# taz.de -- Queere Clubkultur: „Alle sind willkommen, die süß sind“
       
       > LCavaliero Mann war 10 Jahre künstlerischer Direktor des SchwuZ. Ein
       > Gespräch über Selbstbestimmung und wie der Rechtsruck queere Kämpfe
       > beeinflusst.
       
 (IMG) Bild: Hier, im SO36 plant LCavaliero Mann seine nächste Veranstaltung
       
       taz: Brauchen wir wieder mehr „männliche Energie“, Herr Mann? 
       
       LCavaliero Mann: Dass es eine „männliche“ oder „weibliche“ Energie gibt,
       würde ich infrage stellen.
       
       taz: [1][Facebook-Chef Mark Zuckerberg fordert wieder mehr „maskuline
       Energie“] und Aggression in der Unternehmenskultur. 
       
       Mann: Wenn mit „maskuliner Energie“ Sexismus und Übergriffe im
       Arbeitsalltag gemeint sind, dann möchte ich dem vehement widersprechen. Das
       ist eher patriarchale Energie!
       
       taz: Tatsächlich haben viele Firmen in den letzten Jahren vor allem
       Frauenförderung und Queerfreundlichkeit signalisiert, überall war das
       Regenbogenfähnchen zu sehen. 
       
       Mann: Das war oft oberflächlich und fragil. FLINTA*-Personen, also Frauen,
       Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans* und ageschlechtliche
       Personen, durften ein bisschen mitspielen. Auch People of Colour durften
       mitmachen. Jetzt werden sie wieder ausgeladen und ausgegrenzt. Viele Firmen
       [2][ziehen gerade ihre Diversitäts-Initiativen zurück] und sagen, das hätte
       wirtschaftliche Gründe. Ich sehe das aber eher als Ausrede.
       
       taz: Was ist der tatsächliche Grund? 
       
       Mann: Der Diskurs verschiebt sich auch durch den Einfluss von
       Rechtspopulisten. Wir leben in Krisenzeiten; in teils tatsächlichen, teils
       imaginierten Krisen. Und es ist leider nach wie vor so, dass man in
       Krisenzeiten versucht, irgendwelche Schuldigen zu finden, auf die man das
       abwälzen kann.
       
       taz: Von 2014 bis 2024 waren Sie künstlerischer Leiter des SchwuZ, des
       vielleicht wichtigsten queeren Clubs in Berlin. In ihrer Zeit fand dort die
       LGBTIQ-Karrieremesse „[3][Sticks and Stones“] statt. Da gab es auch Kritik,
       dass das nur oberflächliche Queerfreundlichkeit sei. 
       
       Mann: Es ist gut und richtig, wenn Firmen sich hinstellen, um zu sagen: Wir
       freuen uns über queere Mitarbeitende. Die Messe hat sich im SchwuZ ja nur
       eingemietet, da kann man schlecht überprüfen, was die beteiligten Firmen
       dann tatsächlich tun. Aber viele Unternehmen waren und sind immer noch ein
       Motor dafür, dass sich queere Menschen auf Stellen bewerben. Und häufig
       sind das welche, bei denen sie sich vorher nicht getraut hätten. Speziell
       trans* Personen, genauer trans* Frauen, haben Schwierigkeiten, an gute Jobs
       zu kommen. Deswegen finde ich die Idee einer queeren Karrieremesse erst mal
       gut.
       
       taz: Ein queeres Firmenimage ist das eine. Was braucht es, damit auch faire
       Arbeitsbedingungen für Queers gelten? 
       
       Mann: Es reicht nicht aus, einfach Menschen auf einem Poster abzubilden.
       Die Unterstützung muss tief in der Firmenkultur verankert sein und es muss
       eine kontinuierliche Auseinandersetzung innerhalb des Unternehmens
       stattfinden. Gleichheit braucht auch Gerechtigkeit.
       
       taz: Es sind nicht nur heterosexuelle Männer, die jetzt zur „guten alten
       Zeit“ zurück wollen. In den sozialen Medien feiern „Tradwives“ extrem
       konservative Frauenbilder. Alice Weidel steht als Frau und Lesbe an der
       Spitze der AfD. 
       
       Mann: Manchmal passen sich Menschen an bestimmte Erwartungen an, um
       Anerkennung zu bekommen. Gefährlich wird es, wenn solche Verhaltensweisen
       als „natürlich“ dargestellt werden und andere Verhaltensweisen als falsch
       oder als nicht männlich oder nicht weiblich genug gebrandmarkt werden.
       
       taz: Genau das erleben zum Beispiel nicht binäre und trans* Menschen. Warum
       lässt sich gegen sie so gut hetzen? 
       
       Mann: Selbstbestimmte Geschlechtsdefinitionen oder auch
       Geschlechtstransition sind offensichtlich immer noch ein Tabu, das nicht
       überschritten werden darf, weil das dann die vermeintlich „natürliche
       Ordnung“ infrage stellt.
       
       taz: Haben Sie Verständnis für Leute, denen die gesellschaftlichen
       Veränderungen zu schnell gehen? 
       
       Mann: Ich habe Verständnis für Menschen, die Fragen zur queeren Identität
       haben oder sich durch Veränderungen verunsichert fühlen. Solange sie
       respektvoll sind. Kein Verständnis habe ich für Menschen, die anderen ihre
       Identität oder Lebensrealität absprechen. Die Diskussionen darum, inklusive
       Sprache zu verbieten, finde ich albern. Sprache entwickelt sich mit der
       Gesellschaft weiter, und es ist nicht sinnvoll, sie starr zu regulieren
       oder nur die männliche Form zu verwenden.
       
       taz: Sie sprechen die CDU und CSU an, die das [4][Gendern in manchen
       Bundesländern in Schulen, Behörden und im Rundfunk verboten haben] und das
       jetzt im ganzen Land tun wollen. Auch das [5][Selbstbestimmungsgesetz], das
       im November in Kraft getreten ist, soll wieder weg. 
       
       Mann: Dass das Selbstbestimmungsgesetz kassiert werden soll, finde ich
       wirklich unmöglich. Es zeigt die unglaublich menschenverachtende Haltung
       der CDU. Die [6][Kritik] war ja, dass die Leute durch psychologische
       Gutachten quasi beweisen mussten, dass sie trans* sind. Ich fand das
       übergriffig und respektlos meiner Person gegenüber. Mit dem
       Selbstbestimmungsgesetz kann ich die Personenstandsänderung auf dem Amt nun
       kundtun. Ich weiß doch am besten, wer ich bin.
       
       taz: Ab 14 Jahren können Minderjährige selbst den Antrag zur Änderung des
       Geschlechts abgeben. Dass auch sie schon so genau wissen, wer sie sind,
       daran zweifeln manche. 
       
       Mann: Das spricht den Jugendlichen die Selbstbestimmung ab. Es ist ja nicht
       so, dass Jugendliche keinen Verstand haben und kein Selbstverständnis. Sie
       wissen, wer sie sind, und sie wissen es am besten. Zusätzlich gibt es ja
       auch Beratungs- und Unterstützungsangebote.
       
       taz: Wie sind Sie selbst denn zu dem LCavaliero Mann geworden, der Sie
       heute sind? Aufgewachsen sind Sie in einer baden-württembergischen
       Kleinstadt … 
       
       Mann: Nach dem Abitur bin ich nach Wien gegangen und habe freie Malerei und
       Tapisserie studiert. Dort konnte ich auch Vorlesungen zur Frauen- und
       Geschlechterforschung hören, so hieß das damals noch an der Akademie. Es
       ging um historische Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in der
       Kunst – ein Thema, das mich sehr fasziniert hat.
       
       taz: Warum? 
       
       Mann: Ich habe schon früh gemerkt, dass meine Geschlechtsidentität anders
       ist. Manche Vorstellungen von Weiblichkeit waren mir zu eng. Später zog ich
       nach Berlin, und traf dort viele Menschen, die jenseits von traditionellen
       Geschlechternormen lebten. Im Laufe des Studiums wurde mir dann immer
       klarer, dass ich mich nicht als Frau fühle, sondern als transmaskulin – das
       passte einfach besser zu mir.
       
       taz: Wer waren dabei Ihre Vorbilder? 
       
       Mann: Zum Beispiel gab es eine [7][Gruppe von Drag-Kings namens Kingz Of
       Berlin], die in den frühen 2000ern sehr aktiv waren. Ich erinnere mich noch
       an ihren Auftritt bei der 10-Jahres-Feier der Gender Studies, als sie im
       Senatssaal der Humboldt-Universität performt haben. Das war einer der
       ersten Momente, in denen mir klar wurde: Gender ist Performance, es hat
       nicht nur mit Biologie zu tun.
       
       taz: Manche sagen ja, Gender Studies hätten wenig mit Wissenschaft zu tun. 
       
       Mann: Mein Eindruck war ganz anders. Ich fand den Studiengang unglaublich
       spannend und bereichernd. Weil er sich auch mit der Frage auseinandersetzt,
       wie Wissenschaft gemacht wird, wie Wissen produziert wird – und was das mit
       Gesellschaft zu tun hat. Welche Annahmen sind historisch bedingt und wie
       beeinflussen sie die Wissenschaft heute? Was wird vielleicht ausgeblendet?
       Ein Klassiker in diesem Kontext ist die Geschichte der Farbe Rosa: Um die
       Jahrhundertwende galt Rosa als eine männliche Farbe. Erst später wurde sie
       kulturell mit Mädchen in Verbindung gebracht. Das zeigt, wie sehr
       gesellschaftliche Entwicklungen unsere Wahrnehmung von Dingen beeinflussen
       und verändern. Dass das zu untersuchen keine „richtige“ Wissenschaft ist –
       diese Idee halte ich für völligen Quatsch.
       
       taz: Wie sind Sie dann von der Forschung in die Clubszene gerutscht? 
       
       Mann: Ich war schon im Studium politisch aktiv und in Berlin konnte man so
       viele tolle Projekte starten. Dann bin ich Teil einer Performancegruppe
       geworden – die Spicy Tigers on Speed. Da habe ich gemerkt, dass ich eine
       richtige Rampensau bin. Es macht mir einfach Spaß, auf der Bühne zu stehen.
       Aber auch, Räume zu schaffen, in denen queere Menschen so sein können, wie
       sie sind und sich vom Alltag in der heteronormativen Realität erholen
       können. Als solchen Raum habe ich das SchwuZ kennengelernt.
       
       taz: Kurz nachdem das SchwuZ 2013 von Kreuzberg nach Neukölln umgezogen
       ist, haben Sie die künstlerische Leitung übernommen. 
       
       Mann: Als ich beim SchwuZ anfing, hieß es in meinem Bewerbungsgespräch:
       „Wir suchen jemanden, der das SchwuZ repolitisiert.“ Und für mich bedeutete
       Repolitisierung auch Diversifizierung – des Teams, der Außendarstellung,
       des Bookings, der Veranstaltungen. Mir war es wichtig, nicht nur Angebote
       für weiße, schwule Männer zu schaffen, sondern zum Beispiel die Tasty-Party
       für Fans von Hip-Hop und arabischer Popmusik oder La Discotheka mit
       Latin-X-Musik und Afrobeats. Ich habe auch Soli-Veranstaltungen organisiert
       und mich dafür eingesetzt, dass das SchwuZ mehr als nur eine Disco ist. Es
       sollte auch ein Ort sein, der gesellschaftliche Themen aufgreift:
       Rassismus, queere Teilhabe, Behinderung. Und ein Ort, an dem queere Leute
       mit weniger Kohle Spaß haben können.
       
       taz: Neukölln hat ja bei vielen nicht gerade einen queerfreundlichen Ruf. 
       
       Mann: Es gibt Gewalt gegen queere Menschen in ganz Berlin, in allen
       Institutionen. Ich habe selbst massive Diskriminierungen in großen, auch
       staatlichen Organisationen erlebt, an der Universität, in Krankenhäusern.
       Diese Form von Gewalt durchdringt einfach alle Bereiche und sie kann den
       Leuten leider überall passieren. Das ist auch Teil des Backlashs, dass man
       Queerfeindlichkeit jetzt ausschließlich in Neukölln sucht und nur
       arabischen Männern zuschiebt. Ein Mann aus Syrien, der geflüchtet war und
       sich für einen Job als Türsteher im SchwuZ bewarb, sagte mir, dass er das
       SchwuZ als den Ort kennt, an dem alle so sein dürfen, wie sie sind. Er war
       hetero, aber das SchwuZ war in seiner Geflüchteten-Community bekannt als
       der Ort mit der größten Freiheit. Er wollte Teil davon sein.
       
       taz: Sie sollten das SchwuZ repolitisieren – aber vielleicht waren Sie
       etwas zu politisch und sozial? Die Geschäftsführung des SchwuZ hat Ihnen im
       Dezember gekündigt. Seitdem sind Sie nicht mehr künstlerischer Leiter und
       Ihre Stelle wurde nicht nachbesetzt. 
       
       Mann: Die Entscheidung, die Position des künstlerischen Leiters im SchwuZ
       abzuschaffen, hat mich getroffen. Ich hatte dort zehn Jahre lang sehr viel
       Herzblut und Arbeit reingesteckt.
       
       taz: Steht Ihre Kündigung im Zusammenhang mit einer größeren Veränderung in
       der Berliner Clubkultur? 
       
       Mann: Die Clubkultur steckt definitiv in einer Krise. Zuerst kam Corona,
       dann die gestiegenen Energiepreise und Personalkosten. Gleichzeitig haben
       viele Menschen selbst weniger Geld. Der Kostendruck führt zu einer
       stärkeren Kommerzialisierung, was der Clubkultur nicht guttut. Clubs sind
       auch Freiheitsräume und Schutzräume. Wenn diese Räume durch hohe
       Eintrittspreise weniger zugänglich werden und gleichzeitig die Angebote für
       Nachwuchskünstler*innen oder politische Veranstaltungen nicht mehr
       finanzierbar sind, ist das sehr problematisch.
       
       taz: Man setzt jetzt auf wohlhabende, schwule Touristen statt auf arme,
       queere Geflüchtete und politische Inhalte. Und der Berliner Senat spart
       auch noch massiv bei den Kulturzuschüssen. 
       
       Mann: Dabei ist die Kultur in Berlin auch auf anderer Ebene ein wichtiger
       Faktor für die Stadt – die Menschen, die herkommen, buchen Hotels, gehen
       essen, tragen zur lokalen Wirtschaft bei. Das zu gefährden, indem man diese
       kosteneffizienten und gewinnorientierten Strategien verfolgt, ist meiner
       Meinung nach für die gesamte Stadt und ihre Ökonomie sehr gefährlich.
       
       taz: Und was haben Sie jetzt als nächstes vor? 
       
       Mann: Ich schaue gerade noch, wie es für mich weitergeht. Für mich steht
       fest, dass ich weiterhin Veranstaltungen für die queere Community machen
       möchte. Als nächstes mache ich eine Diskussionsveranstaltung mit
       anschließender Party im SO36. Der Titel ist „Hi Bossi“. Bossy, also
       rechthaberisch und dominant zu sein, wird ja vor allem FLINTA*-Personen
       vorgeworfen, wenn sie ihre Meinung sagen und Kritik äußern. Die ganze
       Veranstaltung soll diesen Mut und dieses Selbstbewusstsein feiern.
       
       taz: Das klingt, als ob Sie eher die Community selbst erreichen wollen, als
       in die breitere Gesellschaft zu wirken. 
       
       Mann: Bei der Podiumsdiskussion von „Hi Bossi“ geht es darum, wie die
       Filmbranche inklusiver für FLINTA*-Personen werden kann. Dort gibt es immer
       noch ähnliche Herausforderungen wie in anderen gesellschaftlichen
       Bereichen, was die Rollen von Frauen, Queers und trans* Personen angeht.
       Wir wollen diskutieren, mit welchen Strategien sich das ändern lässt. Daher
       hoffen wir, dass auch die Filmbranche kommt und aktiv mitdiskutiert. Die
       Party im Anschluss ist speziell für Queers, Feminists und Friends. Aber es
       sind alle willkommen, die süß sind. Ich habe bewusst ein FLINTA*-Line-up
       für das Panel und die Party gewählt, um zu zeigen, wie viele großartige
       Künstler*innen und Aktivist*innen es gibt.
       
       taz: Wie viele von denen sind denn nicht weiß? 
       
       Mann: Das Panel ist zwar nur weiß besetzt, aber im Line-up der Party gibt
       es viele FLINTA*-BIPOC-Künstler*innen.
       
       taz: Ist das SO36 Ihre neue künstlerische Heimat? 
       
       Mann: Ich fühle mich sehr wohl hier. Letztes Wochenende war ich hier bei
       der Gayhane, einer türkisch-queeren Party, die es seit 27 Jahren gibt. Es
       war ein unglaublich schöner Abend, die Leute sind herzlich und offen, es
       läuft arabische und türkische Popmusik und einmal am Abend Hava Nagila. Das
       klingt extrem kitschig, aber der Saal war einfach voll von Liebe und
       Freude. Es gibt nicht diese Einzelkämpfer-Mentalität, wie es oft in
       Techno-Clubs der Fall ist. Es war einfach ein Ort der Verbindung und des
       Feierns. Und dann trat die alte Tunten-Moderatorin auf die Bühne, die schon
       in den Neunzigern mit dabei war und rief: Nationalismus raus aus den
       Köpfen! Das ist heute wieder dringender denn je!
       
       10 Feb 2025
       
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