# taz.de -- Nach Attentat in Solingen: Konsequenzen für das Asylrecht?
       
       > Nach der Tat von Solingen fordert die Opposition ein schärferes
       > Asylrecht. Laut Regierungssprecher stehe das Grundrecht auf Asyl nicht
       > zur Debatte.
       
 (IMG) Bild: Um Haltung bemüht: Kanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Hendrik Wüst (3. v. l.) am Montag in Solingen
       
       Drei Tage nach dem wohl [1][islamistischen Anschlag in Solingen] mit drei
       Toten kämpfen noch immer mehrere Menschen um ihr Leben. In der Politik ist
       derweil die Debatte um die nötigen Konsequenzen entbrannt. Ausgetragen wird
       diese vor allem auf einer Bühne: dem Asylrecht.
       
       Zwar kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch am Tatort
       zuvorderst eine schnelle Verschärfung des Waffenrechts an.
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte bereits Anfang August
       angekündigt, [2][das Mitführen von Messern mit einer Klinge länger als
       sechs Zentimeter sowie Springmessern im öffentlichen Raum verbieten zu
       wollen]. Scholz betonte aber auch: Es müsse geprüft werden, ob „neue
       Regelungen“ im Abschiebungsrecht nötig seien.
       
       Dass dem so ist, davon ist vor allem die Union überzeugt. Ein mögliches
       Treffen zwischen Scholz und Merz in dieser Woche wollte Regierungssprecher
       Steffen Hebestreit am Montag zwar weder bestätigen noch dementieren.
       CDU-Chef Friedrich Merz forderte in seinem sonntäglichen Newsletter aber
       schon mal einen ganzen Katalog an weitreichenden
       Asylrechtseinschränkungen.
       
       Am Freitagabend hatte der 26-jährige Syrer Issa al H. auf dem Fest zur
       650-Jahr-Feier der Stadt Solingen mit einem Messer gezielt auf
       Besucher*innen eingestochen. Drei Menschen starben, acht sind zum Teil
       schwerst verletzt worden. Al H. kam Ende 2022 nach Deutschland und hätte im
       vergangenen Juni eigentlich nach Bulgarien überstellt werden sollen, das
       für seinen Asylantrag zuständig war. Am Tag der Abschiebung trafen die
       Beamten ihn jedoch nicht an. Er sei jedoch, anders als zunächst
       kommuniziert, nicht abgetaucht, sagte am Sonntagabend NRW-Innenminister
       Herbert Reul (CDU). In dem Fall hätte sich die Frist für eine Überstellung
       auf 18 Monate verlängern lassen. So aber war nach sechs Monaten ganz
       regulär Deutschland zuständig, und al H. bekam subsidiären Schutz.
       
       Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan müssten möglich sein, forderte
       Merz nun – nicht zum ersten Mal. In diesem Punkt stimmt er zumindest mit
       Teilen der Bundesregierung überein: Scholz hatte im Mai nach dem
       [3][Messerattentat in Mannheim] schnelle Rückführungen von Straftätern und
       Gefährdern nach Syrien und Afghanistan angekündigt. Vom
       Bundesinnenministerium (BMI) hieß es am Montag, dazu gebe es vertrauliche
       Gespräche mit mehreren Ländern. Faeser sei überzeugt, dass es Mittel und
       Wege gebe. Zum genauen Stand der Gespräche gab das BMI keine Auskunft.
       
       Auch SPD-Chefin Saskia Esken hatte diese Forderung am Sonntagabend
       bekräftigt, die FDP ist sowieso dafür. Am Montag sagte auch Grünen-Chef
       Omid Nouripour, wer schwere Straftaten begehe, müsse seinen Schutzstatus
       verlieren: „Mörder und Terroristen sind in diesem Land nicht willkommen“.
       Das grün geführte Auswärtige Amt hingegen schätzt [4][die Lage in Syrien
       weiterhin als gefährlich ein]. Nach Auskunft der UN gebe es Kämpfe in allen
       Landesteilen, es komme zu schwersten Menschenrechtsverletzungen mit Folter.
       Laut UN seien Bedingungen für eine sichere Rückkehr derzeit nicht gegeben.
       
       Weitergehenden Forderungen von Merz erteilte die Bundesregierung eine klare
       Absage. So forderte der CDU-Chef etwa, überhaupt keine Geflüchteten aus
       Syrien oder [5][Afghanistan mehr aufzunehmen]. Die deutschen Grenzen
       sollten dauerhaft kontrolliert werden, Schutzsuchende sollten dort
       „konsequent“ zurückgewiesen werden. Zudem forderte Merz für
       ausreisepflichtige Straftäter einen „zeitlich unbefristeten
       Abschiebegewahrsam“ – und die Rücknahme der von der Ampel in diesem Jahr
       beschlossenen Einbürgerungsreform, die unter anderem die doppelte
       Staatsbürgerschaft ermöglicht.
       
       Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei,
       forderte bei Table Media einen Asylkompromiss zwischen Bundesregierung und
       Union wie im Jahr 1993. Damals wurde das Grundrecht auf Asyl im deutschen
       Grundgesetz fast vollständig abgeschafft, die heute tragenden Regelungen
       basieren vor allem auf internationalem Recht. „Das brauchen wir jetzt
       nochmal. Dazu reichen wir die Hand“, sagte Frei.
       
       ## Aufnahmestopp verstößt gegen Grundgesetz
       
       Regierungssprecher Hebestreit wies am Montag in Berlin darauf hin, dass die
       Bundesregierung bereits eine massive Wende in der Asylpolitik vollzogen und
       etwa die Hürden für Abschiebungen gesenkt habe. Abschiebungen würden
       derzeit nicht an rechtlichen Fragen, sondern an der praktischen Umsetzung
       scheitern. Das individuelle Grundrecht auf Asyl stehe aber nicht zur
       Debatte: Er erkenne „keinerlei Bestrebungen der die Regierung tragenden
       Parteien“, an diesem Artikel im Grundgesetz etwas zu verändern. Dieser sei
       eine zentrale Errungenschaft. Auch einen generellen Aufnahmestopp für
       Menschen aus Bürgerkriegsländern könne die Union zwar fordern. Dies würde
       aber gegen das Grundgesetz und die EU-Menschenrechtsverordnung verstoßen.
       
       Sie finde es „bemerkenswert, dass der Vorsitzende der größten
       Oppositionspartei Forderungen erhebt, die an unterschiedlichen Stellen das
       Recht brechen“, sagte der taz Irene Mihalic, Parlamentarische
       Geschäftsführerin der Grünen. „Ich frage mich ja, ob sich der Vorsitzende
       einer sich christlich nennenden Partei einmal mit den Kirchen über einen
       generellen Aufnahmestopp von Afghanen und Syrern unterhalten hat. Wenn
       nicht, dann sollte er das einmal tun.“ Statt sich in einen „Wettbewerb der
       Billigkeit mit Populisten“ zu begeben, erwarte sie von der Union ein klares
       Signal dafür, die Sicherheitsbehörden grundlegend zu stärken. „Die Union
       erwartet alles von Polizei und Diensten, ist aber nicht bereit, sie
       entsprechend aufzustellen. Das hat mit gelebter Verantwortung wenig zu
       tun“.
       
       „Nichts von dem, was gerade diskutiert wird, schafft mehr Sicherheit oder
       hilft gegen Islamismus“, sagte der taz die Linken-Bundestagsabgeordnete
       Clara Bünger. „Wir müssen etwas tun, damit Menschen sich nicht dazu
       entscheiden, anderen Menschen das Leben zu nehmen.“ Momentan erreiche der
       IS sein Ziel in doppelter Hinsicht: „Menschen wurden getötet, und die
       Gesellschaft weiter gespalten.“ Die aktuelle Debatte schüre Vorurteile und
       Rassismus, Geflüchtete würden unter Generalverdacht gestellt – dabei seien
       viele von ihnen selbst vor islamistischer Gewalt geflohen. „Das trägt zu
       islamistischer wie auch rechter Radikalisierung sogar noch bei, statt diese
       zu verhindern“, so Bünger. „Was ich von der CDU aber nicht höre, sind
       Forderungen nach mehr Prävention und einer Stärkung der Gesellschaft.“
       
       Viele der Forderungen seien überhaupt nicht realisierbar, kritisierte auch
       Berenice Böhlo vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV).
       „Man darf niemanden dorthin zurückschicken, wo ihm Folter, unmenschliche
       Behandlung oder Menschenrechtsverletzungen drohen“, sagte Böhlo der taz.
       Ebenso sei es unmöglich, Menschen aus bestimmten Ländern pauschal das
       Asylverfahren zu verweigern. „Wenn man Merz’ Vorschläge umsetzen wollte,
       müsste Deutschland nicht nur das Grundgesetz ändern und aus der Genfer
       Flüchtlingskonvention austreten, sondern auch aus der Europäischen Union –
       denn diese Dinge sind auch in der EU-Grundrechtecharta verankert“.
       
       26 Aug 2024
       
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