# taz.de -- Wunschkabinett der Union: Das bisschen Lobbyismus
       
       > Das Regierungspersonal von CDU und CSU steht. Gleich mehrere Spitzenleute
       > kommen aus Unternehmen. Haben sie Interessenskonflikte?
       
 (IMG) Bild: Der Bundeskanzler in spe gratuliert der designierten Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche
       
       Berlin taz | Das fängt ja gut an: Kurz nachdem die Union ihre
       Kabinettsmitglieder benannt hatte, provozierte der designierte
       Agrarminister Alois Rainer Umweltschützer:innen mit einem Interview in
       der Bild. Darin [1][schloss der CSU-Politiker höhere Steuern auf Fleisch
       klar aus]. „Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass keine
       Steuererhöhungen durchgeführt werden. Daran werde ich mich als zukünftiger
       Minister halten“, zitierte das rechte Blatt den Metzgermeister aus
       Niederbayern. Rainer sprach sich zudem dafür aus, dass Kindergärten und
       Schulen nicht ausschließlich vegetarische Kost, sondern auch Fleisch
       auftischen.
       
       Diese Positionierung ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert und womöglich
       typisch [2][für die neuen Unionsminister:innen]. Erstens, weil sie
       klar dem widerspricht, was Umweltschützer:innen und viele
       Wissenschaftler:innen für nötig halten. Und zweitens, weil sie zeigt,
       dass das Kabinett des künftigen Kanzlers Friedrich Merz (CDU) ein Problem
       mit Interessenkonflikten haben wird.
       
       Zu Punkt eins: Die Erzeugung von Fleisch belastet das Klima viel stärker
       als die pflanzlicher Lebensmittel, und es fallen dabei große Güllemengen
       an, die das Grundwasser und die Artenvielfalt gefährden. Außerdem leiden
       die Tiere – und die Menschen. Denn der Verzehr von zu viel Fleisch steht im
       Zusammenhang, etwa mit Krebs und Kreislauferkrankungen. Würden solche
       Nahrungsmittel durch eine leichte Erhöhung der Mehrwertsteuer etwas teurer,
       sänke der Konsum. Diskutiert wird etwa, die Steuer von bisher 7 Prozent auf
       9 Prozent zu erhöhen. Mit den zusätzlichen Einnahmen könnte der Staat zum
       Beispiel Landwirt:innen helfen, ihre Ställe so umzubauen, dass die Tiere
       mehr Platz hätten.
       
       „Nur weil sein Parteichef Markus Söder viel Döner isst, muss Döner nicht
       zur Allgemeinernährung werden“, kommentierte der Präsident des Deutschen
       Tierschutzbunds, Thomas Schröder, die Äußerungen von Alois Rainer. Die
       Zukunftskommission Landwirtschaft, an der sowohl der Deutsche Bauernverband
       als auch Umwelt- und Tierschützer beteiligt waren, habe einstimmig
       beschlossen, dass der Konsum tierischer Lebensmittel sinken müsse.
       
       ## Fleischverkauf als Lebensunterhalt
       
       Womit wir bei den Interessenkonflikten wären. Denn Alois Rainer führt nach
       eigenen Angaben „seit mehr als drei Jahrzehnten einen Gasthof mit
       Metzgerei“ im Bayerischen Wald. Er verdient sein Geld also nicht nur als
       Politiker, sondern auch damit, Fleisch zu verkaufen. Wenn er sich jetzt
       gegen höhere Steuern auf seine Produkte und für mehr Fleisch in
       Kindergärten und Schulen ausspricht, dann profitiert davon die Branche, an
       der er selbst beteiligt ist.
       
       Dass die Union solche Interessenkonflikte erlaubt, könnte überraschen.
       Hatte sie zu Zeiten der Ampelkoalition doch noch so vehement kritisiert,
       dass einige vormalige Mitarbeiter:innen von Umweltorganisationen oder
       Denkfabriken in von den Grünen geführten Ministerien beschäftigt waren.
       Wohlgemerkt waren das Staatssekretär:innen, nicht, wie jetzt unter der
       Union, Minister:innen.
       
       Nicht nur der designierte Landwirtschaftsminister lässt aufmerken. Das
       Regierungspersonal der Union hat eine klare Wirtschaftsflügel-Schlagseite,
       sagt Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol. Friedrich Merz
       war bis 2020 Lobbyist der mächtigen Investmentgesellschaft Blackrock. Levin
       Holle, der Finanzvorstand des maroden Staatskonzerns Deutsche Bahn, soll
       Merz’ Chef-Wirtschaftsberater im Kanzleramt werden. Der nächste
       Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer ist nicht nur sehr konservativ, sondern
       auch Medienunternehmer. Auch das neue Digital- und das
       Wirtschaftsministerium sollen mit Manager:innen besetzt werden, die
       direkt aus einem Unternehmen in ein Regierungsamt wechseln.
       
       Christina Deckwirth warnt vor Interessenkonflikten.
       Regierungsentscheidungen dürften nicht einseitig zugunsten der Wirtschaft
       fallen, betont sie. Auch die Belange etwa der Verbraucher:innen oder der
       Umwelt müssten zählen. „Die künftige Regierung muss beweisen, dass sie
       ausgewogen entscheiden kann und Wirtschaftsvertretern keinen privilegierten
       Zugang gewährt“, fordert sie. Möglich wäre das zum Beispiel, indem die
       Regierungsmitglieder freiwillig ihre Kontakte zu Lobbyist:innen
       veröffentlichten.
       
       ## Reiches Rückkehr wird von vielen gefeiert
       
       Zu denjenigen, die direkt aus der Chefetage eines Unternehmens in die
       Regierung wechseln könnten, zählt die gebürtige Brandenburgerin Katherina
       Reiche. Die designierte Wirtschafts- und Energieministerin ist wie
       Friedrich Merz eine Rückkehrerin. Bevor sie 2015 zum Verband kommunaler
       Unternehmen (VKU) wechselte, war sie Staatssekretärin zuerst im Umwelt- und
       dann im Verkehrsministerium. Als sie die Regierung verließ, hagelte es
       harsche Kritik – weil sie ohne Pause einen Lobbyposten übernahm. 2020
       wechselt sie in die Energiebranche und wurde Chefin der größten Tochter des
       Energiekonzerns Eon, des Unternehmens Westenergie.
       
       Reiches Rückkehr in die Politik wird von vielen gefeiert. Die
       Energieverbände, ob eher fossil oder erneuerbar ausgerichtet, überschütten
       sie mit Vorschusslorbeeren und loben ihre Expertise. Der Bundesverband der
       Deutschen Industrie ebenfalls. Lobbycontrol sieht dagegen gerade ihren
       Hintergrund kritisch. „Die Frage ist, ob Reiche die nötige Distanz
       mitbringt“, sagt Deckwirth. Denn sie soll für einen Bereich politisch
       verantwortlich sein, indem sie bis jetzt als Managerin Geschäftsinteressen
       verfolgt hat. Die Eon-Tochter Westenergie ist unter anderem für den Ausbau
       der Stromnetze verantwortlich, und der ist wichtig für den Ausbau der
       erneuerbaren Energien.
       
       Katherina Reiches Expertise in dieser Frage wird von politischen
       Freund:innen und Gegner:innen geschätzt. Westenergie ist aber auch
       Betreiber eines 37.000 Kilometer langen Gasnetzes und dürfte kein Interesse
       daran haben, so schnell wie möglich diesen fossilen Geschäftszweig
       aufzugeben. Das könnte bei der im Koalitionsvertrag vorgesehenen
       „Abschaffung“ des Heizungsgesetzes der Ampel eine Rolle spielen.
       
       Auch in der Frage, ob die neue Bundesregierung am Ziel des Ausbaus der
       Erneuerbaren festhält oder es aufweicht, sind die Interessen der
       Beteiligten wichtig. Reiches früherer Verband VKU fordert, die Ausbauziele
       „anzupassen“. Gemeint ist damit eine Verlangsamung. Klimapolitik fällt
       künftig nicht mehr in den Bereich des Wirtschaftsministeriums, sondern in
       den des Umweltministeriums. Wen die SPD dorthin entsendet, stand zu
       Redaktionsschluss noch nicht fest.
       
       Das Bundesumweltministerium bekommt Medienberichten zufolge außerdem die
       Verantwortung für Klimadiplomatie vom Auswärtigen Amt. Unter der grünen
       Außenministerin Annalena Baerbock hatte das Haus die Federführung bei den
       internationalen Klimaverhandlungen übernommen. Dafür hatte Baerbock die
       damalige Geschäftsführerin von Greenpeace International, Jennifer Morgan,
       als Staatssekretärin ins Auswärtige Amt geholt.
       
       ## Bürokratieabbau für Unternehmensinteressen
       
       Jemanden „von außen“ wolle er [3][für das Digitalministerium], das hatte
       Friedrich Merz bereits vorher angekündigt. Und mit seiner
       Blackrock-Vergangenheit war klar: Er holt niemanden aus einer NGO oder
       sucht nach klugen Wissenschaftler:innen. Die Frage war daher, welche
       Unternehmen sich künftig über einen direkten Draht in die
       Ministeriumsspitze freuen dürfen. Im Lebenslauf stehen hat Karsten
       Wildberger, der designierte Digitalminister, unter anderem die folgenden
       Stationen: MediaMarktSaturn, T-Mobile, Vodafone, Boston Consulting Group
       und, genau wie seine voraussichtliche Kabinettskollegin Katherina Reiche,
       Eon.
       
       Ein Thema, das sich dabei durch viele von Wildbergers Stationen zieht, ist
       digitale Transformation, also Unternehmen, die die Digitalisierung bislang
       nicht gerade engagiert verfolgt haben, so umzubauen, dass drin ist, was
       Kund:innen und Investor:innen von einem Konzern erwarten in den 2020er
       Jahren.
       
       Diese Art des Change-Managements, wie es in der Branchensprache heißt, also
       des Vorantreibens und Begleitens von Veränderungen, ist es wohl, die Merz
       für Wildberger vorgesehen hat: auch mal gegen etablierte Strukturen
       denken und keine Angst davor haben, wenn Menschen mit Politikerfahrung die
       Stirn runzeln oder den Kopf schütteln. Denn um ein neues Ministerium
       aufzubauen, wird Wildberger anderen Ressorts Kompetenzen abnehmen müssen.
       Und selbst wenn der neue Innenminister Dobrindt vielleicht nicht
       unglücklich darüber ist, die Verwaltungsdigitalisierung los zu sein, die
       nicht gerade ein Gewinnerthema ist – weniger Zuständigkeiten bedeuten auch
       weniger Budget und Personal und damit weniger Macht.
       
       Karsten Wildberger ist nicht nur Unternehmer, sondern als Vizepräsident des
       Handelsverbands HDE auch Lobbyist. „Es ist fraglich, wie unabhängig
       Wildberger über Fragen der Digitalisierung und Staatsmodernisierung
       entscheiden kann“, sagt Christina Deckwirth. Zum Tragen komme das etwa beim
       Thema Bürokratieabbau. Denn neben der Digitalisierung bekommt das neue
       Ministerium auch den Bereich Staatsmodernisierung. Gerade Bürokratieabbau
       werde von Lobbyist:innen immer wieder als Argument verwendet, um den
       Interessen von Unternehmen gegenüber gesellschaftlichen Anliegen Vorrang zu
       geben.
       
       Mit problematischen Verstrickungen bereits Schlagzeilen gemacht hat einer
       von Karsten Wildbergers möglichen zukünftigen Staatssekretären: Philipp
       Amthor. Er stand vor Jahren im Zentrum eines Lobbyismusskandals um die
       dubiose Firma Augustus Intelligence. Amthor ist wohl nachtragend: Nachdem
       der Skandal durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
       öffentlich geworden war, [4][setzte sich Philipp Amthor nun in den
       Koalitionsverhandlungen dafür ein, das IFG abzuschaffen]. Das Argument?
       Bürokratieabbau.
       
       3 May 2025
       
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