als Kritische Infrastruktur der Demokratie, für die Bundesregierung also vernachlässigbar
       
       Die Bundesregierung hat ihre aus dem Jahr 1999 stammende Konzeption zur
       Förderung von Gedenkstätten überarbeitet. Das Bundeskabinett beschloss am
       Mittwoch die neue „Konzeption des Bundes für die Gedenkstätten zur
       Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur“.
       
       80 Jahre nach dem Holocaust setzt der Bund damit neue Schwerpunkte.
       „Gedenkstätten und Erinnerungsorte sind zentrale Pfeiler unseres
       demokratischen Selbstverständnisses“, [1][sagte Kulturstaatsminister
       Wolfram Weimer (parteilos)] bei der Vorstellung in Berlin. Sie seien „Teil
       der kritischen Infrastruktur unserer Demokratie“, ergänzte Evely Zupke, die
       Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag.
       Er sei „froh und dankbar“ für das neue Konzept, sagte Uwe Nemärker, Leiter
       der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
       
       [2][Weimer verwarf Überlegungen seiner Vorgängerin Claudia Roth] (Grüne),
       die den Kreis der Gedenkorte ausweiten wollte. Ihr Entwurf, der auch das
       Gedenken an die Opfer des deutschen Kolonialismus und die Mordopfer des
       neonazistischen NSU mit einschloss, stieß unter den Gedenkstätten zur
       Erinnerung an die Nazi-Gräuel auf Ablehnung. Historiker befürchteten, dass
       damit die Singularität des Holocaust als einzigartiges Verbrechen
       relativiert werden könnte. Roths Plan von 2024 verschwand in der Schublade,
       Versuche, diesen wiederzubeleben, endeten mit dem Aus der Amperlkoalition.
       
       Umgekehrt beklagten schon im Vorfeld der Veröffentlichung auf den deutschen
       Kolonialismus spezialisierte Historiker, dass in Weimers nun
       verabschiedetem Konzept diese Verbrechen ungewürdigt blieben. Der
       Aufarbeitung der Kolonialgeschichte komme weiterhin große Bedeutung zu,
       sagte Weimer bei der Vorstellung des Konzepts, das sich auf NS- und
       DDR-Gedenkstätten beschränkt. Einen zentralen Gedenkort für die Opfer des
       deutschen Kolonialismus gibt es bisher nicht.
       
       ## Konkrete Zahlen bleibt Weimar schuldig
       
       Die nun verabschiedete Konzeption betont die nationalsozialistischen
       Verbrechen an Jüdinnen und Juden als singulär; die Übernahme der
       Verantwortung dafür gehöre „zu den ethischen Grundlagen der Bundesrepublik
       Deutschland“. Zur gesamtdeutschen Erinnerungskultur gehöre aber auch „die
       kommunistische Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR“,
       heißt es in dem Papier.
       
       Weimer versprach, dass der Bund sich auch weiterhin an der Förderung
       zentraler NS-Gedenkstätten wie Buchenwald oder Bergen-Belsen beteiligen
       werde, blieb dabei aber konkrete Zahlen schuldig. „Wir bringen
       Erinnerungspolitik ins digitale Zeitalter“, sagte der Kulturstaatsminister.
       Tatsächlich sieht das Konzept eine Stärkung digitaler Wissensvermittlung
       vor – dies auch als Folge des Verschwindens der letzten Zeitzeugen. Zudem
       sollten Forschung und Vermittlung mithilfe neuer Ausstellungsformen
       vorangetrieben werden.
       
       Die Gedenkstätten sehen sich neuen Herausforderungen ausgesetzt, so das
       Weimer’sche Konzept. Zum einen ginge es darum, ohne die Unterstützung von
       Zeitzeugen verstärkt junge Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen.
       Zum anderen drohen die Stätten des Nazi-Terrors zu zerfallen.
       
       Mehr als 80 Jahre nach Kriegsende ist die historische Bausubstanz zunehmend
       bedroht. Uwe Neumärker bezifferte den Finanzbedarf zur Sanierung alleine in
       den KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück auf 140 Millionen Euro.
       Neumärker war es auch, der an die zunehmende Bedrohung von Gedenkstätten
       und ihrer Mitarbeiter durch Leugner historischer Fakten erinnerte.
       
       ## Kritik an Ausblendung deutscher Kolonialverbrechen
       
       Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster,
       begrüßte das neue Konzept als „wichtiges Zeichen“. Der klare Fokus auf die
       Verbrechen der NS-Diktatur sende dabei angesichts der Bedrohung jüdischen
       Lebens durch den wieder aufkeimenden Antisemitismus das richtige Signal“,
       sagte Schuster.
       
       Dagegen erklärte die grüne Bundestagsabgeordnete Awet Tesfaiesus, sie
       bedaure, dass das Thema Kolonialismus in der Konzeption nicht mehr
       enthalten sei. Ein Kapitel der Geschichte, in der ein Völkermord geschehen
       sei, ließe sich nicht einfach wegreden, sagte sie der taz.
       
       Die deutsche Erinnerungskultur mache unter der neuen Regierung „einen
       deutlichen Schritt rückwärts“, beklagte der deutsche Historiker und
       Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer gegenüber der taz. Weimer missbrauche
       die Singularität des Holocaust, um das Gedenken an die Verbrechen des
       Kolonialismus zu zurückzudrängen, kritisierte er. Damit entpuppe sich der
       Kulturstaatsminister „als konservativer, kolonialapologetischer
       Kulturkämpfer“.
       
       Zimmerer warf Weimar vor, die Antwort darauf schuldig zu bleiben, weshalb
       zwar das Gedenken an Opfer kolonialer Gewalt als Relativierung des
       Holocaust angesehen werde, während das im selben Gedenkstättenkonzept
       angeführte Gedenken an die Opfer der DDR-Diktatur angeblich nicht zu einer
       ebensolchen Relativierung führe? „Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die
       die singulären Elemente des Holocaust anerkennt, ohne koloniale
       Menschheitsverbrechen wie den Genozid an den Herero und Nama zu
       bagatellisieren“, forderte Zimmerer.
       
       12 Nov 2025
       
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