# taz.de -- Hindenburg vom Straßenschild vertrieben: Sozialdemokratisches Hochamt
       
       > Zu Bach-Variationen Hindenburg gecancelt: In Hamburg ist nun auch das
       > letzte Stück Straße nicht länger nach dem Hitler-Ermöglicher benannt.
       
 (IMG) Bild: Traute Lafrenz war eine prominente Widerständlerin gegen den NS-Staat
       
       [1][Bach] geht immer. Also, als Musik in einer Kirche. In diesem Fall ist
       es allerdings gar nicht der Gläubigste unter den musikalischen
       Mathematikern (beziehungsweise Mathematiker unter den Gläubigen) selbst: Da
       vorne spielt Saxofonistin Theresa Sophie Kanitz eine, eben,
       [2][Bach-Variation ihres recht bekannten Kollegen David Salleras]. Dafür
       gibt es Applaus, ja: in der Kirche. So wie schon für die Interpretation des
       irischen Tränenzieher-Traditionals „The Last Rose of Summer“. Und für ein
       eingangs gespieltes [3][Stück des quicklebendigen Christopher Evan Hass],
       in dem der seit Jahrhunderten tote Thomaskantor doch auch herumspukt.
       
       Die Musik gliedert diese Gedenkstunde in der Hamburg-Alsterdorfer
       Martin-Luther-Kirche: ein nachkriegsmodernes Gebäude, erbaut 1961–63 von
       [4][Henry Schlote], heftpflasterfarben und verkehrsumtost. Diese – [5][in
       den Worten der Gemeinde selbst] – „prominente Lage“ ist wichtig. Denn der
       motorisierte Verkehr, aber auch gar nicht wenige Radler:innen passieren
       das Gebäude auf einer Bebelallee. Und es ist eine dann doch auch sehr
       sozialdemokratische Feierstunde, zu der an diesem Freitagnachmittag gebeten
       wird. Vielleicht sagen wir daher auch besser: Gestaltet hat den Bau der in
       Norddeutschland einst einflussreiche Kirchenarchitekt Schlote – gebaut
       haben sie wohl immer noch heute namenlose Arbeiter.
       
       Um Namen aber geht es. Die Bebelallee trifft da draußen auf die … nun, bis
       vor Kurzem wäre es eine Hindenburgstraße gewesen. Nach dem Hitler-Enabler
       sind bis heute in ganz Deutschland immer noch [6][knapp 100 Straßen, Dämme,
       Ringe und derlei] benannt, und bis zum 1. August war das auch die hier im
       Bezirk Hamburg-Nord. Ihr südliches Ende trägt seit gut zehn Jahren, die
       Mitte seit einigen Monaten einen anderen Namen: den des vielleicht
       mutigsten Hamburger, den die deutsche Sozialdemokratie je hervorbrachte.
       Das war gar nicht [7][jener Altbundeskanzler], der etwas weiter nördlich,
       in seinem Langenhorner Neue-Heimat-Backstein-Doppelhaus, [8][gerne auch mal
       Bach spielte]. Nein, nach Otto Wels heißt sie, der 1933 die letzte freie
       Rede im Reichstag hielt, wider das nationalsozialistische
       „Ermächtigungsgesetz“.
       
       Stolz sein könne die Stadt aber auch auf die neue Namensgeberin, das werden
       Vertreterinnen von Bezirksamt, -versammlung und Senat nicht müde zu
       unterstreichen: Nach Traute Lafrenz heißt künftig das verbliebene
       nördlichste Stück mitsamt einer nun ehemaligen Hindenburgbrücke. Traute
       Lafrenz aber, das war eine prominente Widerständlerin gegen das, dem
       Hindenburg den Weg geebnet hatte, das ist der Hamburger Zweig der „Weißen
       Rose“ – allervorzeigbarstes Deutschland also.
       
       ## Im Rest der Straße hängt der neue Name schon
       
       Darüber wird Einigkeit bestehen unter den rund 50 Anwesenden im
       Kirchensaal, auf dessen weiß getünchte Wände immer wieder mal Sonnenlicht
       fällt, bunt gefärbt durch die imposante südliche Fensterwand. Ein wenig
       früher noch schien es der Himmel dagegen gut zu meinen mit dem historischen
       Steigbügelhalter: Es goss wie aus Kübeln, jede Aktion im Freien wäre
       unmöglich gewesen. Gegen 17 Uhr spielt die Sonne aber mit, das letzte
       Traute-Lafrenz-Schild (mit üppigen drei Zeilen Kommentar darunter) kann vor
       Publikum und auch ein paar Kameras von seiner Stoffhülle befreit werden –
       im Rest der Straße hängt der neue Name da schon längst.
       
       Dunkle Wolken hängen über so einer Aktion aber auch bei bestem Wetter: Dass
       Straßenumbenennungen regelmäßig auf Widerstand stoßen, dass sie dauern
       können und einen sehr langen Atem erfordern, auch daran wird an diesem
       Nachmittag erinnert. Ins Jahr 1988 datiert Wolfgang Kopitzsch die Anfänge
       des Engagements für einen anderen Namen. Das sei nun zu einem für ihn sehr
       erfreulichen Ende gekommen, sagt der ehemalige Bundesvorstand des
       Arbeitskreises ehemals verfolgter und inhaftierter Sozialdemokraten.
       [9][Der Historiker] war von 2012 bis 2014 auch Hamburgs Polizeipräsident
       und lebt seit Jahrzehnten hier im Stadtteil.
       
       Ganz zum Schluss spielt Theresa Sophie Kanitz nochmal, nun soll gemeinsam
       gesungen werden: „Die Gedanken sind frei“. Wer will, darf, nein, soll eine
       Rose mitnehmen.
       
       5 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Johann-Sebastian-Bach/!t5011756
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=BU7UEeOGSMA
 (DIR) [3] https://www.youtube.com/watch?v=0I6zyw65XsM
 (DIR) [4] https://moderne-kirchen.sh-kunst.de/architekt/henry-schlote/
 (DIR) [5] https://www.martin-luther-alsterbund.de/architektur-der-martin-luther-kirche
 (DIR) [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Hindenburgstra%C3%9Fen
 (DIR) [7] /Helmut-Schmidt/!t5009261
 (DIR) [8] /Biograf-ueber-Helmut-Schmidt-am-Klavier/!5834124
 (DIR) [9] /Ex-Polizeipraesident-ueber-Shoah-Gedenken/!5666585
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Diehl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hindenburg
 (DIR) Hamburg
 (DIR) SPD
 (DIR) Straßennamen
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Kolumne Großraumdisco
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Geschichtspolitik
 (DIR) NS-Widerstand
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) Hindenburg
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Gedenken
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ferienfeeling in Frankreich: Zwischen deutschen Nummernschildern
       
       Das Rauschen des französischen Atlantiks in allen Ehren. Aber einfacher ist
       der Urlaub schon, wenn die anderen auf dem Campinglatz auch aus Deutschland
       kommen.
       
 (DIR) Alle Jahre wieder die Perseiden: Das Universum ist für alle da
       
       Raus aus dem Elfenbeinturm mit der Astronomie, rein ins kostenlose
       Vergnügen: Sternschnuppen gucken in der Berliner Archenhold-Sternwarte.
       
 (DIR) Hindenburgstraße in Hamburg: Keine Ehre mehr, wem keine gebührt
       
       Linke, Grüne und SPD wollen den Namen von Hitlers Steigbügelhalter aus
       einem Straßennamen streichen. Anwohner*innen sollen mithelfen.
       
 (DIR) Hamburger Heldengedenken: About Schmidt
       
       Vor fast genau fünf Jahren ist Altkanzler Helmut Schmidt gestorben. Wie
       erinnern sie sich in der ach so nüchternen Hansestadt an ihren Helden?
       
 (DIR) Contra & Contra Altkanzler-Ehrung: Eine Straße für Helmut Schmidt?
       
       In Hannover streitet die SPD darüber, ob die Hindenburg-Straße in
       Helmut-Schmidt-Straße umbenannt werden sollte. Nein, finden zwei
       taz-Autoren.