# taz.de -- Merz gegen Regenbogenfahne: Wir sind keine Freakshow!
       
       > Merz will keine Pride-Flagge am Bundestag. Der sei ja kein „Zirkuszelt“.
       > Was für eine verächtliche Sprache gegen queere Sichtbarkeit!
       
 (IMG) Bild: 1995: Gewerbekletterer verhüllen das Reichstagsgebäude. 2025: Wir haben einen Verbesserungsvorschlag
       
       Friedrich Merz offenbart erneut sein wahres Gesicht: „Der Bundestag ist ja
       nun kein Zirkuszelt“, erklärt er bei „Maischberger“, um zu rechtfertigen,
       warum am [1][Christopher Street Day] keine Regenbogenflagge auf dem
       Reichstagsgebäude wehen darf. Damit degradiert er die [2][queere Community]
       zur Freakshow, zum Kabinett der Kuriositäten, das man dem rechten Mob auf
       den Straßen vorwerfen kann. Wenn wir die Freakshow sind, Herr Merz, dann
       sind Sie der unlustige Clown, der mit abwertenden Worten die Show auf
       unsere Kosten macht.
       
       Merz’ „Zirkuszelt“-Vergleich ist kein Versehen, sondern ein Statement
       voller Verachtung. Er benutzt erneut verächtliche Sprache, um queere
       Sichtbarkeit im Bundestag zu verhindern. Die Regenbogenflagge zum CSD sei
       „beliebig“ und passe nicht zum „Ernst“ des Parlaments. Tatsächlich zeigt,
       wer queere Menschen als Freakshow abtut, wie wenig er von Demokratie,
       Respekt und Vielfalt versteht.
       
       Er macht queere Sichtbarkeit zum Spektakel, das im Bundestag nichts
       verloren habe. Die Regenbogenflagge steht jedoch für Menschenrechte,
       Respekt und den Kampf gegen Diskriminierung – demokratische Werte, die laut
       Julia Klöckner auch aus der deutschen Flagge abzuleiten sind. Wo ist dann
       das Problem, eine Flagge zu hissen, die den Werten unserer Demokratie
       entspricht? Sichtbarkeit kostet in diesem Fall nichts – außer Haltung und
       Nächstenliebe.
       
       Wer glaubt, Merz tappt hier nur ins Fettnäpfchen, irrt. Er hat sich
       mehrfach queerfeindlich geäußert. 2020 verknüpfte er Homosexualität in
       einem Interview mit Pädophilie, als er auf die Frage nach einem
       homosexuellen Bundeskanzler antwortete: „Solange sich das im Rahmen der
       Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für
       mich allerdings eine absolute Grenze erreicht.“
       
       ## Ein Paradebeispiel für die Selbstüberschätzung vieler cis-hetero Männer
       
       Diese Aussage bedient ein gefährliches Narrativ, das queere Menschen als
       gleichwertige Bürger*innen disqualifizieren soll. Auf das Coming-out von
       Klaus Wowereit reagierte er 2001 so: „Solange der Wowereit sich mir nicht
       nähert, ist mir das egal.“ Ein Paradebeispiel für die Selbstüberschätzung
       vieler cis-hetero Männer, die glauben, jeder schwule Mann würde auf sie
       anspringen – als wären wir permanent auf der Jagd nach dem nächsten
       dahergelaufenen Clown. Das ist keine Ally-Haltung, das ist Distanzierung
       und Abwertung.
       
       Mit seinem „Zirkuszelt“-Ausfall klebt Merz der queeren Community erneut
       eine Zielscheibe auf den Rücken. Er macht uns angreifbar für rechte Hetze
       und Gewalt. Was glauben Konservative eigentlich, was rechtsextreme
       Gewalttäter in ihrer Haltung bestärkt? Er zeigt, dass die demokratischen
       Instanzen nicht an unserer Seite stehen. Klöckner könnte durch die
       Flaggenordnung die Regenbogenflagge hissen, wie es seit 2022 gehandhabt
       wurde – und wie es Unionskollegin Ilse Aigner im Bayerischen Landtag
       vormacht. Aber Klöckner will es nicht, vermutlich weil es nicht in ihre
       Ideologie passt. Gemeinsam treiben sie und Merz einen unnötigen rechten
       Kulturkampf voran, der die Gesellschaft spaltet.
       
       Auf die SPD können wir uns in diesem Fall auch nicht verlassen. Die
       Wortbekundungen von Ex-Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) sind zwar
       stark: „Die Regenbogenflagge ist kein Symbol für einen Zirkus. Sie steht
       für Menschen, die es heute wieder viel schwerer haben als noch vor Jahren.“
       Doch der Koalitionsvertrag bedeutet für queere Rechte nur Stillstand oder
       Rückschritt. Taten zählen mehr als Worte. Politiker*innen mit
       Bauchschmerzen sollten zum Arzt gehen und aufhören, sich über die
       Ungerechtigkeiten dieses Landes zu beklagen, die sie selbst zementieren.
       
       Wir sind keine Freakshow. Wir sind Bürger*innen dieses Landes. Wir
       lassen uns nicht verdrängen. Wir fordern Respekt, Sichtbarkeit und
       Gleichberechtigung – auch im Bundestag, dem Zentrum der Demokratie.
       
       Dennis Chiponda ist der Host des Podcasts [3][„Mauerecho – Ost trifft
       West“] der taz Panter Stiftung.
       
       2 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Christopher-Street-Day/!t5034790
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-LGBTQIA/!t5025674
 (DIR) [3] /Podcast-Mauerecho/!t6064118
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dennis Chiponda
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA
 (DIR) Gender
 (DIR) Kanzler Merz
 (DIR) GNS
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Kanzler Merz
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA
 (DIR) Kulturkampf
 (DIR) Christopher Street Day
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Queerbeauftragte Sophie Koch: „Ich will mich da nicht verkämpfen“
       
       Sophie Koch, Queerbeauftragte der Bundesregierung, setzt auf leise
       Diplomatie statt auf laute Symbolpolitik. Auf ein Gespräch mit Merz wartet
       sie seit Juli.
       
 (DIR) Hausordnung des Bundestags: Abgeordnete müssen Regenbogenfahne aus ihren Büros entfernen
       
       Pride-Flaggen im Büro von Bundestagsabgeordneten? Das ist laut Hausordnung
       verboten – auch wenn es nicht nur um Regenbogenfarben geht.
       
 (DIR) Bunte Parade in Sachsen-Anhalt: Eine neue Reformation
       
       Trotz Nazi-Drohungen sind Hunderte Queers beim ersten CSD Wittenberg durch
       die Lutherstadt gezogen. Sie warnen vor den Landtagstagswahlen 2026.
       
 (DIR) CSD-Absage der Bundestagsverwaltung: Klöckner macht Kulturkampf
       
       Unter der Bundestagspräsidentin folgt eine anti-queere Geste auf die
       andere. Statt „verbindend und verbindlich“ zu sein, provoziert und
       polarisiert sie.
       
 (DIR) Queere Sichtbarkeit: Bundestagsgruppe darf nicht zum CSD
       
       Erstmals dürfen queere Mitarbeitende des Bundestags nicht als Gruppe beim
       Berliner CSD laufen. Am Verbot gibt es Kritik aller demokratischen
       Parteien.