# taz.de -- Sänger Pankow über Punk in der DDR: „Mit einem Mal war alles möglich: Jede Zelle hat geflimmert“
       
       > In den 1980ern war Pankow Sänger der Ost-Berliner Punkband Planlos.
       > Gespräch über die Selbstbehauptung sensibler Kinder in einer groben
       > Gesellschaft.
       
 (IMG) Bild: „Für mich war Punk ein Riesengeschenk.“: Michael „Pankow“ Boehlke im März 2025 in Berlin, allerdings nicht im Bezirk Pankow
       
       taz: Pankow, wie fühlt sich das an, die erste eigene Platte in der Hand zu
       halten? Und das nach vier Jahrzehnten, mit den alten Songs Ihrer Punkband
       Planlos, nun eingespielt in neuer Besetzung? 
       
       Pankow: Komischerweise war es gar nicht so, wie ich es erwartet habe, dass
       ich in Tränen ausbreche. [1][Als Punk im Osten] hast du nicht einmal eine
       Idee davon gehabt, jemals deine Musik in einem Studio aufnehmen zu können.
       Ich hatte auch für mich nie in Anspruch genommen zu sagen: Ich bin Musiker.
       
       taz: Wenn man Sie heute auf der Bühne stehen sieht, hat man den Eindruck,
       Sie hätten nie etwas anderes gemacht. 
       
       Pankow: Nach den Konzerten in jüngerer Zeit und den vielen Proben habe ich
       mich manchmal gefreut: So, jetzt bist du irgendwie doch ein richtiger
       Musiker. Toll! Als wir in Leipzig das Album aufgenommen haben, stand ich
       zum ersten Mal in einem Studio am Mikro – und dann musst du liefern. Da
       merkte ich: Komisch, ich hab eine starke Präsenz! Wenn es darauf ankommt,
       bin ich extrem fokussiert. Als ich damit durch war, war das ein sehr
       emotionaler Moment für mich. Als ich aber die Platte dann das erste Mal in
       der Hand hatte, war ich eher beruhigt: Okay.
       
       taz: In der DDR in den 1980er-Jahren konnte Ihre Band nur [2][in der Kirche
       und in privaten Räumen auftreten]. Es war damals undenkbar, eine Platte
       aufzunehmen, obwohl viele Ihre Songs auswendig mitsingen konnten. Sie haben
       als Physiotherapeut Ihr Geld verdient. Hatten Sie in den vergangenen
       vierzig Jahren das Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein? 
       
       Pankow: Wir haben uns 1983 nach drei Jahren aufgelöst. Ich habe mich lange
       darauf ausgeruht, dass wir daran keinen Anteil hatten, bin lieber in die
       passive Rolle gegangen: Wir sind verfolgt worden, und das ging nicht
       anders. Aber das stimmt eben nicht ganz. Andere haben trotzdem
       weitergemacht. Wir hatten immer eine Wahl. Doch wir hatten innerhalb der
       Band Kämpfe. Was da so abging, hat mich geschockt und gelähmt. Bei mir war
       der Wunsch verschüttet, nach der Band mit der Musik weiterzumachen. Der war
       da, aber er war verschüttet.
       
       taz: Worüber haben Sie in der Band gestritten? 
       
       Pankow: Es war ja riskant, was wir gemacht haben. Meine Haltung war: Es ist
       egal. Wir machen trotzdem weiter. Ich singe weiter staatskritische oder
       auch staatsfeindliche Lieder.
       
       taz: In Ihrem Song „Schlange“ wird Überwachung und Zersetzung durch die
       Stasi so beschrieben: „Du stehst neben mir, sitzt mir im Genick. In der
       U-Bahn streift mich dein Blick. Ich weiß nicht mehr, wohin ich soll.
       Gerüchte killen wundervoll.“ 
       
       Pankow: Die Band war gespalten. Die beiden im anderen Lager wollten mal
       raus aus dieser ewigen Gefahrenzone. Sie wollten eine Einstufung machen,
       und dagegen habe ich mich gewehrt.
       
       taz: Einstufung hieß, vor einer staatlichen Jury aufzutreten, die dann
       festgelegt hätte, ob und wo die Band auftreten darf. Öffentliche Auftritte
       hätten Zensur oder Selbstzensur der Texte bedeutet. 
       
       Pankow: Ich war da sehr engstirnig. Aber ich glaube, ich brauchte eine
       klare Grenze. Ich musste mich vor mir selbst positionieren: Wir sind gegen
       den Staat. Das hat mich stark gemacht. Wenn ich das aufgeweicht hätte,
       hätte ich nicht mehr gewusst, wo gehöre ich denn noch hin? Deswegen kam es
       zum Bruch.
       
       taz: Der Staat hat mit Härte auf junge Leute reagiert, die er provokant
       fand. Haben diese Erfahrungen Sie zum Punk gemacht? 
       
       Pankow: Ich glaube das alles überhaupt nicht mehr, mit dem Punk.
       
       taz: Das müssen Sie erklären. 
       
       Pankow: Ich hätte diese Frage früher ganz einfach mit Ja beantwortet. Das
       kann ich heute nicht mehr. Ich habe mich mittlerweile intensiv mit Punk in
       der DDR beschäftigt. Wir haben eine Ausstellung und [3][einen Film
       gemacht], ein Buch veröffentlicht. Fünfzehn Jahre meines Lebens habe ich
       diesem Thema gewidmet. Ich glaube nicht mehr daran, dass man das reduzieren
       kann auf die Punkzeit, die bei mir drei Jahre gedauert hat. Das ist ja in
       mir angelegt gewesen: also Widerstand, Skepsis, aber auch so Gefühle wie
       Trauer und Zweifel. Die Angst, die sich dann als Wut gezeigt hat, kommt
       nicht aus der Punkzeit, wenn man 16 ist.
       
       taz: Sondern? 
       
       Pankow: Die Punks, mit denen ich gesprochen habe, waren oftmals
       hochsensible Kinder. Weil etwa Gewalt in der Familie herrschte, mussten sie
       in Habachtstellung sein. Das alles noch gepaart mit dem [4][Leben in einer
       Diktatur], wo sich keiner traut, die Wahrheit zu sagen, und Gewalt
       allgegenwärtig ist. Mein Elternhaus war eher kritisch eingestellt der DDR
       gegenüber. Da habe ich schon viel gelernt, und in der Schule dann gemerkt:
       Nein, das darf ich nicht sagen. Da wird man schon skeptisch. Für mich war
       Punk ein Riesengeschenk. Mit einmal durfte ich meine Hilflosigkeit und Wut
       äußern, ungefragt. Das war ein Befreiungsschlag. Das hieß jetzt Punk, okay,
       aber es hätte auch anders heißen können.
       
       taz: Punk war eine Ausdrucksform für sensible Kinder? 
       
       Pankow: Wir kommen aus einer groben Gesellschaft, im Osten wie im Westen.
       Das waren oft kritische Verhältnisse, selbst wenn die Eltern in der Partei,
       bei der Stasi oder Funktionäre waren. Dann war vielleicht keine
       unmittelbare Gewalt da, aber dafür halt andere Themen, beispielsweise
       extremer Leistungsdruck.
       
       taz: Woher kamen bei Ihnen die Angst und die Wut? 
       
       Pankow: Meine Eltern haben ganz schön miteinander zu tun gehabt. Wir
       Kinder, meine Schwester und ich, standen immer in diesem Spannungsfeld.
       Damit kam ich in die Schule und wurde als Linkshänder auf rechts umerzogen.
       Ich habe nie ein großes Selbstbewusstsein gehabt. Die anderen konnten alle
       schon schreiben in der 2. Klasse, und ich konnte das immer noch nicht. Dann
       habe ich angefangen zu stottern, also einen Sprachfehler entwickelt, und
       war eh immer schon so dünn. Es kam eine Menge zusammen.
       
       taz: Sie waren ein Außenseiter? 
       
       Pankow: Ein bisschen schon. Dieses Defizit, das ich im Elternhaus hatte,
       habe ich ja überall mit hingenommen. Ein erhöhtes Energielevel hatte ich
       auch immer. Dazu kam die Ästhetik. Mein Vater hat immer über mich gesagt:
       Der ist nicht ehrgeizig, aber eitel. Ich wollte gut aussehen. Ja, und dann
       sehe ich dieses Foto von Johnny Rotten.
       
       taz: Das war ein Foto in der „Bravo“, noch bevor Sie einen Ton Punk gehört
       hatten. 
       
       Pankow: Ja, dieses Foto von den Sex Pistols in der Bravo kursierte auf dem
       Schulhof. Das hat mich sehr beeindruckt. Johnny Rotten, die Klamotten, die
       Haare, der ganze Style, das war erst mal mein Vorbild. Ich wusste gar
       nicht, was Punk musikalisch ist, aber das fand ich toll.
       
       taz: Ich glaube, das ist vielen so gegangen in Ost wie West: Wie die
       aussehen, drückt aus, wie ich mich fühle. [5][Die tragen den Widerstand,
       den man der Welt gegenüber empfindet, nach außen.]
       
       Pankow: Ich hatte noch nicht viel mehr Eindrücke als dieses Bravo-Poster.
       Aber da war mir schon klar, ich will jetzt Klamotten haben, die andere
       nicht tragen, und auch meine Haare anders tragen. Die ersten paar Wochen
       war ich als Punk allein in Pankow. Da habe ich sogar einen eigenen Gang
       entwickelt: Ich wollte auch anders laufen als alle. Ich wollte
       grundsätzlich und komplett anders sein.
       
       taz: Was haben Sie getragen? 
       
       Pankow: Von meinem Opa hatte ich eine alte Anzughose. Da habe ich Löcher
       reingeschnitten und Reißverschlüsse reingenäht. Dann habe ich so ein
       Jugendmodesakko – ich hatte nicht das Geld – geklaut und habe ein
       Anarchiezeichen draufgesprüht. Ich war aber noch Udo-Lindenberg-Fan und
       hatte an meinem Sakko einen Lindenberg-Badge. Dann dachte ich, ich sehe ja
       selber cool aus. Ich habe ein Foto von mir auf einen Knopf geklebt. Der
       ABV, also der Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei, hat mich mal
       befragt: Mensch, wie läufste denn rum? Dann hat er den Badge gesehen und
       gefragt, was das ist. Ich habe gesagt: Dit bin ick selber. Die Idee, dass
       man sich selbst als Foto auf dem Anzug rumträgt, fand er phänomenal.
       
       taz: Bevor Sie Sänger von Planlos wurden, gab es die Band schon, sie hieß
       Antifaschistischer Schutzwall. Der Name stellte den Mythos infrage, dass
       die DDR durch und durch antifaschistisch war. 
       
       Pankow: Meine Oma und Opa waren Kommunisten. Mein Opa war in der Komintern
       und meine Oma war eine frühe Feministin. Ich habe das alles auch
       mitbekommen und fand die Idee des Kommunismus oder des Sozialismus immer
       gut. Aber wir sind in der Schule ja indoktriniert worden die ganze Zeit. Du
       hast permanent gehört, die Bösen sind die Faschisten, und die Bösen, das
       ist der Westen. Da drüben ist noch Faschismus, [6][und bei uns ist gar
       nichts]! Ich habe die Staatsbürgerkundelehrerin gefragt: Okay, aber wenn es
       den Faschismus bei uns nicht mehr gibt, wo ist er denn dann? „Der
       Faschismus ist ausgerottet.“ Sie haben wirklich dieses Wort benutzt, das
       fiel mir schon in der 5. Klasse auf.
       
       taz: Die Wortwahl ist in der Tat auffällig. 
       
       Pankow: Mit der Schule waren wir im KZ Ravensbrück und ich bin alleine nach
       Buchenwald gefahren, weil es mich interessiert hat, und war da schon schwer
       geschockt. Aber im Unterricht wurde anders drüber gesprochen. Ich habe die
       Lehrerin gefragt: Okay, viele Leute haben den Faschismus aber doch gelebt
       und daran geglaubt? Ich weiß nicht, ob so eine Glaubensrichtung so schnell
       verschwindet. Sie darf sich im Sozialismus nicht zeigen, [7][aber
       vielleicht ist sie ja noch da?] Das ging natürlich gar nicht. Man konnte
       spüren, dass sie das Thema nicht haben wollten.
       
       taz: Die Stasi hatte Schwierigkeiten mit der politischen Einordnung von
       Punk. „Negativ-dekadent“ war eine der Bezeichnungen für die Szene. 
       
       Pankow: Dieses Im-Moment-sein lag mir schon, aber ich hatte immer auch
       Ideen, wie eine Gesellschaftsordnung aussehen könnte. Ich hatte häufig
       Gespräche mit meinem Stasivernehmer, in der Regel war das immer derselbe.
       Die haben uns anfangs nicht zuordnen können und dachten, wir sind rechts.
       Ich habe ihm immer wieder erklärt, dass wir uns als links verstehen. Er
       dachte, ich will ihn verarschen. Als ich ihm erzählt habe, dass ich Marx
       lese, wie wir Sozialismus sehen, war der ein bisschen geschockt, weil er
       nicht mehr wusste: Sind die wirklich eine Gefahr für uns? Punks haben sich
       behauptet. [8][Sie gingen nicht auf in Angst, in Zweifeln, in Unsicherheit
       oder was auch immer.] Diese Angst war aber im gesamten System. Die DDR war
       ein unsicheres Gebilde, immer abhängig von der Sowjetunion. Dazu kam die
       Bedrohung vom Westen, der Kalte Krieg. Der erste Aufstand war 1953. Es ging
       also schon früh los, dass die eigene Bevölkerung im Widerstand war. Als sie
       gemerkt haben, so glatt läuft das alles nicht. Und dann müssen wir sogar
       eine Mauer bauen, damit uns das Volk nicht abhaut. Das war ja auch ein
       Ausdruck von Hilflosigkeit und Angst.
       
       taz: Alle überwachen sich gegenseitig, damit keiner was Falsches sagt. 
       
       Pankow: Das haben wir genial genutzt. Wir wussten: Klar traut sich keiner,
       was zu sagen, aber wir trauen uns das.
       
       taz: Eines Ihrer Stücke endet mit den Zeilen: „Deutschland, Deutschland,
       Polizei. Deutschland, Deutschland ist entzwei. Russland und Amerika, bald
       ist der Atomkrieg da.“ 
       
       Pankow: Könnte sein, dass er im Zusammenhang mit der Stationierung von
       SS-20 im Osten und Pershing-Raketen im Westen entstanden ist. Ich hatte
       damals erfahren, dass in Gransee die SS-20 stationiert werden. Wir sind in
       Punkmanier bei dem Armeegelände dort vorgefahren, die Scheiben
       runtergekurbelt. Dann habe ich den Armeetypen gefragt, ob hier die SS-20
       stehen. Wir wollten uns die mal ankieken. Die haben uns sofort rausgeholt,
       Handschellen angelegt, festgenommen. Wir waren kurz inhaftiert, bis sie
       verstanden hatten, dass das nur ein Joke war. Wir hatten aber den Nagel auf
       den Kopf getroffen und sind genau da gelandet, wo die Dinger stationiert
       waren.
       
       taz: Oft ist es nicht so glimpflich ausgegangen. In Ihrer Zeit als
       Planlos-Sänger war immer irgendeiner Ihrer Punkfreunde im Knast. Waren Sie
       selbst länger inhaftiert? 
       
       Pankow: Nee, ich hatte Glück. Ich war immer wieder mal so ein paar Tage
       drin, aber nicht wirklich im Knast. Kann Glück gewesen sein, kann aber auch
       sein, weil ich als IMV geführt wurde. Die Stasi hat ja sehr patriarchal
       gedacht. Sie sind davon ausgegangen, dass der Sänger einer Band auch der
       Chef ist und da also der beste Zugriff ist.
       
       taz: Was heißt IMV? 
       
       Pankow: „IM-Vorläufer“. Ein informeller Mitarbeiter, also IM, war jemand,
       der für die Stasi gearbeitet hat. Wenn die jemand haben wollten, der für
       sie arbeitet, dann haben sie den erst mal als IM-Vorläufer geführt in den
       Akten und versucht, den zu werben. Das haben sie bei mir über acht Monate
       gemacht. Dann kam raus, ich bin auf gar keinen Fall bereit. Dann sollten
       die Kriminalisierungsversuche losgehen, das hat auch alles nicht geklappt,
       und dann haben sie uns zur Armee einberufen.
       
       taz: Sie haben mal geschrieben, dass Ihre Punkzeit von Nervosität,
       Tatendrang und Aufbruchstimmung gekennzeichnet war. Hatten Sie das Gefühl,
       dass Sie was verändern können? 
       
       Pankow: Absolut. Es gab nur sehr wenige, die so rumliefen. Du kriegst von
       jedem auf der Straße Feedback, in welcher Form auch immer. Dann kommt auch
       noch der Staat und nimmt dich wichtig. Wir haben uns als politische Band
       empfunden und ich mich als Sprachrohr dieser Band. Wir haben uns für die
       Speerspitze einer Bewegung gehalten. Wir sind sehr schlau, sehen gut aus.
       Wir wollen was verändern in dem Staat zum Besseren hin. Sobald ich morgens
       aufgewacht bin, hatte ich ein Sendungsbewusstsein. Ich bestand nur aus
       Politik. Ich hab den ganzen Tag mit Leuten diskutiert, gesprochen. Überall.
       Von 1980 bis 1983 herrschte Aufbruchstimmung. Der Schritt, sich neu zu
       erfinden, hat viel Energie freigesetzt. Mit einem Mal war alles möglich.
       Jede Zelle hat geflimmert, es schien drei Jahre lang die Sonne. Trotz der
       Verhaftungen, trotz dieses ganzen Irrsinns.
       
       taz: Wie ging diese Zeit zu Ende? 
       
       Pankow: So Mitte 1983 ging die Ausreisewelle los. Auf einmal sind die Leute
       wirklich gegangen. Meine eigene Freundin ist ausgereist. 1984, als ich zur
       Armee kam, war ein großer Teil meines Freundeskreises schon weg. Entweder
       im Westen oder eben nicht mehr in dieser Gemeinschaft von Andersdenkenden.
       Da fing eine Depression an, das machte alles keinen Sinn mehr.
       
       taz: Sie waren dann in der Bürgerrechtsbewegung politisch aktiv. 
       
       Pankow: Ich habe mein Potenzial ein bisschen überlegter eingesetzt und im
       politischen Untergrund mitgearbeitet. Ich war in der Polen-Gruppe. Wir
       wollten das Modell von der Solidarność abkupfern. Die Frage war, wie haben
       die das geschafft, in Danzig die Massen zu mobilisieren? Ich war auch in
       einer Gruppe, da ging es um Wehrdienstverweigerung. Meinen besten Kumpel
       Eule haben wir über Fluchthilfe in den Westen gebracht, weil der so ’n
       Schiss vor der Armee hatte.
       
       taz: Eines Tages haben Sie die DDR wegen Körperverletzung verklagt. Wie kam
       es dazu? 
       
       Pankow: Ich hatte mal wieder eine Vorladung und da teilte mir ein Genosse
       mit, dass ich dieses Land nicht mehr verlassen werde. In keine Richtung,
       also auch nicht ins sozialistische Ausland. Ich und eine Freundin aus der
       Polen-Gruppe, das war eine russische Staatsbürgerin, haben eines Tages Visa
       nach Polen beantragt – und haben es bekommen. Kurz vor der Grenze sind wir
       aus dem Zug geholt und festgenommen worden. Sie haben mich ziemlich
       zugerichtet. Ich habe die Schnauze voll gehabt und das dokumentieren lassen
       von einem Arzt. Dann habe ich gedacht, ich verklage jetzt die Stasi und
       habe mit Rechtsanwälten gesprochen. Die haben alle gesagt: Das machen wir
       nicht. Dann bin ich an [9][Gregor Gysi] geraten und er sagte, er macht das.
       
       taz: Gysi hat die Stasi verklagt? 
       
       Pankow: Du konntest in der DDR nicht die Staatssicherheit verklagen. Du
       konntest aber eine sogenannte Staatshaftung machen, so hieß es, glaube ich.
       Das hat er gemacht. Ich hatte ja formal ein Visum, bin aber festgehalten
       und geschlagen worden. Es gab einen Prozess ohne Beteiligte, der war
       gewissermaßen inoffiziell. Wenn ich mich recht erinnere, lief irgendwann
       jemand von den Genossen bei Gysi im Büro auf und hat ihm mitgeteilt, dass
       wir den Prozess gewonnen haben: Hier sind 300 Mark als Wiedergutmachung,
       aber keine schriftliche Bestätigung. Das war 1987.
       
       taz: Sie haben die DDR verklagt. Und gewonnen. 
       
       Pankow: Das habe ich noch nie so betrachtet. Aber ja, so war’s.
       
       taz: Die DDR ist Geschichte, Planlos ist wieder da. Was bedeutet es Ihnen
       heute, die alten Texte zu singen? 
       
       Pankow: Anfangs war ich gar nicht so begeistert von der Idee, die alten
       Aufnahmen zusammen mit neuen Interpretationen der alten Songs zu
       veröffentlichen. Dann aber habe ich mich intensiv mit den Texten von damals
       beschäftigt und merkte, dass der Großteil davon für mich heute noch
       funktioniert. Ein Text wie „Deutschland“ etwa hat eine Aktualität auf
       politischer Ebene. Ein Text wie „Schlange“ wiederum, der von der
       alltäglichen Überwachung in der DDR handelt, ist auf einer emotionalen
       Ebene für mich immer noch gegenwärtig.
       
       13 Apr 2025
       
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