# taz.de -- Geschichte der Queerfeindlichkeit: Alter Hass im neuen Gewand
> Queer- und transfeindliche Rhetorik ist heute allgegenwärtig. Das ist
> nicht überraschend, denn auch früher flammte sie stets in Krisenzeiten
> auf.
(IMG) Bild: Queer und trans sein war verboten: SA sichtet 1933 „undeutsche“ Schriften im Instiut für Sexualwissenschaft von Magnus Hirschfeld
Die AfD spricht von der „Trans Lobby“, von „Männern, die sich einbilden,
Frauen zu sein“, setzt trans Menschen mit Pädophilen gleich und nennt sie
[1][„pervers“]. In Großbritannien hat sich die „Harry Potter“-Autorin J. K.
Rowling einen Namen als Terf (trans-exkludierende radikale Feministin)
gemacht, indem sie gegen trans Menschen hetzt und [2][pseudofeministische
Frauengruppen finanziell unterstützt].
Sie erreichten mit einer Klage, dass der britische Oberste Gerichtshof
entschied, Geschlecht sei binär und Frauen nach dem „biologischen
Geschlecht“ zu bestimmen. In den USA betont Trump, es gebe nur zwei
Geschlechter, und will per Dekret [3][trans Menschen vom Frauensport]
ausschließen. In Russland wurde die „internationale LGBT-Bewegung“ [4][zu
einer „extremistischen Organisation“ erklärt].
„In Zeiten nationaler und globaler Krisen werden sexuelle und ethnische
Minderheiten häufig zum Sündenbock instrumentalisiert und für
gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht“, sagt die kanadische
Historikerin Dr. Jennifer Evans. Sie forscht zu zeitgenössischer deutscher
und europäischer Geschichte mit Schwerpunkt auf Sexualität und Geschlecht.
Marginalisierte Gruppen würden als Erklärung herangezogen, wenn
Gesellschaften Antworten auf Krisen suchten.
Wenn marginalisierte Personen Rechte oder Privilegien errungen hätten,
erlebten soziale Bewegungen zudem oft eine Gegenreaktion. „Je größer die
Sichtbarkeit, desto größer die Spannung“, erklärt Evans. Als Beispiel nennt
sie den schwulen [5][jüdischen Sexualforscher Magnus Hirschfeld], der in
den 1920er Jahren das Institut für Sexualwissenschaften in Berlin gründete
und große Fortschritte erreichte, bevor die Nationalsozialisten seine
Arbeit zerstörten und ihn ins Exil trieben.
## Kampf ist nie vorbei
Hirschfeld stand kurz davor, mit seinem Anliegen, den Paragrafen 175
abzuschaffen, erfolgreich zu sein. Der stellte bis 1994 sexuelle Handlungen
zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Hirschfeld
hinterfragte die Binarität von Geschlecht und setzte sich für die Akzeptanz
von trans Menschen ein. „Genau in dieser Phase der Sichtbarkeit begannen
die Nazis, diese Errungenschaften wieder zu untergraben“, so Evans. „Wenn
wir glauben, alles erreicht zu haben, merken wir, dass der Kampf nie
wirklich vorbei ist.“
[6][Unter der Merz-Regierung] wird, anders als in den Vorjahren, die
Pride-Flagge nicht mehr am Bundestag gehisst. Die Beschäftigten der
Bundestagsverwaltung dürfen nicht als Teil ihres queeren Netzwerks am CSD
teilnehmen. „Und das zu einer Zeit, in der wir an Universitäten eine starke
Repräsentation von Frauen und Minderheiten erleben“, sagt Evans.
Transfeindliche Sprache und Narrative verbreiten sich besonders schnell
[7][in den sozialen Medien]. Schlagworte sind dabei „Gender-Indoktrination“
oder „Gender-Ideologie“, also die Annahme, dass LGBTIQ* ihre Ansichten über
Geschlecht und Sexualität der Mehrheitsgesellschaft aufzwingen würden, oder
die Behauptung, [8][dass Kinder vor trans Menschen „geschützt“ werden
müssten].
Erst kürzlich hatte die AfD einen Antrag gestellt, das
Selbstbestimmungsgesetz, dass es trans, intergeschlechtlichen und
nichtbinären Personen erleichtert, ihren Geschlechtseintrag ändern zu
lassen, wieder abzuschaffen. [9][Bei der Sitzung] fragte die
AfD-Politikerin Birgit Bessin: „Wie steht es eigentlich um das Thema
Pädophilie?“
Evans stellt klar: „Die pauschale Annahme, dass trans Menschen Kinder
gefährden oder indoktrinieren würden, ist nicht mehr als ein
Schreckgespenst – allerdings ein mächtiges, das emotionalisiert.“
## Wut steigert Interaktionen
„Queerfeindliche Rhetorik wird oft mit dem Schutz von Kindern
gerechtfertigt, um eine ‚moralische Panik‘ auszulösen“, sagt Lisa Gaufman,
die zu politischer Theorie, internationalen Beziehungen und Medien forscht.
In der Politikwissenschaft spricht man von „Securitization“, also der
Darstellung eines Themas als Bedrohung, um politische Maßnahmen zu
legitimieren.
„Wird etwas als Gefahr für Kinder dargestellt, erzeugt das besonders starke
emotionale Reaktionen und Zustimmung in der Bevölkerung.“ Diese Strategie
funktioniert in Sozialen Medien besonders gut: Wut steigert Interaktionen
und wird von Algorithmen bevorzugt, weil sie Aufmerksamkeit und somit
Profit generiert.
Laut Gaufman spielt Wut auch in Desinformationskampagnen eine zentrale
Rolle. Aktuell arbeitet sie an dem von der [10][EU geförderten Projekt
„De-Conspirator“], das ausländische Einflussnahme durch Desinformation
untersucht. Politische Akteur*innen nutzen diese als Instrument moderner
Kriegsführung, um öffentliche Diskurse gezielt zu manipulieren und Spaltung
sowie Polarisierung zu erreichen.
Dafür werden unter anderem queere Menschen instrumentalisiert. Ein Beispiel
ist Russland, das laut einer [11][Princeton-Studie von 2024] führend bei
internationalen Online-Desinformationskampagnen ist. Eine solche Kampagne
zielte etwa auf die EU, um Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine zu
rechtfertigen und Zustimmung für den Kreml zu erzeugen.
[12][Ein zentrales Propagandaargument des Kremls]: Europa sei
„verweichlicht“, „gay“ und „moralisch verfallen“, da es LGBTIQ* akzeptiere.
Russland dagegen inszeniert sich als starkes, männlich-dominiertes Land,
das „traditionelle Werte“ verteidige und Kinder schütze.
Der Angriffskrieg solle die Ukraine vor diesem Verfall retten. „In dieser
Darstellung verkörpert Europa keine 'wahren Werte’, sondern ist von
liberaler, dekadenter LGBTIQ*-Ideologie unterwandert und verliert seine
kulturelle Identität“, sagt Gaufman. „Das knüpft an rechtsextreme
Sichtweisen innerhalb Europas an, wo ebenfalls von einem Werteverfall die
Rede ist.“
Ohne einheimische Akteure sei die Verbreitung solcher Desinformation in
Europa aber kaum möglich. „Sie knüpfen an bereits vorhandene Erzählungen
und Spannungen im jeweiligen Land an“, so Gaufman. Bei ihrer Forschung ist
sie unter anderem auf die rechtsextremen Kleinstpartei der „Freien Sachsen“
gestoßen, die über Telegram rechtsradikale, fremdenfeindliche und
queerfeindliche Inhalte teilt.
Letztes Jahr beteiligten sie sich an fünf [13][Anti-CSD-Demonstrationen]
und mobilisierten dabei hunderte Neonazis. „Rechtsradikale Gruppen in
Europa greifen gerne queerfeindliche Desinformation auf. Dabei befürworten
sie auch die Anti-LGBTIQ*-Gesetze Russlands“, so Gaufman, „Russland gilt
ihnen als Staat, in dem 'Frauen noch Frauen und Männer noch Männer sind’.“
## Diskursverschiebung Richtung rechtes Denken
Evans betont: „Russland mag vielleicht besonders effektiv darin sein,
queerfeindliches Gedankengut zu verbreiten, aber auch liberale Demokratien
sind keine sicheren Zufluchtsorte – das sehen wir in Kanada, den USA und
Deutschland.“ Hart erkämpfte Fortschritte könnten leicht wieder weggenommen
werden.
„Es ist nicht selbstverständlich, dass queere und trans Menschen in
Demokratien akzeptiert werden.“ Dass trans Personen heute weltweit am
meisten von Desinformation und Diskriminierung betroffen sind, sieht Evans
auch als Kehrseite eines grundsätzlich positiven Wandels: die zunehmende
Sichtbarkeit von trans Personen im öffentlichen Raum.
In Zeiten sozialer Spannung wurde Geschlechtsnonkonformität historisch
immer wieder als gefährlich oder bedrohlich angesehen. Im Zentrum stand
nicht die Angst vor bestimmten Identitäten, sondern vor „überschrittenen“
Geschlechtergrenzen. „Die heutige Anti-Trans- oder Anti-Drag-Rhetorik kann
als Fortsetzung dieser seit langem bestehenden Angst vor gender-crossing
gesehen werden“, erklärt Evans. Sie sieht darin heute jedoch eine
Diskursverschiebung, „ein allmähliches Einsickern rechter Denkweisen in die
politische Mitte.“
Queere Geschichte müsse daher noch sichtbarer werden – in Schulen, Museen
und Lehrbüchern. „Queer- und Trans-Geschichte ist Geschichte, kein
Sonderthema“, sagt Evans. Mit zunehmendem politischen Druck,
Budgetkürzungen sowie der aktuellen Sparpolitik werde das jedoch immer
schwieriger.
Queere Institutionen, die diese Geschichte bewahren – wie der
Sonntags-Club, das SchwuZ oder das Schwule Museum in Berlin –, haben
aktuell damit zu kämpfen. Es müsse in der Mitte der Gesellschaft ankommen,
dass trans Menschen schon immer Teil der Geschichte waren und es sich nie
nur um eine „Modeerscheinung“ oder einen „woken Zeitgeist“ gehandelt habe.
12 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.bundestag.de/mediathek/video?videoid=7635310
(DIR) [2] /Anti-trans-Urteil-in-Grossbritannien/!6082937
(DIR) [3] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-transgender-verbot-sport-100.html
(DIR) [4] /Russland-verbietet-LGBT-Bewegung/!5973323
(DIR) [5] https://www.siegessaeule.de/magazin/alle-infos-zum-magnus-hirschfeld-tag-in-berlin-2024/
(DIR) [6] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/regenbogen-bundestag-100.html
(DIR) [7] https://hateaid.org/queerfeindlichkeit/
(DIR) [8] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/queerfeindlichkeit-desinformation-100.html
(DIR) [9] https://www.bundestag.de/mediathek/video?videoid=7635326
(DIR) [10] https://deconspirator.eu/
(DIR) [11] https://esoc.princeton.edu/publications/trends-online-influence-efforts
(DIR) [12] https://detector.media/monitorynh-internetu/article/205093/2022-11-18-you-are-either-russian-or-gay-exploring-russian-lgbtiq-disinformation-on-social-media/
(DIR) [13] https://cemas.io/publikationen/neue-generation-neonazis-mobilisierung-gegen-csd-veranstaltungen/
## AUTOREN
(DIR) Selina Hellfritsch
(DIR) Clara Zink
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