# taz.de -- Kreditgeber gesucht: Die Schanze hat ein Herz aus Gold
       
       > Die „Buchhandlung im Schanzenviertel“ stemmt sich gegen die
       > Gentrifizierung in Hamburgs Ausgehviertel. Damit das so bleibt, sucht sie
       > Unterstützer.
       
 (IMG) Bild: Goldige Aussichten im Schanzenviertel
       
       In den Schaufenstern ist in rosa Plüschlettern „Betongold – och nö“ zu
       lesen. Und danach sieht es auch gar nicht aus. Die weiße Farbe blättert von
       der schmucklosen Backsteinfassade, manche Fenster müssten mal gemacht
       werden. Soll der Slogan also auf eine Bedrohungslage aufmerksam machen?
       
       Es ist schließlich das Hamburger Schanzenviertel, das Epizentrum der
       Gentrifizierung, genauer: das Schulterblatt. So heißt die Straße, in deren
       Gehwegpflaster man noch die historischen Grenzsteine zwischen Hamburg und
       Altona findet. Obwohl ein paar Häuser weiter auch das a[1][utonome Zentrum
       Rote Flora] liegt, hat Immobilienbesitz hier schon manche Nase vergoldet.
       Oder vielleicht sogar wegen der Flora, wer weiß das schon so genau.
       
       ## Das Haus denen, die drin wohnen
       
       Neugierig macht der Schriftzug jedenfalls. Im Schaufenster wird alles
       erklärt: dass das Haus denen gehört, die drin wohnen und arbeiten. Wie sie
       es dem letzten privaten Eigentümer abgekauft haben, mithilfe der
       „[2][Likedeelerei] – Syndikat für solidarisches Wohnen“. Und warum sie
       dafür immer mal wieder frisches Geld brauchen.
       
       Der Laden dahinter heißt [3][„Kaosk e. V.“] Man bekommt dort, wenn offen
       ist, Kunst und Accessoires wie „FCK AFD“-Socken oder Schlüpfer mit dem
       Aufdruck „Matriarchat“. Und, wenn man Glück hat, den [4][fairsten Kaffee
       der Welt], der praktischerweise auch einer der leckersten ist.
       
       Hauptmieter und Keimzelle des Haus-Kollektivs ist aber die linke
       Buchhandlung. Dass sie links ist, erkennt man am etwas spröden Namen
       „Buchhandlung im Schanzenviertel“, an dem roten Keil, der sich in den
       Schriftzug schiebt – und, natürlich, am Programm: Antifakalender,
       Flugschriften mit Titeln wie „Faschistische Ideologie“ oder „Code und
       Vorurteil“, deren nüchterne Cover sagen wollen: Auf den Inhalt kommt es an!
       
       Aber auch viel migrantische Literatur gibt es, sogar Bestseller wie
       [5][Édouard Louis’ Klassenroman „Der Absturz“], im Schaufenster auf einer
       alten Bierbank drapiert. Weiter hinten stapeln sich Pflastersteine, als
       wären sie von der letzten Straßenschlacht liegengeblieben. Die
       Auszeichnungen vom Deutschen Buchhandlungspreis kleben ein bisschen
       verschämt am Rand der Schaufensterscheibe.
       
       Die beiden Ladengeschäfte ragen tief in den Hinterhof, lassen nur einen
       schmalen Gang. Dahinter steht, beschirmt von einer mächtigen Atlaszeder,
       noch ein Gebäude in bröckelndem, grauem Putz. Oben sind Ateliers, überm
       knapp stehhohen Zwischengeschoss, in dem zuletzt die Werkstatt von Herrn
       Hansen war, dem letzten Eigentümer. Der Werkzeugkasten hier ist offen, eine
       Flasche Öl steht auf dem Tisch – als hätte sich Herr Hansen nur kurz zu
       einem Mittagsschläfchen hingelegt. Dabei ist er vor Jahren gestorben.
       
       Herr Hansen wurde in diesem Haus geboren und hatte dort sein ganzes Leben
       verbracht. Er mochte das Schanzenviertel so, wie es war, und wollte, dass
       es so bleibt. Statt an Spekulanten, die sein Haus abgerissen und neu gebaut
       hätten, hat er es an die Nutzer:innen verkauft. Die nennen es bis heute
       nach ihm: „Hansenhaus“.
       
       Hansen hat ihnen viel erzählt. Von den alten Zeiten, als in seiner späteren
       Werkstatt eine Schwarzbrennerei war. Auch von der Franzosenzeit. Damals
       sollen Napoleons Truppen von der Sternschanze aus mit einer Kanonenkugel
       auf das Haus geschossen haben. Oder doch eher auf einen Vorgängerbau? Denn
       so ganz kann das nicht stimmen, das heutige Haus wurde erst Mitte des 19.
       Jahrhunderts gebaut. Jedenfalls pflegte Hansen zu erzählen, wie seine
       Familie die Kanonenkugel in Ehren gehalten und irgendwann sogar vergolden
       lassen habe. Er will sie einem Waffensammler aus der nahen Bartelsstraße
       geschenkt haben. Der habe sich später versehentlich erschossen – und die
       Kugel sei seither verschollen.
       
       ## Neue Kredite werden gesucht
       
       Die heutigen Eigentümerinnen haben ihr Projekt trotzdem „Die goldene
       Kanonenkugel“ genannt. Das Eigenkapital dafür haben sie mit Privatkrediten
       zusammengesammelt. Und die laufen nun teilweise aus. Deswegen, und auch,
       weil Sanierungen in dem alten Haus viel Geld verschlingen, suchen sie nun
       neue Kreditgeber:innen. „Am liebsten viele Kleinkredite“, sagt Nina. Aber
       nicht nur Geld, auch Handwerker:innen werden gesucht, mit Lust auf ein
       solidarisches Projekt, in dem viel in Eigenleistung geschieht.
       
       Irgendwann übrigens werden auch sie nicht drum herumkommen, das marode Haus
       abzureißen und neu zu bauen. Vielleicht sogar ein Stockwerk höher. „Dann
       könnten wir noch mehr günstigen Wohnraum schaffen“, sagt Nina, die in der
       Wohnung des alten Hansen lebt. Der hätte dann zwar nicht sein Haus
       gerettet. Aber ein Stück längst vergangen scheinenden Lebens im
       Schanzenviertel. Und natürlich den Buchladen.
       
       22 Nov 2025
       
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 (DIR) Jan Kahlcke
       
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