# taz.de -- Garagenkonzerte gibt es nicht mehr: Punk is dead in Belarus
       
       > Ein Abend mit Musikerinnen aus Belarus in Berlin-Friedrichshain. In ihrem
       > Heimatland verschwinden Blogger, Punks, Antifas und Anarchos im Knast.
       
 (IMG) Bild: Sergej Tichanowski berichtet bei einer Pressekonferenz unter Tränen von den unmenschlichen Haftbedingungen, Vilnius, am 22.6.25
       
       Punk habe es ihr ermöglicht, sich von der konservativen, patriarchal
       geprägten Gesellschaft abzugrenzen. So schildert es die Aktivistin und
       Musikerin A. aus Belarus bei ihrem Vortrag über die dortige Antifa-Szene in
       einem besetzten Haus im Berliner Stadtteil Friedrichshain.
       
       Da es in ihrem Heimatland solche Orte nicht gebe, hätten [1][Punkkonzerte
       in Garagen stattgefunden], so A. 50 Leute drinnen, der Rest hörte von
       draußen zu. Allerdings seien die DIY-Konzerte oft von der
       Omon-Spezialeinheit aufgelöst worden. Diese waren auch im Sommer 2020 dafür
       zuständig, die Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen mit
       Gewalt zu ersticken.
       
       „Menschenrechte existieren in Belarus nur auf dem Papier“, sagt A.
       Garagenkonzerte gebe es in Belarus keine mehr. Wer nicht hinter Gittern
       sitzt, halte sich möglichst bedeckt oder habe wie sie das Land verlassen.
       
       [2][Igor Bancer, Frontmann der aus] dem westbelarussischen Hrodna
       stammenden Band Mister X, wurde wegen seiner Beteiligung an den Protesten
       mehrmals festgenommen und reiste später nach Polen aus. Belarussischer Punk
       war seit jeher links und antiautoritär und dem autoritären Regime deshalb
       ein Dorn im Auge.
       
       ## Hol dir deine Stadt zurück
       
       Eine der bekanntesten Bands, Contra la Contra, ebenfalls aus Hrodna,
       veröffentlichte 2002 ihr einziges, aber international bekannt gewordenes
       Album mit Songs wie „Geh auf die Straße, hol dir deine Stadt zurück!“,
       „Putin ist ein Mörder!“ und „Luka, fick dich“. Gemeint ist der Diktator
       Lukaschenko.
       
       Das belarussische Menschenrechtszentrum Viasna zählt zurzeit 1172
       politische Gefangene im Land. Doch in Wahrheit sind es weitaus mehr. Da
       politische Häftlinge besonders schlecht behandelt werden, möchten viele
       Verwandte nicht, dass sie von Menschenrechtsorganisationen als solche
       gelistet werden. Kalte Zellen, keine Hygieneprodukte, Mangelernährung, aber
       auch Schläge und die Verweigerung medizinischer Hilfe stehen in
       belarussischen Haftanstalten an der Tagesordnung.
       
       Von manchen politischen Gefangenen gibt es über Jahre hinweg kein
       Lebenszeichen. So war es auch beim oppositionellen Blogger Sergei
       Tichanowksi – bis er plötzlich am vergangenen Samstag freikam. Im Zuge des
       Besuchs des US-Sondergesandten Keith Kellogg in Minsk wurden er und 13
       weitere politische Häftlinge begnadigt. Als sich Tichanowski bei den Wahlen
       2020 als Gegenkandidat zu Lukaschenko aufstellen lassen wollte, wurde er zu
       einer langen Haftstrafe verurteilt.
       
       Statt seiner trat dann seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja an. Der
       misogyne Diktator ließ sie gewähren, da er einer Frau nicht zutraute, eine
       ernstzunehmende Konkurrentin sein zu können. Aber sie und andere schafften
       es, die Massen zum Aufstand zu mobilisieren.
       
       ## Anarchist in Isolationshaft
       
       Am Tag nach seiner Freilassung berichtete [3][Tichanowski bei einer
       Pressekonferenz] in Vilnius unter Tränen von den unmenschlichen
       Haftbedingungen. Er erwähnte auch seinen ehemaligen Mitgefangenen, den
       Anarchisten Ihar Alinevich, der eine 20-jährige Haftstrafe absitzt. Obwohl
       die Wärter Alinevich aus Schikane das Recht auf Anrufe verwehrten und ihn
       stattdessen in Isolationshaft steckten, zeige er sich standhaft.
       
       Zusammen mit Tichanowski kam am Samstag der 25 Jahre alte Akikhira
       Hajeuski-Khanada frei. Ihm und neun anderen Anarchist:innen wurde in
       einem Scheinprozess vorgeworfen, Teil einer kriminellen Organisation zu
       sein. Sie wurden alle zu langen Haftstrafen verurteilt.
       
       Laut dem Anarchist Black Cross Belarus gibt es aktuell 26 politische
       Gefangene aus der Antifa-Szene. Einige von ihnen wurden für die Teilnahme
       an den Protesten oder Graffitis gegen Lukaschenko und den russischen
       Angriffskrieg verurteilt. Andere, wie Alinevich, für Brandanschläge.
       
       Auf der Webseite von abc Belarus kann man für die Gefangenen und deren
       Familien spenden oder online Briefe in die jeweiligen Strafanstalten
       schicken. Dass sie wirklich bei den Adressaten ankommen, ist zwar nicht
       sicher, aber man sendet ein wichtiges Signal an das Regime: Diese Menschen
       werden nicht vergessen.
       
       2 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Postsowjetisch/!5024753
 (DIR) [2] /Musiker-Igor-Bancer-ueber-Belarus/!5827189
 (DIR) [3] /Oppositionelle-in-Belarus-freigelassen/!6095697
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Yelizaveta Landenberger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krisenherd Belarus
 (DIR) Osteuropa
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Kolumne Eastsplaining
 (DIR) Subkultur
 (DIR) Musik
 (DIR) Schwerpunkt Antifa
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Berlin
 (DIR) Minsk
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Kulturkolumnen
 (DIR) Belarus
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Musik
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Belarus
 (DIR) Schorsch Kamerun
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ex-belarussicher Gefangener: Keine Schuhe, große Solidarität
       
       Sergei Scheleg ist einer von 14 politischen Gefangenen in Belarus, die
       jüngst begnadigt wurden. Nun lebt er in Litauen auf der Straße.
       
 (DIR) Roman über Ukraine-Krieg: Was nützt deine Intelligenz an der Front?
       
       Der Schriftsteller Szczepan Twardoch schickt einen Stadtmenschen in den
       Krieg. Der Roman „Die Nulllinie“ beschreibt die Verrohung im Kampf.
       
 (DIR) Festival Music Week Poland in Warschau: Rein in die Trance, raus aus der Trance
       
       Folk, Elektronik und Pop ist beim Festival Music Week Poland in Warschau zu
       erleben. Es bringt Ost und West näher zusammen.
       
 (DIR) SPD-Kritik an Aufrüstung: Ein Manifest der Realitätsverweigerung
       
       Einige SPD-Politiker fordern „gemeinsame Sicherheit“ mit Russland. Dem
       zugrunde liegt eine Fehleinschätzung des mörderischen russischen Regimes.
       
 (DIR) Musiker Igor Bancer über Belarus: „Es geht nicht um mich“
       
       Überraschend aus belarussischer Haft entlassen: Der Musiker Igor Bancer
       über seinen neuen Alltag und die Proteste in Kasachstan.
       
 (DIR) Postsowjetisch: Träume aus der Sonnenstadt
       
       Mit Schorsch Kamerun in Minsk. Die weißrussische Metropole zwischen
       Sowjetverklärung und dem offenen Blick nach Westen