# taz.de -- Netanjahu in Ungarn: Schulterschluss gegen internationales Recht
       
       > Der israelische Premier Netanjahu reist trotz internationalen Haftbefehls
       > zu seinem Amtskollegen Orbán. Beide wollen wohl auch eins: ablenken.
       
 (IMG) Bild: Rechtspopulisten unter sich, hier in Netanjahus Büro in Jerusalem im Juli 2018
       
       Jerusalem/Wien taz | Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat
       eigentlich alle Hände voll zu tun: Gerade wurden zwei enge Mitarbeiter
       wegen mutmaßlicher Verstrickungen mit dem Staat Katar festgenommen, immer
       mehr Soldaten wollen laut Medienberichten wegen der Fortsetzung des
       Gazakriegs und der Wiederaufnahme des umstrittenen Justizumbaus nicht mehr
       zum Reservedienst erscheinen, Netanjahus Regierung steuert auf eine
       Konfrontation mit dem Obersten Gerichtshof zu. Die Liste ließe sich
       fortsetzen.
       
       Dennoch soll der israelische Ministerpräsident zusammen mit seiner Frau
       Sara am Mittwoch für fünf Tage zu einem Staatsbesuch in Ungarn aufbrechen.
       Es ist der erste in Europa, seit der Internationale Strafgerichtshof
       (IStGH) im November einen internationalen Haftbefehl gegen ihn verhängt
       hat.
       
       Zumindest über eine Festnahme muss sich Netanjahu nicht sorgen: Ungarns
       Regierungschef Viktor Orbán hatte bereits kurz nach der Entscheidung des
       Gerichts eine Einladung ausgesprochen. Das ungarische Recht lässt ihm dafür
       offenbar ein Schlupfloch: Das Land hat 2001 das Römische Statut des
       Gerichtshofes zwar ratifiziert, diese Verpflichtung auf nationaler Ebene
       aber nie verkündet.
       
       „Völkerrechtlich ist Ungarn ohne Frage zur Festnahme verpflichtet“, sagt
       Stefanie Bock, Professorin für internationales Strafrecht an der
       Universität Marburg. Die ungarische Verfassung hingegen gestehe
       Regierungschefs aber umfassende Immunität zu. Nun ließe sich argumentieren,
       dass für eine Verhaftung keine nationale Rechtsgrundlage bestehe. „Ungarn
       wäre aber völkerrechtlich längst verpflichtet gewesen, diesen
       Normenkonflikt zu lösen, und hat das bis heute nicht getan.“ Die
       internationale Ordnung werde so delegitimiert zugunsten einer Rückkehr „zum
       Recht des Stärkeren“.
       
       ## Ein Moment der Normalität als Staatsmann
       
       Zu Beginn des Gazakriegs im Oktober 2023 hat sich die ungarische Regierung
       ohnehin deutlich auf die Seite Israels gestellt und unterstützt die
       israelische Kriegsführung in Gaza nahezu uneingeschränkt. Auch wenn über
       das Besuchsprogramm bisher wenig bekannt ist, soll es laut der israelischen
       Internetzeitung Times of Israel Gespräche über eine Umsetzung des
       Gaza-Plans von US-Präsident Donald Trump geben. Der hatte im Januar eine
       Vertreibung der [1][Bevölkerung von Gaza] ins Spiel gebracht.
       
       Die Reise bietet Netanjahu auch einen Moment der Normalität als Staatsmann
       auf internationalem Parkett, während er zu Hause unter massivem Druck
       steht. In Israel mehren sich die Stimmen, die die Wiederaufnahme der
       Angriffe im Gazastreifen ablehnen. Am Montag musste Netanjahu außerdem in
       seinem eigenen Korruptionsverfahren vor Gericht erscheinen und im Anschluss
       bei der Polizei aussagen: Es ging um die Festnahme seiner engen Mitarbeiter
       Jonatan Urich und Eli Feldstein im Fall „Katargate“.
       
       Gleichzeitig betrieb der Regierungschef Schadensbegrenzung im zunehmend
       chaotischen Streit um die Führung des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet.
       Nachdem der Premier erst am Montag in einem umstrittenen Schritt den
       [2][Vizeadmiral Eli Sharvit] als Nachfolger von Ronen Bar verkündet hatte,
       ruderte er nur 24 Stunden später zurück und kündigte an, mit weiteren
       Kandidaten zu sprechen. Offenbar gab er mit der Entscheidung der Kritik
       seiner Koalitionspartner nach. Ohnehin hatte der Oberste Gerichtshof die
       Entlassung von Bar fürs Erste ausgesetzt. Kritiker sehen einen
       Interessenskonflikt, da der Schin Bet an den Ermittlungen gegen Netanjahus
       Büro im Fall Katar beteiligt ist.
       
       Doch auch Orbán verspricht sich Vorteile von dem Besuch. „Er versucht, mit
       der Einladung mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“, sagt
       Politikwissenschaftler Wojciech Przybylski, Leiter des Thinktanks Visegrad
       Insight. „Er will die Rolle internationaler Institutionen und der
       Rechtsstaatlichkeit diskreditieren. Er will Geschäfte machen. Und es geht
       ihm um politisches Marketing“, sagt Przybylski.
       
       ## Gegen den vermeintlichen europäischen Mainstream
       
       Zudem lebt in Ungarn eine bedeutende Minderheit von rund 100.000 Jüdinnen
       und Juden, die Orbán mit dem Empfang erreichen könnte. Doch ob er damit
       wirklich punktet, ist fraglich. „Viele der ungarischen Jüdinnen und Juden
       bemängeln, dass Netanjahus Regierung den Pluralismus der Diaspora-Gemeinden
       vernachlässigt und orthodoxe gegenüber liberalen religiösen Strömungen
       bevorzugt“, sagt Experte Novák.
       
       Attila Novák, Historiker und Nahostexperte in Budapest, sieht vor allem
       politische Motive. „Mit dem Boykott des IStGH-Urteils positioniert sich
       Ungarn, neben manch anderen EU-Ländern wie Polen und Tschechien, gegen den
       vermeintlichen europäischen Mainstream“, sagt Novák. Das Ziel, einen
       weitgehend homogenen Nationalstaat zu wahren, vereine die beiden. Möglich
       ist laut Novák auch, dass Netanjahu einen Unterstützer für eine
       Nachkriegsordnung Gazas im Sinne von US-Präsident Trump sucht.
       
       Sollte der Besuch in Ungarn für Aufregung sorgen, dürfte dies Orbán recht
       sein. [3][Er suche nach Themen, die die Opposition spalten könnten], so
       Przybylski, nicht zuletzt um von seinen schwachen Umfragewerten abzulenken.
       
       2 Apr 2025
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Wellisch
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