# taz.de -- Bunte Parade in Sachsen-Anhalt: Eine neue Reformation
       
       > Trotz Nazi-Drohungen sind Hunderte Queers beim ersten CSD Wittenberg
       > durch die Lutherstadt gezogen. Sie warnen vor den Landtagstagswahlen
       > 2026.
       
 (IMG) Bild: „Für Demokratie und Vielfalt“: ein Motto, das Jungfaschisten nicht gefallen dürfte
       
       Wittenberg taz | Hier gehen sie, sie können nicht anders. Hunderte Lesben,
       trans und nichtbinäre Personen, Schwule und ihre Verbündeten zogen am
       Samstagnachmittag beim ersten Wittenberger CSD durch die Lutherstadt. „Ich
       lasse mir mein Ostdeutschland nicht wegnehmen“, rief eine junge trans
       Person bei der Auftaktkundgebung zu Füßen der Martin-Luther-Statue auf dem
       Rathausplatz und erntete tosenden Applaus.
       
       Queere Feste stehen gerade besonders unter Druck. [1][Rechtsextreme hatten
       am Sonntag die Kundgebung „Bad Freienwalde bleibt bunt“ in Brandenburg
       angegriffen]. Schon in der Regenbogensaison 2024 trat eine neue Generation
       junger Neonazis auf, organisiert in miteinander verbundenen Gruppen. Sie
       sind vor allem im Osten Deutschlands aktiv, aber auch im Rest der Republik.
       Hass gegen Juden und Migrant:innen, Hass gegen alles Linke und Queere eint
       sie.
       
       2024 kamen gegen den CSD Bautzen 700 Rechtsextreme zusammen, in Görlitz
       skandierten sie: „HIV, hilf uns doch, Schwule gibt es immer noch!“ Eine
       queere Parade in Gelsenkirchen wurde Mitte Mai wegen Drohungen abgesagt,
       auch in Wernigerode gab es Gewaltdrohungen. Die Veranstalter:innen des
       CSD Regensburg haben vor wenigen Tagen entschieden, den Umzug in eine
       Kundgebung umzuwandeln – wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“.
       
       An diesem Wochenende mobilisierten die Jungnazis zu Pride-Veranstaltungen
       im brandenburgischen Eberswalde, nach Berlin-Marzahn –und ins
       sachsen-anhaltinische Wittenberg.
       
       Unter dem Motto „Heimat, Familie und Nation statt CSD und Perversion“ hatte
       die Jugendorganisation der NPD-Nachfolgepartei „Heimat“ eine
       Gegendemonstration angemeldet. Unverhohlen antisemitisch hatten die
       Jungnazis auf ihren Flyern „CSD“ und Perversion in dem Hebräischen
       nachgebildeten Buchstaben geschrieben. Anmelder der Nazidemo: ausgerechnet
       der Bruder des Wittenberger CSD-Organisators Elias Zarrad. „Leider“, sagte
       der am Samstag nur dazu.
       
       Vor etwa 750 Zuhörer:innen beim Auftakt zwischen Ständen von Fach- und
       Beratungsstellen, Sozialdemokratie, Grünen und Linken auf dem Rathausplatz
       rief ein:e Redner:in eine zusätzliche rechtsextreme Gefahr ins
       Bewusstsein: „Nach den Landtagswahlen 2026 hat die AfD eine realistische
       Chance auf eine Regierungsbeteiligung“. Es werde vielen auf dem Platz nicht
       gefallen, „aber wir brauchen starke Grüne, eine starke SPD und Linke im
       Landtag, damit die CDU gar nicht auf die Idee kommt, Gespräche mit der AfD
       zu führen.“ Schließlich habe die Brandmauer schon Risse bekommen. „Keinen
       Millimeter für Rechtsextreme, auch nicht bei der Landtagswahl!“
       
       Zuletzt hatte die Union für Irritationen gesorgt, weil die
       Bundestagsverwaltung unter der [2][CDU-Parlamentspräsidentin Julia Klöckner
       ihren queeren Mitarbeitenden verboten] hatte, [3][gemeinsam als
       „Regenbogennetzwerk“ den Berliner CSD zu besuchen]. Schon zuvor hatte
       Klöckner verkündet, auf dem Reichstagsgebäude zum CSD nicht mehr das
       Regenbogenbanner hissen zu wollen. Das wurde als fatales Signal
       wahrgenommen, in Zeiten zunehmender Queerfeindlichkeit.
       
       Ein Hochzeitspaar – augenscheinlich heterosexuell – das sich auf der
       Schlossstraße zum Foto aufgestellt hat, bekommt plötzlich Applaus von
       Hunderten Queers, als sich der CSD-Zug in Bewegung setzt.
       
       Polizei steht in jeder Seitenstraße, das Revier Wittenberg wird heute von
       anderen Dienststellen unterstützt. Anwohnende gucken skeptisch aus den
       Fenstern, verwirrt zum Teil. Das gab es noch nie! Nein, das gab es noch nie
       in Wittenberg. Eine ältere Dame winkt schüchtern zurück, als die bunte
       Menge in Richtung ihres Küchenfensters grüßt.
       
       Am Turm der berühmten Wittenberger Schlosskirche weht die Regenbogenfahne.
       „Es ist wichtig, unsere Queerness zusammen zu feiern, die ein freudiges
       Geschenk Gottes ist“, hatte Bridget Gautieri, Vertreterin der
       Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELCA) in Wittenberg schon im
       Vorfeld gesagt.
       
       „Ob West, ob Ost, ob Budapest, nieder mit der Nazipest“, ruft ein Block
       kämpferischer Queers. Und „Free, free Maja!“. Das Ende des Zuges sichern
       Angereiste vom Bündnis „CSD verteidigen“.
       
       Es kommt zu einzelnen Pöbeleien am Rand. Aber die Straßen gehören eindeutig
       dem bunten Leben. Fritz ist 85 Jahre alt und ist aus Leipzig gekommen, wo
       er zu einem Leder-Fetisch-Club gehört. Dass es mehr und mehr kleine CSDs in
       Ostdeutschland gibt, hält er für ein gutes Zeichen, „dann ist man nur nicht
       alleine ein bunter Hund“.
       
       Viele seiner queeren Freunde seien weggestorben, seit der DDR-Zeit war
       Fritz nicht mehr in Wittenberg. „Solange ich noch laufen kann, werd’ ich
       auf CSDs fahren“, sagt er.
       
       Noa ist trans und in Wittenberg geboren, aber lebt wegen der größeren
       Freiheiten in Berlin. „Ich würde gerne wieder in Wittenberg leben. Durch
       die Erfahrungen bei der Vorbereitung des CSD kann ich mir das wieder viel
       mehr vorstellen.“
       
       Drei Schüler:innen sind elektrisiert von dem Umzug, sie wohnen nur
       wenige Kilometer entfernt und sind zum ersten Mal überhaupt bei einem CSD.
       Sie sind überzeugt, dass die Parade die Stadt verändern wird. „Mehr
       Verknüpfungen, mehr Zugehörigkeit, man sieht zum ersten Mal, wer in der
       Stadt ähnlich tickt.“
       
       Und die Nazis? Die treffen sich zunächst mit einem traurigen Grüppchen am
       Bahnhof, ihr Kleinbus hat ein sächsisches Kennzeichen. Die Polizei führt
       sie zum Schlossplatz, wo die knapp 60 Jungfaschisten nichts so richtig mit
       sich anzufangen wissen.
       
       Zum ersten CSD in Wittenberg sind mehr als zehnmal so viele Menschen
       gekommen. Trotz der ausgelassenen Stimmung beim musikalischen Abschluss –
       mit kirchlichem Segen – auf dem Rathausplatz, bleibt ein Rest Anspannung.
       Falko Jentsch, Vorstand des Christopher Street Day Sachsen-Anhalt, hat noch
       gestern gewarnt, dass es vor allem an den Tagen vor und nach den
       Veranstaltungen oft zu Problemen mit den Nazis komme.
       
       21 Jun 2025
       
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