# taz.de -- Zurück in die Zukunft: Das Gewusel der Studierenden in Münster von damals
> Unser Autor besucht das Institut für Kommunikationswissenschaften in
> Münster, wo seine Karriere begann. Vor 40 Jahren. Ein nostalgischer
> Rundgang.
(IMG) Bild: Und innen die weite, geschwungene Treppe: im Institut für Kommunikationswissenschaften in Münster
Vor über 40 Jahren war ich zuletzt hier, im [1][Institut für
Kommunikationswissenschaft der Universität Münster] am Bispinghof. So sah
das aus?! Das klobige Gebäude mit den typisch münsterschen rotbraunen
Backsteinen, dazu kontrapunktisch diese halbrunde gläserne Rotunde als
Eingang. Und innen die weite, geschwungene Treppe nach oben. Scheint noch
genau wie damals.
Später Freitagnachmittag, alles sehr leer. Ich versuche, mich
zurückzufühlen in das Gewusel der Studierenden von damals, 1981/82.
Marginal kommen Erinnerungen hoch. Es riecht wie damals, bilde ich mir ein,
eine Mischung aus Papiersäure, Ausdünstungen von Kopierern, Hirnschmalz und
Studischweiß.
Das Leben, dieses hinterhältige Luder, kennt in seinem Lauf immer neue
Kreuzungen, Abzweigungen, auch Stopschilder. Manchmal ist alles im Flow.
Manchmal aber stockt es, man zweifelt, ob die Richtung stimmt. Ist mein Weg
vielleicht eine Sackgasse ohne Abbiegemöglichkeit? Ein Zufallsfund hier am
Institut für Publizistik, wie es damals noch hieß, war meine große
unerwartete Wegkreuzung.
Eigentlich studierte ich Volkswirtschaft. Ohne jegliche Lust. Vorlesungen?
Meist ignoriert. Scheine? Zusammengeschummelt. Vor allem wusste ich null
Komma null, was tun mit dem möglichen Diplom. Schreiben, ja, das machte
immer Spaß, für unsere Fachschaftszeitung WiWisch, deren Texte oft so schön
albern waren wie der Name. Ich hatte sogar ein Buch für einen winzigen
Kölner Verlag geschrieben, ein Bändchen mit Tipps für das erfolgreiche
Wirtschaftsstudium …
## Einen Fuß in die Tür bekommen
Ein journalistisches Praktikum hätte ich gern gemacht, egal wo, notfalls in
der Pressestelle eines Unternehmens. Einen Fuß in die Tür bekommen. Nicht
mal Antworten kamen. Die örtliche Zeitung riet: „Versuchen Sie es in drei
Jahren noch einmal.“ Und ein halbes Jahr später saß ich den
Redaktionsräumen der Zeit in Hamburg.
Weil ich im richtigen Moment am richtigen Ort war, eben hier. Ich schrieb
meine VWL-Diplomarbeit im Wahlfach Soziologie (am Institut von Professor
Ulrich Beck, der später in München zum Star seiner Zunft wurde) über
Wissenschaftsjournalismus in der Tagespresse und ging zur Recherche
hierhin, in die Publizistenbibliothek. Wühlte mich durch Kataloge,
blätterte in Büchern, kopierte Seiten, lieh manches aus.
So ging das damals halt. Da fiel mir zufällig diese unscheinbare Broschüre
der Robert-Bosch-Stiftung in die Hände, mit der Ankündigung eines neuen
Förderprogramms für angehende Wissenschaftsjournalisten. Ach, mein Thema,
passt ja. Also beworben. Und völlig überraschend genommen worden.
Aus zwei Glücksgründen: Das Programm war neu, es gab nur 40 Bewerbungen für
20 Plätze, wie ich später erfuhr. Und ich war zwar jenseits der
Zielklientel: Biologen, Medizinerinnen, Physiker, die die Stiftung anfixen
wollte, ihr Fachwissen vielleicht journalistisch zum Wissenstransfer zu
nutzen. Aber so ein Student, der sich genau mit diesem Thema theoretisch
beschäftigt, schien der Stiftung als Exot auch ganz brauchbar.
## Zettel – so ging Kommunikation
Jedenfalls: Sensationell gut bezahltes Stipendium (800 Mark monatlich) für
sechs Monate Praktika. Ich landete bei der Zeit, dem WDR-Hörfunk, der WAZ.
Und schon war ich mittendrin im Schreiberwerden. Die Broschüre hatte mein
Leben komplett umgekrempelt. Ohne diesen Fund wäre ich wahrscheinlich nie
Journalist geworden.
Diese Geschichte habe ich oft erzählt, wenn Leute nach meinem Werdegang
fragten. Aber jetzt vor Ort herumzuschnüffeln, das ist anders, direkter.
Den Bibliotheksraum zu suchen, wo die Bosch-Broschüre in irgendeinem Regal
herumstand.
Hier in den Fluren waren doch überall meterweit Aushänge: Plakate für
Konzerte, Aufrufe zur aktuellen Revolte, Unterschriftenlisten und Zettel
für Wohnungssuche, WG-Angebote, Verkäufe von Skriptmitschriften, „Hoch die
… nieder mit“-Pamphlete, auch Hinweise des Instituts zu Raumänderungen oder
Seminarausfällen. Zettelwirtschaft – so ging Kommunikation auch am Institut
für Kommunikationswissenschaften, das bis 1998 eben Institut für
Publizistik hieß.
Eine Bürotür steht offen. Eine junge wissenschaftliche Mitarbeiterin fragt
freundlich nach meinem Besuchsgrund. Sie staunt: „Echt? Toll. Nach so
langer Zeit. Suchen Sie! Alle Türen stehen Ihnen offen.“ So gehe ich durch
den langen weißen Gang, gucke in alle Räume. War hinter dieser Holztür der
eine Bibliotheksraum? Die Bildschirme auf den Schreibtischen gab es noch
nicht, dafür fehlen heute die Flugblätter und überquellenden Pinnwände.
Bücherregale hat jeder Raum, aber den einen kann ich nicht identifizieren.
Schade, aber auch nicht so wichtig.
## „Werdet freche Journalisten!“
Namen der Profs fallen mir ein: Lerg, Weischenberg, Hackforth. [2][Bernd
Blöbaum], der seit Jahren Erhebungen zur taz-Leserschaft macht, ist hier
heute noch zugange, als Seniorprofessor. Die Publizisten galten immer als
streng links, wie auch die Politologen im selben Gebäude, wohltuend anders
als die sonst so konservative Uni in der tiefschwarzen Bischofsstadt
Münster, die jetzt einen grünen Oberbürgermeister hat.
„Und, gefunden?“ Ich erzähle der Mitarbeiterin, dass ich neben meinem
lustfreien VWL-Studium ein paar Veranstaltungen an ihrem Institut besucht
und ein paar Scheine gemacht hatte. „Bei einem Seminar über
Fernsehunterhaltung waren Größen wie Alfred Biolek und Elke Heidenreich als
Referenten hier.“
„Echt, Elke Heidenreich war bei uns?“ Die kennt die junge Frau sogar. Mit
Heidenreich hatte ich, weil Kommilitone Hergen und ich einen Text über den
Besuch für die Institutszeitung verfasst hatten, 1981 noch zwei oder drei
Briefe hin und her geschrieben, nach Baden-Baden, wo sie lebte. Einer von
ihr endete: „Werdet viele freche Journalisten!“
Das VWL-Studium habe ich vor den Examensprüfungen erfolgreich abgebrochen.
Der Uni-Mitarbeiterin erzähle ich noch: Ohne den Bibliotheksfund hier hätte
ich keine 14 Bücher geschrieben oder herausgegeben, keine fast 100 Texte in
der Zeit und für die Süddeutsche, keine weit über 1.000 in der taz. „Und
alles fing hier bei uns an?!“, sagt sie, „darüber müssen Sie unbedingt mal
schreiben.“ Ich: „Na ja, aber interessiert das denn wen?“
Na, vielleicht doch Leute, die gerade denken, wie geht es nur weiter bei
mir? Oder deren Kinder und Enkel nicht wissen, wohin nur. Glückliche
Zufallsmomente lauern immer. Ich schwinge mich die Treppen wieder runter,
vorbei an der gut erinnerlichen riesigen bunten Wandkunst, wie von einem
Westfalen-Kandinsky geschaffen. Blick nach draußen: an den Bügeln Unmengen
Fahrräder. Klar, Münster – aber gab es so viele Räder eigentlich damals
schon?
Meine Diplomarbeit hatte übrigens nur eine 2 bekommen. Begründung: einzelne
Nachweisschwächen, vor allem aber: „zu viel journalistischer Stil“. Mission
früh accomplished, Elke.
17 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.uni-muenster.de/Kowi/
(DIR) [2] /Das-taz-Publikum-erwartet-Haltung-vom-taz-Journalismus/!5684449/
## AUTOREN
(DIR) Bernd Müllender
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Stadtland
(DIR) wochentaz
(DIR) Studentenzeit
(DIR) Münster
(DIR) Karriere
(DIR) Schwerpunkt Stadtland
(DIR) Schwerpunkt Stadtland
(DIR) Schwerpunkt Stadtland
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Forschungsort mit Nobel-Bezug: Wo das Dynamit erfunden wurde
Nicht weit von Hamburg hat Alfred Nobel erstmals Dynamit hergestellt. Mit
dem Helmholtz-Zentrum Hereon gibt es da nun weniger explosive
Spitzenforschung.
(DIR) Kreditgeber gesucht: Die Schanze hat ein Herz aus Gold
Die „Buchhandlung im Schanzenviertel“ stemmt sich gegen die Gentrifizierung
in Hamburgs Ausgehviertel. Damit das so bleibt, sucht sie Unterstützer.
(DIR) Kürzungen in Berlin: Das Spiel ist aus
Weil der Berliner Senat weniger Mittel zur Verfügung stellt, müssen
Spielplätze zurückgebaut werden. Ein Besuch auf dem „Jockel“, einem Opfer
der Kürzungen.