# taz.de -- Neues Versammlungsgesetz in Berlin: Nur ein mittelgroßer Wurf
       
       > Rot-Rot-Grün hat ein neues Versammlungsgesetz vorgestellt. Es sieht
       > Deeskalation und Lockerungen vor. Für Kritiker ist es dennoch nur
       > halbherzig.
       
 (IMG) Bild: Darf bald auch in der Mall of Berlin stattfinden: Demo gegen schlechte Arbeitsbedinungen
       
       Berlin taz | Ein bisschen Liberalisierung, aber auch dezidierte
       Einschränkungen insbesondere für Demos mit volksverhetzendem Charakter
       sieht das [1][neue Versammlungsgesetz für Berlin] vor. Das geht aus dem
       Entwurf hervor, den die rot-rot-grüne Koalitionär:innen am Mittwoch im
       Abgeordnetenhaus vorgestellt haben und das den Namen
       Versammlungsfreiheitsgesetz trägt. Nach Fachgesprächen und
       Änderungsanträgen könnte das Gesetz noch leicht verändert werden und dürfte
       nach Beschluss im Parlament im Herbst in Kraft treten.
       
       Der Entwurf schreibt unter anderem Lockerungen beim Vermummungsverbot vor
       und lässt auch Versammlungen auf öffentlich zugänglichem Privatgelände zu.
       Zudem sollen Gegendemos in Hör- und Sichtweite grundsätzlich ermöglicht
       werden. Das Gesetz bleibt aber hinter den im [2][Koalitionsvertrag von 2016
       geweckten Erwartungen] zurück. Dies kritisiert etwa der Republikanische
       Anwälteverein. Dort hatte man sich mehr Erleichterungen für Proteste und
       Entkriminalisierung gewünscht.
       
       Demgegenüber war Innensenator Andreas Geisel (SPD), flankiert von Innen-
       und Rechtspolitikern von Rot-Rot-Grün, allerdings sichtlich zufrieden mit
       dem Entwurf. Zugrundeliegendes Prinzip sei „im Zweifel für die Freiheit“,
       sagte er. Mit Blick auf den Rechtsruck betonte er, dass es beim neuen
       Entwurf neben einer Reform für mehr Demonstrationsfreiheit auch darum
       gegangen sei, Anfeindungen von menschenfeindlichen Positionen unter dem
       Deckmantel der Meinungsfreiheit standzuhalten.
       
       „Unsere freie Gesellschaft kann einiges aushalten, muss aber nicht alles
       hinnehmen“, sage Geisel. Und so sehen einige Restriktionen vor, dass es
       Rechte künftig schwerer haben werden, an bestimmten historischen belasteten
       Daten wie der Reichspogromnacht am 9. November und insbesondere an 23 Orten
       in Berlin zu demonstrieren: so etwa am Holocaust-Mahnmal, an jüdischen
       Friedhöfen und zahlreichen Gedenkstätten (Seite 17 des Entwurfs).
       
       ## „Guter Kompromiss“
       
       Beim Vermummungsverbot gibt es zwar keine Entkriminalisierung, aber
       immerhin eine Lockerung. So soll die Polizei das Verbot künftig erst
       durchsetzen, wenn es im Vorfeld oder während der Demo auch eine
       polizeiliche Anordnung gab, dass Vermummung zu unterlassen sei. Die solle
       demnach ergehen, wenn es aus einer Demo heraus zu Straftaten käme oder mit
       diesen zu rechnen sei. Ausdrücklich nicht verboten ist es hingegen laut
       Entwurf, zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Sonnenbrillen und Schals
       mitzuführen. [3][Sebastian Schlüsselburg von der Linken] sagte: „Wir würden
       gerne gänzlich auf das Verbot verzichten, aber das ist immerhin ein guter
       Kompromiss.“
       
       Interessant ist auch eine Lockerung für Versammlungen auf Privatgelände.
       Diese sind nach dem Fraport-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2011
       nun auch in Berlin ausdrücklich zulässig. Damals klagten Aktivist:innen
       erfolgreich dafür, dass sie auf dem Frankfurter Flughafen gegen
       Abschiebungen demonstrieren dürfen.
       
       Es ist also künftig vorstellbar, dass man direkt in der Mall of Berlin
       gegen die schlechten Arbeitsbedingungen beim Bau des Konsumtempels
       demonstrieren darf – obwohl es Privatgelände ist. Der Ort des Protestes
       muss für die Öffentlichkeit zugänglich sein und inhaltlich mit dem Grund
       für den Protest verknüpft sein.
       
       „Wir haben in Berlin 5.000 Demonstrationen pro Jahr – nur eine große
       Handvoll davon sind gewalttätig“, sagte Benedikt Lux, innenpolitischer
       Sprecher der Grünen. Deswegen gehe man im neuen Gesetz von grundsätzlich
       friedlichen Versammlungen aus und setze in der Bundeshauptstadt weiter auf
       Deeskalation: „Seit 2007 hatten wir in Berlin keinen Wasserwerfer-Einsatz –
       anders als in Hamburg, wo es gefühlt alle zwei Wochen einen gibt.“ Auch
       stellte Lux in Aussicht, dass künftig Demorouten veröffentlicht würden.
       
       ## Eingriffsrechte der Polizei problematisch
       
       Das Versprechen von R2G, antifaschistischen Protest zu erleichtern, löst
       der Entwurf allerdings nur teilweise ein: Eine versprochene
       Entkriminalisierung blieb aus. Anwalt Lukas Theune, Mitglied im
       Republikanischen Anwälteverein, sagt: „Natürlich ist es ein Fortschritt,
       wenn nicht jede Vermummung strafbar ist. Aber das bleibt hinter der
       Ankündigung zurück. Man hätte etwa sagen können, dass es nur eine
       Ordnungswidrigkeit ist, und von einer Strafverfolgung absehen können.
       Absurd ist das natürlich insbesondere in der Coronasituation.“
       
       Insgesamt gebe es gute liberale Ansätze, sagt Theune, „aber der große Wurf
       ist es nicht geworden. Das ist schon enttäuschend.“ Der Entwurf sei sehr
       vorsichtig, teilweise verwirrend und unübersichtlich formuliert. „Man
       merkt, das viel um den Text gefeilscht wurde. „Die SPD hat wohl gesagt, wir
       kommen euch beim Versammlungsgesetz entgegen, wenn wir dafür das
       Polizeigesetz verschärfen dürfen.“ Das befindet sich derzeit ebenso wie das
       Abstimmungsgesetz noch in der Verhandlung von R2G.
       
       Besonders kritikwürdig empfindet Theune Eingriffsrechte der Polizei: „Das
       ist alles wirklich schade: Die Anmeldung läuft immer noch über die Polizei.
       Die Polizei aber schützt und unterstützt Versammlungen meist nicht, sondern
       begreift diese grundsätzlich als Gefahr.“ Der RAV hätte sich eine
       eigenständige Versammlungsbehörde gewünscht. Dass die Versammlungsbehörde
       laut Entwurf zumindest nicht mehr beim Staatsschutz angesiedelt ist,
       sondern bei der Polizeipräsidentin, lässt er nicht gelten: „Das ist nur
       einen halbgarer Kompromiss: Es bleibt bei der Polizei.“
       
       Wenigstens ein bisschen Lob hat aber auch Theune übrig: „Gut ist, dass das
       neue Gesetz nicht mehr vorsieht, Kundgebungen wegen der öffentlichen
       Ordnung zu beschränken.“ Wenn man wie bisher diese Formulierung zugrunde
       legt, sei es einfach, Demos einzuschränken. „Jetzt gilt nur noch die
       öffentliche Sicherheit als Bezugspunkt – darunter fallen so grundlegende
       Dinge wie die körperliche Gesundheit. Eine Demo, die nervt, darf nicht mehr
       eingeschränkt werden.“
       
       Für Theune und Aktivist:innen dürften allerdings die Magenschmerzen
       überwiegen. „Das Bundesverfassungsgericht besteht immer darauf, dass
       Versammlungen polizeifest sein müssen“, sagte Theune. Das sei mit dem
       Gesetz von R2G aber nicht gegeben: „Die Polizei kann Teilnehmer einer
       Versammlung ausschließen – das ist aber nicht Sache der Polizei, sondern
       des Versammlungsleiters.“ Ebenso sei kritikwürdig, dass die Auflösung oder
       das Verbot einer Versammlung möglich sei, wenn diese „geeignet ist,
       gewaltbereit und dadurch einschüchternd zu wirken“, wie es im Entwurf
       heißt.
       
       Die Gewerkschaft der Polizei fasste die Novelle so zusammen: „Der Entwurf
       ist eine gute Arbeitsgrundlage, die bereits viele Sachen klärt, bei einigen
       herrscht aber noch Gesprächsbedarf.“
       
       3 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-2764.pdf
 (DIR) [2] /Protest-gegen-Nazis-in-Berlin/!5610680
 (DIR) [3] /Neues-Versammlungsgesetz/!5427985
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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