# taz.de -- Musikalischer Widerstand in Russland: Wenn die Schwäne tanzen, zittert Opa Putin am See
       
       > Die Band Stoptime spielte in Sankt Petersburg Musik „ausländischer
       > Agenten“. Die Band wurde verhaftet, im ganz Russland poppten daraufhin
       > Flashmobs auf.
       
 (IMG) Bild: Diana Loginowa auf dem Weg in den Gerichtssaal, wo sie wegen Organisierens einer Versammlung zu 13 Tagen Haft verurteilt wurde
       
       Vor wenigen Tagen, am 15. Oktober 2025, wurde die russische Musikerin Diana
       „Naoko“ Loginowa verhaftet, nachdem sie bei einem Straßenkonzert mit ihrer
       Band Stoptime auf dem Newski-Prospekt im Stadtzentrum von Sankt Petersburg
       regierungskritische Songs gespielt hatte.
       
       Die 18-jährige Musikstudentin mit markanter platinblonder Frisur und Brille
       sang Lieder von Musiker:innen, die in Russland [1][als „ausländische
       Agenten“ eingestuft sind] und im Exil leben. Zu ihren Konzerten hatten sich
       zahlreiche junge Menschen mitten in der Stadt versammelt. Die Verhaftung
       der jungen Musikerin machte in russischen Exilmedien und auf Social Media
       schnell die Runde.
       
       Am Tag nach Loginowas Festnahme wurde sie wegen Organisierens einer nicht
       genehmigten öffentlichen Versammlung zu 13 Tagen Haft verurteilt. Auch ihre
       Bandkollegen Wladislaw Leontijew und Alexander Orlowski wurden zu
       Haftstrafen in dieser Länge verurteilt. Es könnte noch ein Verfahren für
       einen weiteren Tatbestand, für die sogenannte „Diskreditierung der
       russischen Armee“, folgen.
       
       Laut dem russischen Gericht hätten die drei am Abend des 11. Oktober im
       Vorraum der U-Bahn-Station Ploschtschad Wosstaniyja in Sankt Petersburg
       „eine Massenveranstaltung mit mindestens 70 Personen organisiert, bei der
       sie unerlaubt eine Verstärkeranlage aufgestellt und ein Lied gesungen
       haben, „ohne diese kulturelle Massenzusammenkunft mit der Stadtverwaltung
       abzustimmen“. Im Verlauf „dieser Aktion“ sei es angeblich zur „Behinderung
       des Fußgängerverkehrs und des Zugangs der Bürger zu
       Verkehrsinfrastruktureinrichtungen“ gekommen – offensichtlich ein
       herbeigezauberter Vorwand, um die unliebsamen Musiker:innen mundtot zu
       machen.
       
       ## Gegen den Krieg und die Hasspropaganda des Regimes
       
       Nach der Verurteilung der Band organisierten junge Straßenmusiker in
       verschiedenen russischen Städten Solidaritäts-Flashmobs und spielten
       ebenfalls Songs von „ausländischen Agenten“. Videos dieser Auftritte
       landeten im Internet, was in Russland nicht ungefährlich ist.
       
       Denn kurz vor den Verhaftungen von Stoptime zirkulierte im Internet ein
       Video von einem Straßenkonzert der Band, bei dem sie den Song „Kooperative
       Schwanensee“ des russischen Rappers Noize MC spielen.
       
       Jener Protestsong, den Noize MC 2022 nur kurz nach Beginn der russischen
       Großinvasion in die Ukraine veröffentlicht hatte, wurde von einem
       russischen Gericht im Mai als „extremistisch“ eingestuft. Darin kritisiert
       der Rapper den Krieg, die Staatspropaganda [2][mit hasserfüllten Talkshows
       von Moderatoren wie Wladimir Solowjow] sowie das mangelnde
       Verantwortungsbewusstsein der russischen Gesellschaft: „Wo wart ihr acht
       Jahre lang, ihr verfickten Unmenschen! / Ich will Ballett sehen / Lasst die
       Schwäne tanzen! / Lasst den Opa um seinen See zittern! / Weg mit Solowjow
       vom Bildschirm – lasst die Schwäne tanzen!“
       
       Mit „dem Opa“ ist wohl Putin gemeint, und „Schwanensee“ ist nicht nur das
       Ballett von Tschaikowski, sondern auch eine Metapher für den Zusammenbruch
       der politischen Ordnung. Während des Augustputsches 1991 wurde das Ballett
       „Schwanensee“ im russischen Fernsehen in Dauerschleife ausgestrahlt, zuvor
       aber auch schon anlässlich des Todes des sowjetischen Machthabers Leonid
       Breschnew im Jahr 1982. Der Titel „Schwanensee“ ist politisch aufgeladen,
       als Symbol für große politische Umwälzungen, die der Kreml jedoch vor der
       Bevölkerung zu verstecken versucht.
       
       Der Songtitel „Kooperative Schwanensee“ ist zugleich auch eine Referenz an
       eine exklusive Datschenkooperative namens „See“, eine Art Männerbund rund
       um Putin. Die putintreue Propagandistin Marina Akhmedova hatte
       regierungsfreundliche Kreise bereits zuvor auf Stoptime aufmerksam gemacht.
       Sie hatte der Band am 13. Oktober einen denunziatorischen Telegram-Post
       gewidmet. Stoptime stellte daraufhin Vorankündigungen ihrer Auftritte ein
       und bat darum, aus Sicherheitsgründen keine Aufnahmen mehr ins Netz zu
       stellen. Inzwischen sind alle Einträge aus Naokos Social-Media-Konten
       gelöscht.
       
       22 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Russische-Buchbranche-in-Bedraengnis/!6092370
 (DIR) [2] /Russische-Propaganda-fuer-Kinder/!6098807
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Yelizaveta Landenberger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Russland
 (DIR) Widerstand
 (DIR) Musik
 (DIR) Kolumne Eastsplaining
 (DIR) Pop
 (DIR) Kolumne Stadtgespräch
 (DIR) Neues Album
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Ideologie
 (DIR) Buchmarkt
 (DIR) Pussy Riot
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ein Museumsrundgang in der Südukraine: Auf Mykolajiw!
       
       Eine Stadtführung landet in einem Museum in der südlichen Ukraine. "Wir
       haben die Exponate gut vor Luftangriffen versteckt", sagt die Angestellte.
       
 (DIR) Russischer Popstar Monetochka: Sie vergießt keine Tränen für die alte Heimat
       
       Der russische Popstar Monetochka lebt im Exil und engagiert sich gegen den
       Krieg. In Russland entfalten ihre Songs enorme Wirkung. Nun geht sie auf
       Tour.
       
 (DIR) Straßenmusik in Russland: Im Karussell der Repression
       
       In Sankt Petersburg werden Bands von der Polizei angefeindet. Nicht selten
       landen sie im Gefängnis. Ans Aufhören denken sie trotzdem nicht.
       
 (DIR) Aus Solidarität mit den Bäumen: Wenn der Wald ruft, antwortet Musik
       
       Einem Wäldchen in Berlin-Neukölln droht die Abholzung. Martin Hossbach hat
       zur Gegenwehr „Emmi Aid“ initiiert, ein Album mit 57 Songs für den Wald.
       
 (DIR) Sanktionen gegen Russland: Was wie ein Doppelwumms scheint …
       
       … ist kein perfekter Schulterschluss gegen Russland. Trotz neuer Sanktionen
       von USA und EU besteht Uneinigkeit über den Umgang mit dem Kriegstreiber
       
 (DIR) Russische Propaganda für Kinder: Ideologie im Sandkasten
       
       In Russland wird jetzt auch Kinderfernsehen zur ideologischen Waffe. Wie
       Russland seine Jüngsten mit Propaganda füttert – auch in Zeichentrickform.
       
 (DIR) Russische Buchbranche in Bedrängnis: Die Angst ist überall
       
       Weil sie „Aktivitäten der LGBT-Bewegung propagiert“ haben sollen, sind drei
       Verlagsmitarbeiter in Moskau unter Hausarrest. Bis zu zwölf Jahre Haft
       drohen ihnen.
       
 (DIR) Pussy Riot für Ukraine: Maria, erlöse uns von Putin
       
       Einfache, aber keine vereinfachenden Wahrheiten: Die russische Punkband
       Pussy Riot kam mit einem Drei-Punkte-Appell in die Berliner Volksbühne.