# taz.de -- Entführter Unternehmer über Haft in Iran: „Sie benutzen uns wie Trümpfe in einem Kartenspiel“
       
       > Der iranische Geheimdienst kidnappte Kamran Ghaderi 2016. Ein Gespräch
       > über siebeneinhalb Jahre im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis und
       > Irans Agenten.
       
 (IMG) Bild: Seltenes Bild: Häftlinge im Teheraner Evin-Gefängnis, die einen Bettplatz ergattern konnten, Oktober 2022
       
       taz: Herr Ghaderi, am 23. Juni hat die israelische Luftwaffe auch spezielle
       Bereiche des Evin-Gefängnisses in Teheran bombardiert. Was haben Sie in
       diesem Moment gedacht? 
       
       Kamran Ghaderi: Ich war zu Hause in Wien, als ich davon erfuhr. Zunächst
       hatte ich große Sorge um meine Freunde und früheren Mitgefangenen. Es ist
       ein riesiger Gefängniskomplex, mit vielen unterschiedlichen Gebäuden. Darin
       sind politische, aber auch „normale“ Gefangene. Ich befürchtete, dass es
       unter ihnen auch Opfer gab. Als ich das bombardierte Evin-Haupttor sah,
       empfand ich aber schon eine gewisse Genugtuung. Die Geheimdienstgebäude
       waren ebenfalls zerstört. Doch meine Freunde und Bekannten schwebten nun in
       zusätzlicher Lebensgefahr.
       
       taz: Sie selbst saßen fast siebeneinhalb Jahre im Evin-Gefängnis. Warum
       verhaftete man Sie? 
       
       Ghaderi: Ich wurde am 2. Januar 2016 bei der Einreise am Flughafen Teheran
       festgenommen. Plötzlich, einfach so. Sie brachten mich in ein Gebäude des
       Geheimdienstes auf dem Evin-Gelände. Dort blieb ich eineinhalb Jahre, unter
       schlimmen Bedingungen, die ersten Monate komplett isoliert. Danach
       verbrachte ich sechs weitere Jahre im Evin-Komplex in „normalen“
       Gemeinschaftszellen mit anderen politischen Gefangenen.
       
       taz: Sie leben seit 1983 in Österreich, sind Geschäftsmann, reisten immer
       wieder in den Iran. Warum 2016 diese Festnahme? 
       
       Ghaderi: Eigentlich haben sie mich entführt. Sie hatten keinen Haftbefehl,
       gar nichts. Die Agenten sagten am Flughafen nur, jemand wolle mich
       sprechen. Ein gewisser „Sardar“, ein hoher Offizier. Ich war völlig
       überrascht. Erst sehr viel später verstand ich, um was es hier ging.
       
       taz: Und zwar? 
       
       Ghaderi: Um Geiseldiplomatie. Der Iran führt seit Jahrzehnten einen
       Schattenkrieg gegen den Westen. Wegen dem Atomprogramm und überhaupt. Da
       ich die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, war ich als
       gebürtiger Iraner für sie ein lohnendes Ziel. Auch die US-Regierung zahlte
       viel, um willkürlich in Iran Verhaftete frei zu kriegen.
       
       taz: Aber in Ihrem Fall ging es nicht um Geld? 
       
       Ghaderi: Nein. Sie benutzen uns wie Trümpfe in einem Kartenspiel. Bei mir
       ging es schließlich um den Tausch gegen einen ihrer verurteilten Agenten in
       Europa.
       
       taz: Haben Sie noch Kontakt zu früheren Mitgefangenen? 
       
       Ghaderi: Ja. Im ersten Jahr habe ich sogar aus dem Gefängnis Anrufe
       bekommen und direkt mit Freunden sprechen können.
       
       taz: Wie das? 
       
       Ghaderi: Die Gefangenen dürfen gelegentlich ihre Familien anrufen. Eine
       Verwandte ruft dann mich mobil an, legt den Hörer daneben und schon sind
       wir verbunden. Anrufe ins Ausland sind nicht möglich. Es wurde auch immer
       komplizierter. Der Salon, in dem ich einsaß, war zuletzt völlig überbelegt.
       Wo 45 Personen schon kaum Platz zum Schlafen fanden, waren jetzt 80
       Menschen zusammengepfercht.
       
       taz: Die Zellentrakte im sogenannten Normalvollzug des Evin bezeichnen Sie
       als „Salons“? 
       
       Ghaderi: Die Sektionen auf dem Evin sind in verschiedene Zonen eingeteilt,
       die Häftlingsgebäude wieder in mehrere Einheiten. Diese bezeichnet man als
       Salons. Zu jedem Salon gehören wiederum mehrere Zellen. Im
       Geheimdienstsektor gibt es allerdings keine Salons.
       
       taz: Das Regime hat nach dem israelischen Angriff behauptet, es hätte viele
       Tote in Evin gegeben, auch unter den Häftlingen? 
       
       Ghaderi: Also in meinem früheren Trakt hat es unter den Gefangenen keinen
       einzigen Toten gegeben. Und der war sehr nahe am bombardierten Bereich.
       Hauptsächlich wurde das Bezirksgericht Nummer 33, das unmittelbar am Tor
       zur Einfahrt des Evins liegt, getroffen. Auch die Staatsanwaltschaft und
       die Geheimdienstgebäude. Leider sind auch einzelne zivile Opfer bekannt.
       Etwa Angehörige, die im Besuchsraum waren.
       
       taz: Was wissen Sie über Verluste auf Seiten des Regimes? 
       
       Ghaderi: Getroffen hat es zum Beispiel den Chef dieses Bezirksgerichts, den
       Richter Ali Ghanaaktar-Mavardiani. Er hat mit den unter Folter erpressten
       Aussagen Karriere gemacht und gehört zu den offiziell bestätigten Toten.
       Ebenso ein Gefängnisdirektor sowie Verwaltungs- und
       Geheimdienstmitarbeiter. Leider wurde auch eine Ärztin verletzt. Häftlinge
       haben sie gerettet. Sie haben auch verletzten Wärtern geholfen. Ein
       Paradox, man hilft denen, die einen unterdrücken. Die Bombardierung des
       Evin-Gefängnisses bleibt für mich aber insgesamt zwiespältig.
       
       taz: Warum? 
       
       Ghaderi: Das Risiko, Unschuldige zu treffen, ist einfach zu hoch.
       Militärische Anlagen, führende Regimevertreter oder das Atomprogramm
       anzugreifen, okay. Prinzipiell sollte man Gewalt vermeiden. [1][Aber bei so
       einem aggressiven Regime?]
       
       taz: Evin liegt im Norden Teherans? 
       
       Ghaderi: Auf einer Anhöhe. Der Lagerkomplex hat die Größe von zwanzig oder
       dreißig Hektar. Es gibt unterschiedliche Sektoren mit durchnummerierten
       Gebäuden. Im Geheimdienstblock 209 war ich eineinhalb Jahre. Danach in
       Sektion 7, bestehend aus sieben Salons. Zuletzt in Sektion 4. Zur
       Geheimdienstsektion in 209 hatten normale Wärter keinen Zutritt, nicht
       einmal der Gefängnisdirektor. Auch nicht zu Parkplatz und Garage. Das war
       streng abgeschirmt.
       
       taz: Was spielte sich dort ab ? 
       
       Ghaderi: Es ist die Hölle. Eine komplett rechtlose Zone. Die ersten drei
       Monate wusste draußen niemand, dass ich hier war. Meine Freunde nicht,
       meine Familie nicht. Ich war von einem Tag auf den anderen verschwunden.
       Was dort geschieht, bleibt auch dort. Nur der Geheimdienst weiß, was dein
       Los ist, ob du überhaupt noch lebst.
       
       taz: Wollen Sie über die Haftbedingungen reden? 
       
       Ghaderi: In Block 209 wurden alle ohne Ausnahme zunächst in Einzelhaft
       gesteckt. Ich kam in eine winzige, fensterlose Zelle. Ich bin 1 Meter 70
       groß, beim Hinlegen konnten meine Zehen die Wand berühren. Die Zelle war
       etwa 1.80 breit und etwa 2 Meter lang. Keine Heizung, kein Bett, kein Klo.
       Kalter nackter Beton mit einem dünnen, völlig verdreckten Parkettboden.
       Drei Soldatendecken zum Wärmen und Schlafen. Das war’s.
       
       taz: Wie kam man zur Toilette? 
       
       Ghaderi: Wollte man auf die (schreckliche) Toilette, musste man einen Knopf
       in der Zelle drücken und sich selbst die Augen verbinden. Öffneten sie die
       Tür, schritt man durch einen engen Gang. Da war immer die Sorge, was noch
       passieren könnte. Gleiches galt, wenn man in die verdreckte
       Kaltwasser-Dusche durfte. Links solcher Gänge befanden sich weitere
       Einzelzellen. Man hört nichts. Totenstille. Die Gänge mündeten in einen
       Korridor mit den Verhörzimmern. Toiletten, Dusche, Zellen, alles war in
       erbärmlichem Zustand. Voller Schimmel, Ameisen, Kakerlaken und anderem
       Ungeziefer.
       
       taz: Wollen Sie über die Methoden bei den Verhören sprechen? 
       
       taz: Die waren sicher sehr unterschiedlich. Mich brauchten sie ja noch.
       Generell musste man sich beim Verhör mit dem Gesicht zur Wand drehen.
       Zumeist saß man auf einem Stuhl. Man durfte weder nach links noch nach
       rechts schauen. Nicht sprechen. Die Fragen stellten sie von hinten. Die
       Antworten musste man auf Papier schreiben. Nur die Verhörer durften
       sprechen. Wenn sie es ausdrücklich verlangten, durftest du sprechen. Am
       Ende musstest du aber immer Antworten aufschreiben und ihnen geben, was sie
       wollten. Unmittelbare Folter hieß in meinem Fall meistens Schlafentzug.
       Zweimal taten sie auch so, als würden sie mich hinrichten.
       
       taz: Fanden auf dem Gelände Hinrichtungen von Gefangenen statt? 
       
       Ghaderi: Damals nicht mehr. Früher, ja. [2][Die Älteren haben uns sogar die
       Plätze gezeigt]. Zu meiner Zeit brachten sie Gefangene, kurz bevor sie sie
       hinrichteten, in ein anderes Gefängnis, nach Ghesel-Hesar. In Evin wurden
       besonders in den 1980er-Jahren Tausende politische Gefangene ermordet.
       
       taz: Wie war das Leben in den Gemeinschaftszellen, in den Salons? 
       
       Ghaderi: Mit der Zeit verbesserten sich meine Haftbedingungen. In den
       Salons war es auch sehr eng, es gab zu wenig Plätze zum Schlafen, aber
       immerhin war man unter anderen politischen Gefangenen, durfte wieder
       sprechen.
       
       taz: Wie war es mit den konventionellen Gefangenen? 
       
       Ghaderi: Es hat immer Streitereien gegeben. Aber die Leute hatten mehr
       Angst vor den Wärtern als voreinander. Außerdem waren alle mit ihren Fällen
       beschäftigt. Mit dem, was sie bei den Verhören sagen sollten. Jeder hoffte,
       dass es schnell vorbeigehen würde und man weniger gefoltert wird. Wir haben
       Juden, Bahais oder Christen bei uns gehabt, die einzig und allein wegen
       ihres Glaubens eingesperrt waren. Alles, was man in den Zellen hat, ist
       zudem privat organisiert und finanziert. Das Gefängnisregime ist völlig
       korrupt.
       
       taz: Sie selbst sind kurdisch-iranischer Herkunft, spielte das eine Rolle? 
       
       Ghaderi: Ich merkte schon, dass allein durch die Tatsache, dass ich Kurde
       war und nicht schiitisch, sie zu mir besonders streng waren.
       
       taz: In Block 209 waren Sie schwer erkrankt? 
       
       Ghaderi: Ich bekam große Probleme mit der Wirbelsäule und weitere
       Krankheitssymptome. Mein Körper machte nicht mehr mit. Im Kopf blieb ich
       klar. Als ich in Block 209 war, mussten sie mich zweimal zum Arzt bringen.
       Sie gaben mir Schmerzmittel. Beim zweiten Mal konnte ich nicht einmal mehr
       gehen. Sie schubsten mich auf den Rücksitz eines Autos und transportierten
       mich so zur Krankenstation.
       
       taz: So weit auseinander liegen die einzelnen Sektionen? 
       
       Ghaderi: Es ist wie eine kleine Stadt. Vor den meisten Gebäuden gab es
       Parkplätze. Aber 209 blieb vom sonstigen Lager völlig abgeriegelt.
       
       taz: Wie sah Ihre medizinische Versorgung aus? 
       
       Ghaderi: Der Arzt, der mich behandelte, sagte, ich müsse sofort operiert
       werden, dürfe mich auf keinen Fall mehr bewegen. Da haben die
       Geheimdienstleute hinter meinem Rücken mit dem Arzt gesprochen. Ich wurde
       einfach wieder nach 209 zurückgebracht. Von den Schmerzmitteln bekam ich
       üble Magenprobleme.
       
       taz: Wie ging es weiter? 
       
       Ghaderi: Nach zweieinhalb Jahren mussten sie Behandlung und Operation
       zustimmen. Das österreichische Außenministerium,
       Menschenrechtsorganisationen, Freunde und Familie hatten viel Druck
       gemacht. Heute gelte ich als zu 70 Prozent behindert.
       
       taz: 2023 wurden Sie schließlich gegen einen iranischen Agenten
       ausgetauscht, der in Europa inhaftiert war. Wer war dieser Mann? 
       
       Ghaderi: Assadollah Asadi, Diplomat an der Botschaft der Islamischen
       Republik Iran in Wien. Als dritter Botschaftsrat war er hauptberuflich in
       der Konsularabteilung tätig. Nebenberuflich plante er Attentate und
       transportierte Bomben. 2018 wurde er in Deutschland verhaftet. Er hatte
       einen Familienausflug vorgetäuscht, aber eine Bombe im Kofferraum seines
       Autos. Zwei in Belgien angeworbene Terroristen sollten damit ein Treffen
       iranischer Exil-Oppositioneller in Paris attackieren. [3][Asadi wurde 2021
       in Belgien zu zwanzig Jahren] Haft verurteilt. Der iranische Geheimdienst
       MOIS wollte ihn unbedingt zurückhaben. Und so tauschten sie mich sowie
       einen verschleppten Belgier, einen Dänen und einen weiteren Österreicher
       2023 gegen Asadi aus.
       
       taz: Vier gegen einen. 
       
       Ghaderi: Die Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran im Juni nennen
       jetzt viele den „Zwölf-Tage-Krieg“. Es ist aber ein Krieg, der vor 46
       Jahren begann. Das iranische Regime propagiert die Vernichtung Israels. Sie
       unterhalten spezialisierte Geheimdienstabteilungen für Cyberattacken
       weltweit. Rings um Israel haben sie ein Netz terroristischer Organisationen
       aufgebaut. Iran ist der Aggressor, Israel ist der Verteidiger. Das muss
       gesagt werden, auch wenn man die jetzige rechte Regierung in Israel
       kritisiert. Trotz ziviler Opfer freuen sich viele in Iran über die Schläge
       gegen das Regime. Auch wenn sie prinzipiell gegen Krieg sind und diese
       Regierung lieber selbst stürzen wollen.
       
       taz: Nur wie? 
       
       Ghaderi: Es ist unübersehbar, die Menschen haben genug. Sie sagen ihre
       Meinung offen, obwohl es gefährlich ist. [4][Veröffentlichen namentlich
       gezeichnete Kommuniqués und offene Briefe], in denen sie eine neue
       Verfassung fordern. Frauen gehen ohne Kopftuch auf die Straße, trotz des
       Risikos. Als die Mauer fiel, hatte das auch niemand erwartet.
       
       taz: Ohne Geiseldiplomatie wären Sie nicht wieder freigekommen, aber auch
       nie verschleppt worden. Ist es richtig, dass westliche Staaten solchen
       Erpressungen nachgeben? 
       
       Ghaderi: Das ist eine schwierige Frage. Man muss dem Regime auf alle Fälle
       klare Grenzen setzen. Europäisch koordiniert handeln, Sanktionen verhängen,
       Geldwäsche und Tarnfirmen nicht dulden. Mitglieder von Regime-Clans leben
       unbehelligt in Europa, sie haben Milliarden außer Landes gebracht. Da ließe
       sich ansetzen.
       
       28 Jul 2025
       
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