# taz.de -- Interview niedersächsisches Polizeigesetz: „Bürgerrechte verramscht “
       
       > Der Grüne Belit Onay kritisiert den Entwurf für das neue niedersächsische
       > Polizeigesetz und schließt eine Klage vor dem Staatsgerichtshof nicht
       > aus.
       
 (IMG) Bild: Sollen an Kriminalitätsschwerpunkten um sich filmen: Kameras im öffentlichen Raum
       
       taz: Herr Onay, ist es verfassungskonform, [1][wenn die Polizei Menschen
       wegsperrt], die weder eine Straftat begangen noch geplant haben? 
       
       Belit Onay: Für 74 Tage, wie es die große Koalition in Niedersachsen mit
       dem neuen Polizeigesetz gerade plant, bin ich mir sicher, dass es absolut
       nicht mit der Verfassung vereinbar ist.
       
       Warum nicht? 
       
       Weil es mit keinem inhaltlichen Gedanken begründet ist. Der Entwurf steht
       sinnbildlich dafür, wie die große Koalition die Bürgerrechte verramscht.
       Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat selbst dargestellt, dass die CDU
       mit der Forderung nach 18 Monaten Präventivhaft in die Verhandlungen
       gegangen ist und die SPD 14 Tage wollte. Herausgekommen sind 74 Tage. Das
       ist wie auf dem Basar. Wir sehen bundesweit, dass in den Koalitionen, an
       denen die CDU beteiligt ist, ein Überbietungswettbewerb stattfindet, wer
       die härtesten Sicherheitsmaßnahmen in die Gesetze hämmert.
       
       Warum ist es nicht legitim, einen mutmaßlichen Gefährder vorsorglich
       einzusperren, wenn dadurch ein terroristischer Anschlag verhindert werden
       kann? 
       
       Das Problem ist, dass der Begriff „Gefährder“ erst einmal sehr schlüssig
       klingt. Darunter können sich viele etwas vorstellen. Die Frage ist aber,
       wann fällt jemand in diese Kategorie? Wie unterschiedlich das in den
       Ländern gehandhabt wird, haben wir an Anis Amri gesehen.
       
       Dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt. 
       
       Die Informationen wurden unterschiedlich bewertet und zwischen den Behörden
       nicht weitergegeben. 74 Tage Präventivhaft helfen da auch nicht weiter.
       
       Reicht eine IS-Fahne über dem Bett, um in Präventivhaft zu kommen? 
       
       Grundlage für die Länder ist eine Definition des Begriffs „Gefährder“ vom
       BKA. Und die ist sehr abstrakt gefasst. Wir sprechen hier ja von einem
       Personenkreis, der noch nichts gemacht hat. Strafrechtlich ist das ein sehr
       schwieriger Bereich.
       
       Die Grünen haben während der Regierungszeit in Niedersachsen selbst zehn
       Tage Präventivhaft mitgetragen. Finden Sie das Mittel legitim? 
       
       Präventivhaft kann helfen, allerdings nur, wenn ein klarer Bezug zu einer
       terroristischen Straftat da ist, die auch gesetzlich definiert sein muss.
       Ein Jugendlicher, der nur mal nach dem IS googelt, darf nicht in
       Präventivhaft kommen. Es muss an die Schwelle zur Vorbereitung einer
       Straftat heranrücken. Ich habe Sorge, dass dieser Grundsatz im neuen Gesetz
       aufgeweicht wird.
       
       Aber warum sind 74 Tage willkürlicher als zehn? 
       
       Zehn Tage sind ein angemessener Zeitraum, um weitere Beweismittel zu
       finden. Wenn zehn Tage dafür nicht genug sind, muss man auch schauen, ob
       die Maßnahme nicht übertrieben und das ganze ein Fehlalarm ist.
       
       Was passiert, wenn ein Unschuldiger in Präventivhaft kommt. Kann der sich
       wehren? 
       
       Das ist die Frage. Zur Zeit kündigt die große Koalition an, dass zwei Mal
       30 Tage, einmal 14 Tage Haft von einem Richter angeordnet werden können.
       Ich habe meine Bedenken, ob diese gerichtliche Überprüfung wirklich ein
       Schutz für Bürgerrechte oder nur eine Alibimaßnahme ist.
       
       Aber es ist doch positiv, dass ein Richter entscheidet und nicht nur die
       Polizei. 
       
       30 Tage, bis wieder ein Richter entscheidet, sind aber viel zu lang.
       Außerdem werden die Richter Schwierigkeiten haben, die Fälle zu bewerten.
       Es braucht eine klare Beweismittelsammlung – und genau das ist in diesen
       Fällen schwierig.
       
       Die Polizei soll zukünftig auch Telefone und Wohnungen von mutmaßlichen
       Gefährdern überwachen können, Fußfesseln verteilen und Kontaktverbote
       aussprechen. Wie beurteilen Sie das? 
       
       Dieses Gesamtpaket mit der Präventivhaft, den Fußfesseln bis hin zur
       flächendeckenden Videoüberwachung ist meiner Meinung nach Teil dieses
       Überbietungswettbewerbs, bei dem Horst Seehofer (CSU) auf Bundesebene den
       Ton angibt. Das ist wirklich bitter.
       
       Noch einmal konkret: Kann nicht ein Kontaktverbot bei jemandem, der
       radikalisiert ist und oft in eine salafistische Moschee geht, der Polizei
       helfen, um ihn von dort fern zu halten? 
       
       Kontaktverbote kann man unter Umständen noch mitgehen. Aber beim Beispiel
       Fußfessel gibt es einen prominenten Fall, bei dem jemand mit der Fessel von
       Hamburg nach Griechenland ausgereist ist. Das macht deutlich, dass gerade
       die Gefahrenabwehr mit solchen Maßnahmen schwierig ist. Das hat nur noch
       Symbolcharakter.
       
       Weil es einen Beamten geben muss, der die Bewegungsdaten im Blick hat? 
       
       Ja, und das ist nicht leistbar. Ähnlich ist es beim Kontaktverbot. Wie soll
       die Polizei das nachvollziehen?
       
       Wie sollen die Beamten dann vorgehen, wenn sie wissen, dass von einem
       Menschen Gefahr ausgeht? 
       
       Wir haben unter Rot-Grün die Augen davor nicht verschlossen und geschaut,
       wie wir früh präventiv gegen die Radikalisierung in dieser Szene wirken
       können. Wenn jemand schon radikalisiert ist, muss es verschiedene Maßnahmen
       geben. Aber – und das zeigen uns die bisherigen Fälle – es hapert häufig
       daran, dass die Informationen, die man schon hat, ausgewertet und
       weitergegeben werden. Wenn nur Gesetze verschärft und da nichts gemacht
       wird, bleibt das auf dem Papier. Das wird nicht mehr Sicherheit bringen.
       
       Erwägen die Grünen eine Normenkontrollklage gegen das Gesetz? (siehe
       Kasten)
       
       Wir warten erst einmal den Entwurf ab. Nach den bisherigen Ankündigungen
       von SPD und CDU ist das aber absolut nicht ausgeschlossen. Wir halten uns
       sämtliche rechtlichen Wege offen.
       
       Halten Sie noch mehr als die 74 Tage Haft für verfassungswidrig? 
       
       Die sind unser Hauptkritikpunkt. Aber auch die flächendeckende
       Videoüberwachung unabhängig von der Gefahrenlage halten wir für sehr
       problematisch.
       
       4 May 2018
       
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