# taz.de -- Fahrradboom in Berlin: Fahrradfahren bleibt erlaubt
       
       > Die Fahrradbranche verzeichnet gigantische Zuwächse. Noch sind die Lager
       > gefüllt, aber die Nachfrage ist so groß, dass Nachschub knapp werden
       > könnte.
       
 (IMG) Bild: Marie Viertmann gehört zu den wenigen Reparateurinnen der Fahrradbranche
       
       Berlin taz | Kurz vor Beginn der Dämmerung auf der Havelchaussee: Die Vögel
       haben den Abendgesang angestimmt. Hinter den Kiefern spiegelt sich die tief
       stehende Sonne im Wasser. Mitten in der Woche sind zu dieser Stunde kaum
       Autos unterwegs. Die Uferstraße gehört den Radfahrern. Allein oder in
       Kleingruppen strampeln sie zum Grunewaldturm hinauf. Mehr Männer als
       Frauen, viele auf Rennbikes, unter engen Trainingsanzügen zeichnen sich
       muskulöse Waden ab. Aber auch Menschen mit normalen Rädern und normaler
       Bekleidung zieht es nach Feierabend auf die Havelchaussee. Danach auf dem
       Pop-up-Fahrradweg durch die Kantstraße zurück in die Innenstadt fegen – was
       will man mehr? Rad fahren ist Freiheit und Lebenselixier, erst recht in
       Zeiten von Corona.
       
       Mitte, Ende März beginnt die eigentliche Fahrradsaison. Spätestens wenn die
       Temperaturen zweistellig sind, geht in den Fahrradläden der Ansturm los.
       Aber was heißt Saisonbeginn? Viele Berlinerinnen und Berliner fahren das
       ganze Jahr über Rad. Die Pandemie hat den Trend zum Fahrrad nun aber
       richtiggehend beflügelt. An den Radverkehrzählstätten der Stadt sei im
       vergangenen Sommer eine Zunahme um 26 Prozent im Vergleich zum gleichen
       Zeitraum des Vorjahres verzeichnet worden, teilte der ADFC mit. Es sei von
       einer Fortschreibung des Trends auszugehen.
       
       Geradezu astronomisch sind die Zuwachsraten, die der Zweirad-Industrie
       Verband (ZIV) unlängst veröffentlicht hat: Der Umsatz mit Fahrrädern und
       E-Bikes habe in Deutschland im vergangenen Jahr den Wert von 6,44
       Milliarden Euro erreicht. Das entspreche einem Plus von 60,9 Prozent
       gegenüber 2019.
       
       Viele Leute haben das Rad neu für sich entdeckt. Andere machen den alten
       Drahtesel aus dem Keller wieder flott. Die Werkstätten haben mehr denn je
       zu tun – dabei hat der Sommer noch nicht begonnen. Seit Jahren erfreue sich
       das Fahrrad zunehmender Beliebtheit, sagt Christoph Schulz, Sprecher der
       [1][Messe VeloBerlin]. „Aber seit Corona geht die Kurve so steil nach oben
       wie die Infektionskurve.“ Die seit vielen Jahren stattfindende Messe ist
       eine Kommerzveranstaltung für die Fahrradbranche, aber sie hat auch einen
       politischen Anspruch.
       
       ## Ein weltweites Problem
       
       Die Kehrseite der Medaille: Aufgrund der riesigen Nachfrage – auch in den
       USA – wird der Nachschub knapp. Bei Neurädern und Ersatzteilen gebe es
       immer mehr Engpässe, sagt. Hagen Stamm, Inhaber von BBF Bike. Das
       Unternehmen, Headquarter in Hoppegarten, ist der einzige Großhändler und
       Hersteller im Berliner Raum. „Das ist ein weltweites Problem“, so Stamm.
       „Wir hängen alle an der gleichen Werkbank Fernost.“
       
       Zugearbeitet und montiert werde in Europa, Rahmen und Ersatzteile kämen
       aber hauptsächlich aus China, Taiwan, Kambodscha und Japan. Die
       Rohstofflieferanten und Produzenten kämen nicht mehr hinterher. Dazu komme
       die Transportproblematik. Es gebe zu wenig Schiffscontainer für den
       gestiegenen Bedarf, sagt Stamm. Die Transportkosten hätten sich bereits
       verfünffacht.
       
       Als sich der Boom im letzten Jahr abzeichnete, hat BBF Bike wie andere
       Händler mehr Nachschub als üblich für 2021 geordert. „Aber auch die
       Vororder kommt später an“, sagt Stamm. Bei der Shimano-Gangschaltung aus
       Japan oder Federgabeln aus China gebe es mittlerweile Wartezeiten von bis
       zu 700 Tagen.
       
       Ernst Steinhauer, Inhaber das [2][Ladens „Rad der Stadt“] in der Prenzlauer
       Allee, warnt indes davor, sich von der Panik anstecken zu lassen. Viele
       Händler hätten Vorsorge getroffen, die Lager seien nicht leer. „Und selbst
       wenn: Man findet immer eine Lösung.“
       
       ## Alles geht weg wie warme Semmeln
       
       Es ging los nach dem ersten Lockdown. Laufräder für Kinder, Hollandräder
       für die Fahrt zum Supermarkt, Rennräder, Trecking- und Moutainbikes,
       Lastenräder – alles geht seither weg wie warme Semmeln. „Lastenräder wollen
       in Berlin gerade alle haben“, hat Marie Viertmann festgestellt. Die
       38-Jährige arbeitet bei [3][Moniseur Vélo] in der Friedrichstraße als
       Zweiradmechatronikerin.
       
       Regelrecht explodiert ist aber die Nachfrage nach E-Bikes. 2020 wurden laut
       ZIV 43,4 Prozent mehr Elektroräder verkauft als 2019. Für zusätzlichen
       Schwung habe das Leasing von Dienstfahrrädern gesorgt. „Das E-Bike gilt
       längst nicht mehr als Rentnergeschoss“, sagt Christoph Schulz von
       VeloBerlin. Alle Altersgruppen und Geschlechter wollten heutzutage
       Elektrorad fahren. Auch die Businessfrau, die mehr als zehn Kilometer Weg
       ins Büro habe und dort nicht verschwitzt ankommen wolle.
       
       Insgesamt, so der Sprecher der Velomesse, habe die Verknappung natürlich zu
       einem Preisanstieg geführt. Der Trend gehe aber ohnehin dahin, dass sich
       die Leute deutlich bessere Räder leisteten. Wer früher 500 Euro für ein Rad
       gezahlt habe, lege inzwischen 1.000 Euro und mehr hin. „Das Fahrrad geht
       total ab.“
       
       Wegen der anhaltenden Pandemie findet die Messe in diesem Jahr nicht im
       Mai, sondern erst am 2. und 3. Oktober statt. Auf dem Flughafen Tempelhof
       werden Händler dann Neuheiten vorstellen, man kann probefahren, es gibt
       Radshows und politische Veranstaltungen; der ADFC gehört zu den Partnern.
       
       ## Negativrekord der letzten Jahre
       
       Im jüngsten Fahrradklimatest des ADFC bekam Berlin für die Pop-up-Radwege
       den Sonderpreis der Kategorie Corona zugesprochen. Ansonsten belegte die
       Hauptstadt bei der Umfrage unter den 14 beteiligten Großstädten aber nur
       Platz 9. 19 Radtote hatte Berlin letztes Jahr zu beklagen, der ADFC spricht
       vom Negativrekord der letzten Jahre.
       
       Berlin sei mit den Pop-up-Fahrradwegen vorangegangen, sagt Schulz. „Aber
       das reicht nicht. Es muss sich was ändern, was die Infrastruktur und die
       Sicherheit betrifft.“
       
       Als Trostpflaster, weil die Messe verschoben wurde, stellt VeloBerlin ab
       13. April jeden Monat einen Themenschwerpunkt rund ums Rad ins Netz.
       
       ## Ein Besuch in der Werkstatt
       
       Ein schleifendes Geräusch am Hinterrad hat die Kundin in den Fahrradladen
       geführt. Bis dahin hatte das alte Trekkingbike, grün-metallic, immer gute
       Dienste getan. Marie Viertmann bockt das Gefährt auf, die Räder schwingen
       nun frei. Schneller und schneller werdend, kurbelt die schlanke Frau an den
       Pedalen, ihre dunklen Locken wippen dabei. Dann hält Viertmann inne und
       lauscht, bis die Räder ausgelaufen sind. Mit den Fingern zupft sie an den
       Speichen wie an den Saiten einer Harfe. Ihre Diagnose: Zwei Speichen sind
       gebrochen. Das Rad bleibt zur Reparatur da, die Frühjahrsinspektion wird
       gleich mit erledigt.
       
       Seit einem guten Jahr repariert Marie Viertmann bei Monsieur Vélo
       Fahrräder. Der Laden in der Friedrichstraße in Kreuzberg ist noch neu, aber
       er floriert, wie die gesamte Branche. Corona macht möglich, was die
       Klimakrise nur bedingt vermocht hat: Die Menschen steigen in Scharen aufs
       Rad um.
       
       Händler und Reparaturbetriebe verzeichnen riesige Zuwächse. „Nie zuvor habe
       ich so ein Jahr wie 2020 erlebt“, sagt Ernst Steinhauer. Seit 1993 ist er
       am Markt. Das Geschäft „Rad der Stadt“ hat er 2008 zusammen mit zwei
       Teilhabern eröffnet. In dem Laden in der Prenzlauer Allee klingelt in
       diesen Tagen ununterbrochen das Telefon. Die Leute wollen Termine buchen
       für eine Inspektion oder um sich eine Ausstattung zu besorgen.
       
       Nach Angaben der IHK gibt es in Berlin 750 Einzelhandelsgeschäfte, die
       Räder und Zubehör verkaufen. Stadler, Radhaus und Litte John Bikes, die
       Großen der Branche, haben zum Teil mehrere Filialen in der Stadt. Über die
       kleinen Fahrradläden mit angeschlossener Werkstatt hingegen gibt es kaum
       Angaben. Schätzungen gehen davon aus, dass es über 300 Geschäfte gibt;
       nicht mal die Fahrradinnung kennt die Zahl. In jedem Kiez gibt es
       mindestens einen Händler. Je kürzer der Weg zur Werkstatt, um so besser,
       wenn das Gefährt nicht mehr will.
       
       ## Ersatzteile werden knapp
       
       Infolge der Pandemie ist die Nachfrage inzwischen allerdings weltweit so
       stark explodiert, dass die Produktion nicht mehr hinterherkommt. Nicht nur
       Neuräder, auch Ersatzteile werden knapp. Zunehmend macht sich im Handel
       Angst breit, die Ware könnte ausgehen.
       
       Marie Viertmann hat bei einem der Großen gearbeitet, bevor sie bei Monsieur
       Vélo anfing. „Das gab es auch früher manchmal in der Saison, dass
       Ersatzteile vergriffen sind. Aber nie so lange“, erzählt die 38-jährige
       Frau. Für Reifen gelte das genauso wie für Antriebs- und Schaltungsteile.
       Früher habe die Wartezeit maximal ein paar Wochen betragen, jetzt ziehe
       sich das zum Teil über Monate hin. „Da muss man Alternativen finden, aber
       das ist zeitlich natürlich viel aufwendiger.“
       
       Viertmann gehört zu den ganz wenigen Reparateurinnen in der Branche. Im
       Verkauf gibt es viele Frauen, in den Werkstätten kann man sie jedoch an
       einer Hand abzählen.
       
       ## Unterbrechung der Lieferketten
       
       Im Rad der Stadt hat ein Handelsvertreter einen schwarzen Koffer mit
       Fahrradhelmen ausgepackt. Fachmännisch begutachtet Ernst Steinhauer die
       Ansichtsexemplare. Auch nach Helmen sei die Nachfrage „exorbitant“
       gestiegen, verrät der Vertreter. Die Styroporkugeln und Platten für die
       Helme kämen aus Österreich, Spanien und Italien. Kurzarbeit in den
       Fabriken, Unterbrechung der Lieferketten – „das läuft nicht mehr rund“. Die
       Ware werde knapp. Inzwischen beliefere er nur noch seine Spezies, verrät
       der Vertreter augenzwinkernd.
       
       Nach dem ersten Lockdown seien alle in der Branche, Händler wie Kunden,
       sehr rücksichtsvoll und besonnen miteinander umgegangen, erzählt
       Steinhauer. „Jetzt versucht jeder, seinen Arsch an die Wand zu bekommen.“
       Die hellen Augen des 53-jährigen Ladeninhabers blitzen hinter der Brille,
       die schwarz umrandet ist. Steinhauer spricht schnell, man hört, dass er in
       der DDR groß geworden ist. Er war der erste verurteilte Totalverweigerer in
       der Bundesrepublik nach der Wende – das ist ihm wichtig.
       
       In Steinhauers Geschäft hängt ein Poster des DDR-Grafikers Henning
       Wagenbreth an der Wand. Das Bild zeigt einen Mann mit einem Fahrrad und
       geballter Faust. Dazu die Inschrift: „Radfahrer haben nichts zu verlieren
       als ihre Ketten.“ Das Poster ist von 1989. „Das Fahrrad hat es uns in der
       DDR ermöglicht, unabhängig vom Staat zu sein“, erzählt Steinhauer. „So
       ähnlich geht es uns jetzt auch mit dem Lockdown.“
       
       ## Nach Fahrradunfall umgesattelt
       
       Marie Viertmann ist eigentlich Theater- und Filmwissenschaftlerin. Nach
       einem schweren Fahrradunfall, der 2011 passierte, hat sie umgesattelt. Am
       Nollendorfplatz habe sie damals links abbiegen wollen, „da hat es
       geknallt“, erzählt sie. Keinen Helm auf, schweres Schädelhirntrauma,
       Gesicht und Beine voller Glas. „Es war ein Wunder, dass ich noch lebte.“
       Beim Gerichtstermin hieß es, sie sei schuld, nicht der Autofahrer. „Ich
       weiß es nicht, ich kann mich an nichts erinnern.“
       
       Nach der Reha sei Stillstand gewesen in ihrem Leben, so Viertmann. „Ich
       wusste nicht, was ich tun sollte – außer Rad fahren. Das ist meine
       Leidenschaft geworden.“ Bis zu 170 Kilometer sei sie am Tag gefahren.
       Viertmann fährt ein Fixi, ein Single-Gear – ein Eingangrad – ohne Freilauf.
       Das heißt, sie muss immer treten, auch wenn es bergab geht. Sie fahre gern
       schnell, im Schnitt 30 Stundenkilometer. Viertmann erzählt das auf
       Nachfrage, anzugeben ist ihre Sache nicht. „Schnell sein ist blanke
       Lebensfreude.“
       
       Irgendwann, erzählt Viermann, habe sie sich gefragt: Wie repariert man
       diese Dinger eigentlich? Allenfalls einen Schlauch habe sie bis dahin
       wechseln können.
       
       Dreieinhalb Jahre hat die Ausbildung zur Zweiradmechatronikerin gedauert.
       Viertmann hat bei einem der großen Anbieter in Berlin gelernt. Das Klima
       sei für sie als Frau manchmal nicht einfach gewesen. Blöde Kommentare habe
       es gegeben. Die Fahrräder heben und schleppen, das sei eine ganz schöne
       Belastung für den Körper, „man muss Bock haben auf diese Arbeit“. Ständig
       seien die Hände voller Öl und Schmiere. Und man müsse den Ehrgeiz haben,
       sich in komplizierte technische Details einzufummeln. Viertmann repariert
       auch E-Bikes. Sie habe einen hohen Anspruch an sich, manchmal sei der auch
       zu hoch. Das Schönste, gesteht die Mechanikerin, sei, wenn der Kunde
       hinterher sage: „Mensch, mein Fahrrad fährt so geil wie nie.“
       
       ## „Brauchen dringend höhere Löhne“
       
       Ihr Chef, der Inhaber von Monsieur Vélo, ist wirklich Franzose. Im Moment
       seien sie in der Werkstatt noch zu zweit, erzählt Viertmann. Im April komme
       ein dritter Kollege dazu. Ihre Arbeitszeiten und der Lohn seien deutlich
       besser als dort, wo sie zuvor gearbeitet habe. Ihr Traum sei, selbst mal
       einen kleinen Laden aufzumachen. Aber das müsse man erst mal finanzieren
       können. Zweiradmechaniker würden ganz schön ausgebeutet, vor allem in
       Berlin, sagt Viertmann. Aber es gebe hier auch viele Kunden, die es sich
       nicht leisten könnten, mal eben so 300 Euro in eine Reparatur zu stecken.
       
       „Wir brauchen dringend höhere Löhne im Zweiradbereich“, bestätigt
       Steinhauer. Es sei kein Wunder, dass es zu wenige Azubis gibt. „Eine
       Familie ernährst du damit nicht“. Rad der Stadt hat fünf Angestellte. Er
       bezahle seine Leute besser, als es in Berlin branchenüblich sei, sagt
       Steinhauer. Viele Läden seien zu klein aufgestellt, krepelten am
       Existenzminimum herum. Die Gewinnspannen seien viel zu klein. Selbst bei
       einem größeren Laden wie seinem verhalte es sich so: „Reich wirst du mit
       dem Business nicht. Du bist froh, wenn du es schaffst, genug für die Rente
       zurückzulegen.“
       
       Was Steinhauer auch ärgert, ist die unrealistische Erwartungshaltung der
       Kunden. Vor allem Leute, die Geld genug haben, forderten oft Rabatt. Nicht
       nur beim Kauf von Rädern, auch bei den Reparaturen werde gefeilscht. Es ist
       weniger der Geiz, der Steinhauer aufbringt. Der Mangel an Wertschätzung des
       Fahrrads als hochwertiges Mobilitätsmittel geht ihm gegen den Strich. „In
       einen Radladen ist das Geld doch viel besser investiert als in eine
       Tankstelle.“ Das Thema bringt Steinhauer richtig in Rage.
       
       Der Aufschwung, den das Fahrradgewerbe erfährt, hat somit auch ein bisschen
       was von Gerechtigkeit. Es ist der späte Lohn für ein Gewerbe, das
       ökonomisch nie auf Rosen gebettet war, ökologisch aber immer das Richtige
       getan hat.
       
       ## Die Panik greift um sich
       
       Allerdings gibt es einen Wermutstropfen: die Lieferengpässe. Die
       Frachtcontainer in Asien sind knapp, Geduld ist gefragt. Auch auf der
       unlängst im Suezkanal gestrandeten (und wieder flottgemachten) „Ever Given“
       haben sich für den Berliner Fahrradhandel bestimmte Container befunden.
       
       Er sei auch schon infiziert von dieser Panik, dass die Ersatzteile ausgehen
       könnten, gesteht Steinhauer. Seit Ende November sei es spürbar: Viele
       Geschäfte würden mehr bestellen als sonst. Ritzel, Schaltungen, Kassetten –
       paketeweise verschwinde das Material vom Markt. Unter den Händlern würde er
       sich mehr Solidarität wünschen, sagt Ernst Steinhauer.
       
       Die Panik, erzählt der Vertreter für Fahrradhelme, treibe die seltsamsten
       Blüten. Manche Händler würden ihre Ersatzteile inzwischen sogar schon bei
       Onlineshops zu Endverkaufspreisen bestellen, um ihre Lager aufzufüllen.
       Normalerweise kaufen in den Portalen nur Bastler für den Eigenbedarf. Marie
       Viertmann nennt das „hamstern“. „Das ist wie mit dem Klopapier.“
       
       „Die Kunden kommen schon mit Panik in den Laden“, hat Steinhauer bemerkt.
       Er versuche, die Ruhe zu bewahren und die Leute auf den Boden
       zurückzuholen. Sein Lieblingsspruch: „Es ist nur ein Fahrrad. Wir operieren
       hier nicht am offenen Herzen.“ Das Gute in dem Business sei: „Man findet
       immer eine Lösung.“ Fast jeder habe noch ein altes Rad im Keller oder eben
       jemand aus dem Freundeskreis. „Notfalls verschiebt man die ganz große
       Reparatur eben auf nächstes Jahr.“
       
       An dem alten Mountainbike war am Ende übrigens doch mehr kaputt als nur
       zwei Speichen. Die Hinterachse war gebrochen. Marie Viertmann hat ein neues
       Hinterrad bestellt. Drei Tage später war es da und montiert. Warum die
       ganze Panik also? Der Kommentar der Kundin nach der Probefahrt war
       übrigens: „Läuft so geil wie nie!“
       
       3 Apr 2021
       
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