# taz.de -- Die Rentenrebellen und der Kanzler: Geschichte einer Entfremdung
> Friedrich Merz und die Junge Union – das war mal ein gutes Gespann. Doch
> dann holten Regierungsrealität und Rente sie ein.
(IMG) Bild: Kanzler Merz und Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, beim Deutschlandtag im Europark Rust Mitte November
Berlin taz | Am Dienstagnachmittag spricht Friedrich Merz in der
Fraktionssitzung von CDU und CSU, die Stimmung ist angespannt. Es ist
unklar, ob [1][die Mehrheit für das Rentenpaket der Bundesregierung] steht
oder ob es hier, in diesem Saal, weiter zu viele Abweichler*innen gibt.
Wobei, es geht längst um mehr als die Rente. Es geht um die Zukunft der
Koalition. Und die Autorität des Kanzlers. Vielleicht ist es dieser
Augenblick, der den jungen Abgeordneten der Union am Ende in Erinnerung
bleiben wird. Noch mehr als der Auftritt des Kanzlers [2][auf dem
Deutschlandtag] und ihre frostige Reaktion, die über alle Kanäle liefen.
Die 18 jungen Abgeordneten von der CDU und CSU, die sich in der Jungen
Gruppe (JG) zusammengefunden haben, haben sich klar gegen das Paket
gestellt, viele andere in der Fraktion sympathisieren mit der Kritik. Weil
die schwarz-rote Koalition aber nur eine Mehrheit von 12 Stimmen hat, ist
das ein Problem. Seit Tagen nimmt sich Fraktionschef Jens Spahn die jungen
Abgeordneten in Einzelgesprächen vor, am Ende der Fraktionssitzung soll es
eine Probeabstimmung geben.
Dann spricht Merz. Er könnte jetzt um Vertrauen werben, ein bisschen tut er
das auch, ist später zu hören. Aber irgendwann sagt er diesen Satz: „Ich
sehe, wer klatscht und wer nicht.“ Hart, beinahe brutal sei das gewesen,
berichten nachher einige Abgeordnete. Für manche aus der JG klingt es wie
eine Drohung.
Friederich Merz und die Junge Union, die waren einst ein enges Gespann.
Dreimal hat Merz versucht, CDU-Chef zu werden, dreimal war die JU an seiner
Seite. Merz stand für die jungen Konservativen für alles, was sie an Angela
Merkel vermissten: für schneidige Auftritte und klare Kante, für einen
harten Kurs in der Migrationsfrage und mehr konservatives Profil. Die JU,
mehrheitlich waren das Merz-Ultras, immer schon.
## Verhältnis ist tief erschüttert
In der Berliner JU-Zentrale in der Nähe vom Potsdamer Platz hängt ein
riesiges Foto im großen Besprechungsraum. Es zeigt Merz auf dem
Deutschlandtag 2024, umringt vom JU-Vorstand, alle lachen freudig in die
Kamera, auch JU-Chef Johannes Winkel und Pascal Reddig sind dabei, die
jetzt plötzlich als Rebellen gelten. Bei einem Besuch in diesen Tagen fragt
man sich, ob das Foto wohl bald abgehängt wird. Gut ein halbes Jahr nachdem
Merz zum Kanzler gewählt wurde, ist das Verhältnis zu einer seiner
wichtigsten Unterstützergruppen tief erschüttert.
Im Wahlkampf hat Merz den Eindruck erweckt, wenn er ins Kanzleramt
einzieht, würde allein deshalb alles besser werden. Er: ein Macher. Die
politische Konkurrenz: Versager, allesamt. In der JU haben das viele
geglaubt. Oder sich zumindest diesem Rausch der Selbstgewissheit
bereitwillig hingegeben. Am Ende waren da riesige Erwartungen. Und dann ist
die Enttäuschung gewöhnlich nicht weit.
Bei der Bundestagswahl blieb die Union deutlich hinter dem Erhofften
zurück, „CDU pur“ war passé. Stattdessen: Koalitionsverhandlungen mit der
ungeliebten SPD – und die Lockerung der Schuldenbremse, die Merz im
Wahlkampf noch verteidigt hatte. Die JUler*innen, die fleißig mit kalten
Fingern Plakate aufgehängt und in den sozialen Netzwerken Merz’ Fanpost
verbreitet hatten, aber hatten daran geglaubt. Viele von ihnen haben mit
dem Thema Generationengerechtigkeit Wahlkampf gemacht, mit der schwarzen
Null und [3][mit Rentenpolitik]. Und jetzt das. Plötzlich war da ein Riss
zwischen der JU und dem Kanzler.
Winkel, der JU-Chef, und Reddig, der inzwischen JG-Vorsitzender ist, sind
beide neu im Bundestag. Zum Team „Kanzlerwahlverein“ gehören sie nicht, das
merkt man schnell, wenn man mit ihnen spricht. Beide sind angetreten, um
etwas für ihre Generation zu verändern. Nicht irgendwann, sondern jetzt. In
das komplizierte Thema Rente haben sie sich eingegraben. Und im Rentenpaket
von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas eine Formulierung entdeckt, die sie
für problematisch halten. Im Kanzleramt und in der Fraktionsführung
versteht man zu diesem Zeitpunkt nicht, wie viel Konfliktpotenzial darin
steckt.
## Die jungen Abgeordneten setzten auf Veränderungen
Es gehe ihnen nicht, das beteuern die Jungen, um die Haltelinie, also das
Festschreiben des Rentenniveaus bei 48 Prozent des Durchschnittseinkommens
bis 2031. Darauf hatten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag
verständigt. [4][Es gehe um einen Satz in Bas Gesetzentwurf,] der ihrer
Ansicht nach über den Koalitionsvertrag hinausgeht und bis 2040 120
Milliarden Euro zusätzlich kosten könnte.
Noch vor der Sommerpause ziehen sie gegen diesen Satz zu Felde, machen die
Fraktionsführung aufmerksam, sprechen das Thema im CDU-Bundesvorstand an.
Konsequenzen? Keine. Anfang August geht Bas’ Entwurf einstimmig durch das
Kabinett. Die jungen Abgeordneten setzen jetzt auf Veränderungen während
des Verfahrens im Bundestag. Immer wieder bringen sie ihre Kritik vor, doch
das scheint niemanden zu kümmern.
„Das Rentenpaket ist aus Sicht der Jungen Gruppe nicht zustimmungsfähig“,
heißt es in einem Papier, über das Mitte Oktober zuerst der Spiegel
berichtet. Erst jetzt wird der Unionsspitze offenbar klar, wie ernst es die
jungen Abgeordneten meinen. Und dass 18 Stimmen auf dem Spiel stehen, die
gebraucht werden. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Merz und Spahn,
der die Mehrheit eigentlich organisieren muss, ihre Karrieren zum großen
Teil selbst auf innerparteilichem Widerstand aufgebaut haben.
Unter Merkel hätten die jungen Abgeordneten jetzt Anrufe bekommen, erst vom
Geschäftsführer der Fraktion, dann von deren Vorsitzenden, am Ende
vielleicht aus dem Kanzleramt. Die Ansprache und der Druck wären stetig
gestiegen. Aber jetzt: Der Geschäftsführer und der Vorsitzende der Fraktion
lassen Sympathie für die Kritik durchblicken. Man habe mit der SPD eine
Verabredung bis 2031, aber nicht darüber hinaus, sagt Merz Ende Oktober
sogar öffentlich. Und: „Genau darüber werden wir mit der SPD reden.“ Die
jungen Abgeordneten glauben: Merz kämpft in ihrem Team. Das macht alles
noch schlimmer.
## Dann folgt Alarmstufe rot
Als Bild knapp zwei Wochen später online titelt „Merz lässt für Bas die
Renten-Rebellen fallen“, fühlt sich die JG verraten. Eine Woche vor ihrem
Deutschlandtag, auf dem Merz als Redner geladen ist – und wo er bisher
stets frenetisch bejubelt wurde. Jetzt dagegen: Alarmstufe rot.
Der Kanzler könnte nun im Vorgespräch mit dem JU-Chef klärende Worte
wechseln, um Verständnis werben – aber er redet lieber mit den Betreibern
des Freizeitparks Rust, in dem die Veranstaltung stattfindet. Dann fordert
er in der Aussprache von der JU Konstruktivität und wirft den Delegierten
einen „Unterbietungswettbewerb“ bei der Rente vor. Am Ende ist dröhnendes
Schweigen. Es folgen ein Koalitionsausschuss mit der Zusage, dass Bas’
Gesetzentwurf „auf Wunsch der SPD“ unverändert vom Bundestag verabschiedet
werden soll.
Der JG trägt man erst einen ergänzenden Entschließungsantrag mit lauter
Prüfaufträgen für die Rentenkommission an, manche davon durchaus in ihrem
Sinne. Später kassiert man ihn wieder, weil der mächtigen
Mittelstandsvereinigung der Union andere Aufträge nicht gefallen. Noch
nicht einmal bei unverbindlichen Versprechungen stehe ihre Spitze, so
dürften das manche der jungen Abgeordneten empfunden haben.
Aus dem Riss zwischen Bundeskanzler und dem Parteinachwuchs ist längst ein
tiefer Spalt geworden, der bleibt. Auch wenn die von Merz faktisch
eingeforderte Kanzlermehrheit für das Rentenpaket am Freitag bei der
Abstimmung im Bundestag erreicht wurde.
5 Dec 2025
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## AUTOREN
(DIR) Sabine am Orde
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setzen.