# taz.de -- UN-Konferenz zur Biodiversität in Cali: Zu viel Gipfeltheater in Berlin
       
       > Cali war der passende Ort, über die Rettung der Natur zu verhandeln – und
       > doch zu weit weg. Die Ampel müsste begreifen, was das mit uns zu tun hat.
       
 (IMG) Bild: In Cali ging um die Voraussetzungen unseres Wohlstands, unseres Lebens
       
       Am meisten irritiert an der verstörenden Ungleichzeitigkeit zwischen Cali
       und Berlin, dass sie in der öffentlichen Debatte gar nicht weiter auffällt.
       Dabei haben in der kolumbianischen Metropole in den vergangenen zwei Wochen
       mehr Menschen um den globalen Naturschutz gerungen als je zuvor. Mit 23.000
       Teilnehmer:innen war die UN-Konferenz der Mitgliedstaaten zum Schutz
       der [1][Biodiversität in Cali] die größte, die je stattgefunden hat. Das
       war angemessen, denn die Krise der Natur ist bedrückend.
       
       Im Risikobericht des Weltwirtschaftsforums, bekannt für seine jährlichen
       Treffen in Davos, besetzen Extremwettereignisse, kritische Veränderungen
       der Erdsysteme sowie der Verlust der biologischen Vielfalt und der
       Zusammenbruch von Ökosystemen die ersten drei Plätze auf einer Liste von
       Risiken, denen die Weltgemeinschaft vordringlich begegnen müsse.
       
       ## Voraussetzung unseres Wohlstands
       
       Die Wirtschaftsberater von PwC raten dem Finanzsektor, die Natur und die
       von ihr bereit gestellten Ökosystemdienstleistungen wie [2][sauberes
       Wasser], stabiles Klima und fruchtbare Böden als kritische Infrastruktur zu
       betrachten, und fordern eine entsprechende Regulierung. Nicht zuletzt warnt
       die Weltbank, dass der Verlust von natürlicher Bestäubung sowie eine nicht
       mehr sichere Versorgung mit Nahrung aus der Meeresfischerei sowie mit Holz
       aus heimischen Wäldern bis 2030 zu einem Rückgang des globalen
       Bruttoinlandsprodukts um 2,5 Billionen Euro jährlich führen könnte. In
       Cali ging es also nicht nur darum, unsere Lebensgrundlagen überhaupt zu
       sichern, sondern auch die Voraussetzungen unseres Wohlstands.
       
       Die öffentliche Debatte der vergangenen Woche jedoch dominierte das
       Gipfeltheater in Berlin. Dort luden und laden demnächst schon wieder
       Kanzler und Finanzminister zu Industriegipfeln. Bieder bieten sie
       Wirtschaftslobbyisten eine Bühne, um die sinkende internationale
       Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie mit zu hohen Energie-,
       Bürokratie- und Personalkosten zu begründen. Man täte den Veranstaltungen
       kein Unrecht, wenn man sie weitgehend ignorierte. Selbst der geladene
       Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach nach [3][Scholz’ Gipfel] von
       einem „politischen Schaulauf“. Trotzdem reagiert die Öffentlichkeit auf die
       Gipfel reflexhaft aufgeregt. Wie lange mag die Ampel noch durchhalten, wenn
       sich ihre Alphamännchen derart bloßstellen? Regiert noch jemand? Was macht
       Lindner?
       
       ## Frage, was du gegen den Ressourcenverbrauch tun kannst
       
       Gähnen wir einmal herzhaft und nutzen die so entstehende Pause für ein
       Gedankenspiel. Wie wäre es denn, wenn, sagen wir, Olaf Scholz und der grüne
       Wirtschaftsminister Robert Habeck zu einem Industriegipfel einlüden mit
       folgender Fragestellung an die Teilnehmer:innen: An welchen Konzepten
       arbeiten Sie, damit die Produkte Ihres Unternehmens/Ihrer Branche besser
       repariert und in Kaskaden genutzt werden können? Werden Sie dafür
       kurzfristig neue Dienstleistungen anbieten? Welche Schritte setzen Sie
       nächstes Jahr um, um die gesetzlichen Emissionsziele für Treibhausgase
       einzuhalten? Welche regulatorischen Maßnahmen brauchen Sie dafür, kurz- und
       mittelfristig? Kann Ihr Unternehmen zur Wärmewende Ihres Standortes
       beitragen? Welche Steuern und Abgaben müssen wir senken, welche anheben,
       damit Sie Beschäftigung halten und den absoluten Ressourcenverbrauch senken
       können? Verfügen Personen, die Antworten auf diese Fragen haben, in Ihrem
       Unternehmen/Ihrer Branche über genügend Einfluss?
       
       In der aktuellen Stimmungslage, in der die Grünen aus den Landesregierungen
       fliegen und eine SPD im Panikmodus jeden Kompass in Richtung Zukunft
       verloren hat, mag das aus der Zeit gefallen scheinen. Doch das trügt. Die
       vordringliche Aufgabe jeder zeitgemäßen Wirtschaftspolitik ist, Unternehmen
       einen Rahmen und Märkte zu schaffen, damit sie in den planetaren Grenzen
       wirtschaften können.
       
       An Wetterextreme vermögen wir uns anzupassen – an die Folgen der
       unscheinbarer ablaufenden Biodiversitätsverluste nicht. Vergiftetes Wasser
       und unfruchtbare Böden bedrohen uns existenziell. Darum greift es zu kurz,
       der Deutschland AG weniger Exportorientierung zu verschreiben und
       stattdessen Binnenwachstum. Das sind Rezepte von gestern. Wir brauchen
       etwas Neues. Neue Definitionen von Status, damit es niemand nötig hat, für
       dicke SUV zu schuften oder sich im Urlaub zehn Stunden in ein Flugzeug zu
       quetschen, um zu entspannen. Neue Konzepte für Städtebau, Ernährung,
       Mobilität, die weniger Raum greifen und mehr Platz lassen für Natur.
       
       Es war passend, dass die UN-Staaten in Cali verhandelt haben, an einem Ort
       mit einer der weltweit größten Artenvielfalt. Um dem [4][reichen Norden]
       begreiflich zu machen, was seine politische Agenda sein müsste, war Cali
       aber wohl doch zu weit weg.
       
       1 Nov 2024
       
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