# taz.de -- Film „Ostpreußen – Entschwundene Welt“: Kein schönes Land
       
       > Filmemacher Hermann Pölking legt die Ideologie der historischen Bilder
       > frei, die er montiert. Das macht seinen Dokumentarfilm interessant.
       
 (IMG) Bild: Verschwommene Landschaft: An Folklore, Tieren und urigen Leuten hat der Filmemacher kein Interesse
       
       Warum kommt in diesen Zeiten ein Film über Ostpreußen in die Kinos? Die
       Dokumentation „Ostpreußen – Entschwundene Welt“, der am 15. Mai seine
       „Welturaufführung“ im Lüneburger Filmpalast und am 16. Mai seine „Premiere“
       in der Bremer Schauburg feiert, bietet kein Futter für Revanchisten. Und
       ihr Urheber ist ideologisch unverdächtig. Der Bremer Historiker Hermann
       Pölking nennt sich selbst einen „linken Sozialdemokraten“. Sein Film hat
       nichts romantisch Verklärendes an sich. Also eher kein schönes, als „kein
       schöner Land“.
       
       Pölking, der nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Historiker
       arbeitet, hat neben historischen Arbeiten wie [1][„Der Bruderkrieg
       1870/71“] und „Wir Deutschen“ auch die Sachbücher „Ostpreußen – Biografie
       einer Provinz“ und „Das Memelland: Wo Deutschland einst zu Ende war“
       geschrieben. Bei den Recherchen für die war ihm aufgefallen, dass es kaum
       historische Filmaufnahmen aus diesen Gebieten gab.
       
       Also begann er 2012, noch während der Arbeit an den Büchern, Filmaufnahmen
       aus dem historischen Ostpreußen zu sammeln. Denn Pölking ist nicht nur
       Autor, sondern auch Filmemacher. Seine Spezialität sind Kompilationsfilme
       mit historischen Filmaufnahmen: So montierte er 2017 einen siebeneinhalb
       Stunden langen Film mit dem Titel „Wer war Hitler?“. Vor zwei Jahren hat er
       den [2][Film „Bremen wird bunt“] mit historischen Farbaufnahmen der
       Hansestadt produziert.
       
       In deutschen, russischen und US-Archiven kamen insgesamt gut 60 Stunden
       Ostpreußen-Filmmaterial zusammen. Dazu gehörten sowohl deutsche als auch
       sowjetische Propagandafilme. Hinzu kamen viele Amateuraufnahmen. Nun ist es
       zwar eine Binsenweisheit, dass es keine ideologiefreien Bilder gibt, aber
       gerade beim Thema Ostpreußen ist es geradezu zwingend zu fragen, von wem
       Filmaufnahmen zu welchem Zweck gedreht wurden.
       
       Genau dieser quellenkritische Ansatz macht Pölkings neuen Film interessant.
       Denn einerseits zeigt er in seinem Film die schönsten und interessantesten
       Fundstücke aus seiner Sammlung. Darunter sind viele Bilder, die bisher
       sonst nirgends zu sehen sind: Farbaufnahmen von Königsberg, [3][Hitler],
       der am Bahnhof bei der Wolfsschanze nervös und ungeduldig auf die Einfahrt
       eines Zugs mit wichtigen Gästen wartet. Oder auch Bilder vom Rückzug der
       geschlagenen deutschen Armee, bei denen man sich fragen muss, warum bei all
       dem Elend und Chaos noch jemand die Energie aufbrachte, eine Kamera zu
       bedienen.
       
       Auf der Tonspur wird dabei immer erklärt, wo die Aufnahmen warum und von
       wem gemacht wurden. Diese Faktenfülle würde erdrückend wirken, wenn die
       Kommentare nicht von Heidi Jürgens und Peter Kaempfe eingesprochen worden
       wären. Die beiden haben so viele Fernsehdokumentationen für Radio Bremen
       und den NDR eingesprochen, dass ihre Stimmen für norddeutsche Ohren vom
       ersten Wort an vertraut und beruhigend wirken. Außerdem wurde der Kommentar
       in einem locker, wohlgelaunten Stil verfasst. Manchmal menschelt er sogar
       ein wenig: „Vater hat’s verboten!“ hört man, wenn ein Kind auf einem von
       einem Pferd betriebenen Drehrad Karussell fährt.
       
       Aber man erfährt eben auch, dass die Firma Boehner-Film 1943 den
       propagandistischen Kulturfilm „Land an der Weichsel“ veröffentlichte und
       ihn 1963, inzwischen nach Hamburg umgesiedelt, noch einmal, „von
       Nazisymbolen bereinigt“, in die Kinos brachte. Wenn ein Soldat in
       Kriegszeiten auf Fronturlaub in Ostpreußen schöne Bilder aufnahm, dann kann
       Pölking erzählen, dass er diese mit einer billig im besetzten Frankreich
       gekauften, französischen Kamera gemacht haben muss.
       
       Pölking ist nicht daran interessiert, folkloristische Bilder von
       Landschaften, Tieren und urigen Menschen zu zeigen. Solche beliebten, oft
       aufgenommenen Motive hat er weggelassen. Und wenn er einmal
       Amateuraufnahmen vom Nationaldenkmal in Tannenberg zeigt, erklärt er im
       Kommentar, dass dieses vermeintlich heroische Motiv das mit Abstand am
       meisten fotografierte in seiner Sammlung ist.
       
       Bei einem Kompilationsfilm wie diesem besteht die kreative Arbeit des
       Filmteams vor allem in der Montage. Pölking hat den Film sehr geschickt
       strukturiert und geschnitten. So beginnt er nicht mit Bildern, sondern mit
       Tonaufnahmen des inzwischen so gut wie ausgestorbenen ostpreußischen
       Dialekts. Die meisten der Filmaufnahmen sind dagegen stumm. Sie wurden von
       einem Geräuschemacher möglichst naturalistisch vertont. Auch dies erklärt
       Pölking sehr früh im Film.
       
       Die ersten Bilder des ansonsten chronologisch erzählten Films stammen aus
       dem letzten Kapitel der Geschichte: dem Ostpreußen im Jahr 1944 mit der
       Flucht vor der anrückenden Roten Armee. Pölking hat sich nach anderen
       Schnittversionen für diese Lösung entschieden, damit die Zerstörung durch
       sowjetische Soldaten nicht als Zielpunkt der Dramaturgie wirkt. Danach
       zeigt er dann Aufnahmen von der Landung eines Luftschiffs in Königsberg.
       Und am Ende stehen schöne und friedliche Bilder von einem herrlichen
       Sommertag im Jahr 1944. Bald danach gab es Ostpreußen nicht mehr.
       
       15 May 2025
       
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