# taz.de -- Verbrechen der deutschen Kolonialzeit: Protest gegen die Mohrenstraße
       
       > An vielen Orten Berlins finden sich Spuren der deutsch-afrikanischen
       > Kolonialzeit. Aktivisten wollen das den Anwohnern bewusst machen.
       
 (IMG) Bild: 2014 gibt die Charité Gebeine namibischen Ursprungs aus der Zeit um 1910 an eine namibische Staatsdelegation zurück. Aktivisten fordern zudem eine Entschuldigung
       
       Berlin taz | Es war ein Abend, an dem der Vollmond groß am Himmel stand; er
       selbst war ungefähr sechs Jahre alt, erzählt Mnyaka Sururu Mboro. Zeit für
       eine Gutenachtgeschichte – nur dass seine Großmutter ihn diesmal
       aufforderte, den Mond anzusehen. „Was siehst du?“, fragte sie. „Er sieht
       aus ist wie immer“, antwortete er. Sie war nicht zufrieden, er solle noch
       mal genau hinsehen. „Ich hatte schon keine Lust mehr und habe ihr gesagt,
       ich würde ohne Geschichte schlafen gehen“, erinnert sich Mboro.
       
       Sie habe darauf bestanden und ihm den Schatten im Mond gezeigt, „wie von
       einem Menschen“, und gesagt, der Mensch hieße Peters, er sei Gouverneur in
       Tansania gewesen und sehr brutal. „An diesem Abend hat sie mir vom
       deutschen Kolonialismus erzählt, davon, wie viele Menschen Carl Peters hat
       hängen lassen, sogar seine Angestellte und Geliebte Nangoye, sie hätten ihn
       Hänge-Peters genannt und mkono wa damu, blutige Hand.“ Dann habe Gott ihn
       gefangen und zur Strafe in den Mond gehängt.
       
       „Zu Ende war die Geschichte damit noch nicht, denn es gab noch einen
       anderen hier am Kilimandscharo, der genauso brutal gewesen ist, genannt
       maafa, schreckliche Katastrophe. Das war Hermann von Wissmann“, sagt Mboro.
       Die Gräueltaten der beiden dürfe man nicht vergessen, meinte seine
       Großmutter. „Ich habe es daher gar nicht glauben können, als ich erfahren
       habe, dass es in Berlin Straßen zu Ehren dieser beiden brutalen Verbrecher
       gibt.“
       
       Mboro, der Ende der siebziger Jahre aus Tansania nach Deutschland kam, um
       sein Studium fortzusetzen, ist im Vorstand von Berlin Postkolonial. Bei
       Stadtrundgängen zur Kolonialgeschichte berichtet er auch von Wissmann, der
       als Reichskommissar und Gouverneur in der Gegend von Tansania sein Unwesen
       trieb, in der er aufgewachsen ist. In Berlin sind zwei Straßen nach
       Wissmann benannt, eine am Neuköllner Hermannplatz, die andere in Grunewald.
       
       ## Befehlshaber von Söldnertruppen
       
       Seit Langem setzt Mboro sich mit dem Tansania Network für die Umbenennung
       dieser Straßen ein. Die in der Neuköllner Wissmannstraße ansässige
       Werkstatt der Kulturen engagiert sich ebenfalls dafür. Denn Wissmann schlug
       den Widerstand gegen die kolonialen Bestrebungen im damaligen
       Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Ruanda und Burundi) brutal nieder.
       
       Wissmann war Befehlshaber sogenannter Schutztruppen – ein beschönigender
       Begriff für Söldnertruppen, die die Handelsinteressen von Unternehmen in
       den deutschen Kolonien durchsetzen sollten. Außerdem gilt er als
       Wegbereiter des Maji-Maji-Kriegs, des größten Kriegs unter deutscher
       Kolonialherrschaft, bei dem auf afrikanischer Seite zwischen 200.000 und
       300.000 Menschen umkamen.
       
       Wissmann lebte noch, als die Straßen in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts
       seinen Namen bekamen. Im Mai dieses Jahres haben die Bezirksverordneten von
       Neukölln nun beschlossen, eine „geschichtliche Aufarbeitung des
       Straßennamens“ im Dialog mit den Anwohner*innen zu initiieren, um sich
       kritisch mit der Namensgebung auseinanderzusetzen. Ob die Straße im Zuge
       dieses Prozesses auch einen neuen Namen erhalten wird, ist offen.
       
       ## DDR war schneller
       
       Insgesamt zehn Straßen im Stadtgebiet sollten nach Forderungen von Berlin
       Postkolonial umbenannt werden, weil sie Kolonialverbrecher ehren – drei
       davon im „Afrikanischen Viertel“ in Wedding, weitere in
       Steglitz-Zehlendorf, Neukölln und Mitte (siehe unten).
       
       Dass diese Straßen allesamt im Westteil der Stadt liegen, ist indes kein
       Zufall. Denn die DDR-Regierung ordnete bereits 1950 an, Straßen mit
       militaristischen oder faschistischen Namen umzubenennen. Erfurt und Leipzig
       änderten die Namen der dortigen Wissmannstraßen noch im selben Jahr, in
       Wissmanns Geburtsstadt Frankfurt (Oder) gibt es die Straße bereits seit
       1953 nicht mehr.
       
       Auch der Ostteil hatte einst ein „Afrikanisches Viertel“: In Karlshorst
       wurden Straßen zwischen der Köpenicker Allee und dem heutigen Römerweg um
       1905 nach Orten, Personen und Ereignissen in Südwestafrika benannt. Quer
       durch das Viertel führte etwa die Frankestraße, benannt nach Victor Franke,
       der als Kommandeur und Truppenbefehlshaber im heutigen Namibia maßgeblich
       am Völkermord an den Herero und Nama beteiligt war. In Namibia war er als
       gewalttätig und grausam gefürchtet, die Nazis verehrten ihn. Heute wäre er
       als Namensgeber für eine Straße genauso strittig wie Peters oder Wissmann.
       
       1976 wurden aber alle diese Straßen in Karlshorst gemeinsam umbenannt und
       die afrikanischen Bezüge getilgt. Aus der Frankestraße wurde die
       Rudolf-Grosse-Straße, die an einen antifaschistischen Widerstandskämpfer
       erinnert. „Anfang der neunziger Jahre gab es Bestrebungen, den Straßen dort
       die ‚afrikanischen‘ Namen zurückzugeben. Dass das doch nicht umgesetzt
       wurde, ist auch einzelnen Aktivisten zu verdanken, die sich entschieden
       dagegengestellt haben“, erklärt der Historiker Ulrich van der Heyden.
       
       In Karlshorst verweist heute nichts mehr auf die deutsche
       Kolonialgeschichte. Das wollen die Initiativen, die sich aktuell für
       Straßenumbennungen einsetzen, in Zukunft vermeiden. „Uns wird oft
       vorgeworfen, dass wir die Geschichte auslöschen wollen. Aber ganz im
       Gegenteil: Wir sind gegen Umbenennungen, bei denen die Bezüge zur
       Kolonialzeit verschwinden“, sagt Mboro.
       
       Die Namensvorschläge von Berlin Postkolonial sollen auf den
       Widerstandskampf gegen die Kolonialmächte aufmerksam machen und an Menschen
       erinnern, die sich gegen rassistische und koloniale Strukturen behauptet
       haben. Eine Maji-Maji-Allee könnte an den Widerstand gegen die Deutschen
       erinnern, auch Nangoye, die von Peters erhängt wurde, wäre eine geeignete
       Namensgeberin. „Ich finde es erschreckend, dass es immer noch so viele
       Denkmäler und Straßen gibt, die Kolonialverbrecher ehren, aber unser
       Freiheitskampf nirgendwo erwähnt wird“, sagt er.
       
       Auf die koloniale Geschichte Berlins verweisen aber nicht nur Straßennamen.
       Auch in wissenschaftlichen Institutionen wirkt sie noch nach. So befinden
       sich in anthropologischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz,
       der Charité oder des Ethnographischen Museums noch heute weit über 1.000
       Schädel und Knochen aus den ehemaligen deutschen Kolonien, vielfach von
       Widerstandskämpfer*innen, die für rassistische Forschungen nach Berlin
       gebracht worden waren. Ihre Herkunft ist weitgehend unerforscht.
       
       Mboro erzählt bei seinen Rundgängen auch, warum sich seine Großmutter
       gefreut hat, als er nach Deutschland ging: „Sie hat mich beauftragt, den
       Schädel von Mangi Meli nach Hause zu bringen, der gegen die Deutschen
       gekämpft hat. Aber bis heute wissen wir nicht, in welcher Sammlung er
       liegt.“
       
       Der deutsche Kolonialismus war nicht nur von Politik und Wissenschaft
       gewollt. Er war getragen von zivilgesellschaftlichen Vereinen und
       Gesellschaften, wie zum Beispiel dem Frauenbund der Deutschen
       Kolonialgesellschaft in Schöneberg. Kolonialismus zog sich durch
       Alltagswelt und Freizeitvergnügen: In Huxleys Neuer Welt, im
       Kolonialpanorama in Mitte und im Treptower Park fanden Völkerschauen statt.
       Kolonialwarenläden waren im gesamten Stadtgebiet präsent.
       
       In den Sarotti-Höfen am Mehringdamm produzierte die Firma ab 1883
       Schokolade, im Innenhof wirbt sie noch heute mit einer riesengroß an die
       Wand gemalten Sarotti-Figur. Diese heißt zwar aus werbestrategischen
       Gründen seit 2004 „Magier der Sinne“, unterscheidet sich aber kaum vom
       „Sarotti-Mohr“, der das Klischee des dienenden Schwarzen fütterte.
       
       Diese eher versteckten Spuren lassen sich oft nur mit dem entsprechenden
       Wissen finden. Bei den Straßennamen, die im Stadtbild für alle präsent
       sind, könnte in vielen Fällen eine erläuternde Zusatztafel am Straßenschild
       erklären, wie es zu der Benennung kam – und so ein Bewusstsein für die
       Berliner Kolonialgeschichte schaffen.
       
       Solche Zusatztafeln kommen allerdings nur unregelmäßig im Straßenbild vor.
       Sie weisen mal auf einen Baustadtrat, mal auf einen Dichter und
       Freiheitskämpfer hin. Bei Straßen, deren Benennungsgeschichte komplizierter
       ist, gibt es diese Schilder selten.
       
       Kein Wunder: In ein bis zwei Zeilen lassen sich Beruf und Lebensdaten einer
       Person aufschreiben. Für die Erklärung, warum Deutschland in China eine
       Kolonie hatte oder dass die Straße an einen aus heutiger Sicht fragwürdigen
       Militär erinnert, bräuchte es mehr Platz.
       
       Im Afrikanischen Viertel gibt es seit 2012 eine Informationstafel, die die
       Geschichte der Straßennamen erklärt. Dass sie dort steht, ist den
       Umbenennungsinitiativen zu verdanken. Sie fordern für die im kolonialen
       Kontext benannten Straßen außerdem Texte direkt am Straßenschild, die –
       insbesondere bei den geografischen Bezeichnungen – darauf hinweisen, wie
       und warum es zu dem Namen kam.
       
       ## Orte von Schlachten
       
       Denn auch geografische Namen haben oft einen kolonialen oder militärischen
       Hintergrund. Die Kiautschoustraße und die Samoastraße verweisen auf
       ehemalige deutsche Kolonien in China und im Südpazifik. Der Name des
       Pekinger Platesz spielt auf die militärische Besatzung Pekings unter
       anderem von deutschen Truppen an, die in China um 1900 Widerstand gegen die
       Kolonialmächte niederschlugen.
       
       Und die Katzbachstraße in Kreuzberg – um nur eines von vielen Beispielen
       herauszugreifen – heißt zwar nach einem Nebenfluss der Oder. Sie trägt
       diesen Namen aber nur, weil es dort 1813 eine Schlacht gab, in der die
       Preußen die Franzosen besiegten. Hier erklärende Informationen anzubringen,
       wäre Sache der Bezirke.
       
       In deren Verantwortung läge es auch, auf militaristische Straßennamen
       hinzuweisen, wie zum Beispiel in Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort wurden
       nur wenige Tage nach dem Tod Kaiser Wilhelms I. ihm zu Ehren Straßen
       umbenannt. Rund um die Badensche Straße sollten sie an Orte erinnern, in
       denen der Kaiser 1849 den Widerstand der 1848er Revolutionäre
       niedergeschlagen hatte: neben Baden auch Bruchsal, Waghäusel und Durlach.
       Darauf verwies eine Tafel im Volkspark Wilmersdorf.
       
       „Seine Schlachten gegen die Revolutionäre werden heute anders bewertet.
       Jetzt stehen diese Straßennamen für die Niederlage der Demokraten“, hieß es
       dort. Der Text ist inzwischen einem Werbeplakat gewichen, lässt sich aber
       immerhin auf der Webseite des Bezirks nachlesen.
       
       Nicht nur Orte von Schlachten, auch Militärs waren vielfach Namensgeber für
       Straßennamen, zum Beispiel im Fliegerviertel in Tempelhof. Mit einer großen
       Inszenierung zum „Tag der Luftwaffe“ im April 1936 hatten die Nazis 16
       Straßen rund um die Paradestraße umbenannt, um an Jagdflieger aus dem
       Ersten Weltkrieg zu erinnern. Als 1946 alle in der Nazizeit benannten
       Straßen neue Namen bekommen sollten, war geplant, die Straßen dort nach
       pazifistische Schriftstellerinnen und Schriftstellern zu benennen: die
       Manfred-von-Richthofen-Straße beispielsweise nach Erich Mühsam, den
       Werner-Voß-Damm nach Bertha von Suttner.
       
       Aus dem „Fliegerviertel“ hätte eine „Pazifistenecke“ werden können, sagt
       Jürgen Karwelat von der Berliner Geschichtswerkstatt. Doch dazu kam es
       nicht. Spätere Initiativen verliefen ergebnislos, zuletzt fand ein Antrag
       des Kinder- und Jugendparlaments von 2015 in der BVV keine Mehrheit. „Dass
       die Straßen im ganzen Viertel umbenannt werden, wird wohl nicht mehr
       passieren“, meint Karwelat. „Aber den Werner-Voß-Damm, den könnte man sich
       noch mal vornehmen.“
       
       Voß, gestorben 1917, hatte sein Flugzeug mit einem Hakenkreuz verziert, auf
       ihn waren die Nazis besonders stolz. „Das ist niemand, an den wir heute
       noch mit einem Straßennamen erinnern sollten “, sagt Karwelat. „Mit einer
       neuen Generation von AnwohnerInnen bildet sich vielleicht eine neue
       Initiative dafür.“
       
       Doch Umbenennungsinitiativen bekommen oft mehr Gegenwind als Unterstützung.
       Bei ihren Rundgängen durch das Afrikanische Viertel würden die Mitglieder
       von Berlin Postkolonial inzwischen regelmäßig beschimpft, erzählt Mboro.
       Insbesondere nachdem es im Frühjahr eine teils heftig geführte Debatte über
       die neuen Namensvorschläge für Petersallee, Nachtigalplatz und
       Lüderitzstraße gab. Einige Medien hatten die Arbeit der Jury scharf
       angegriffen und verunglimpft.
       
       Auf der anderen Seite kommen oft mehr Teilnehmer*innen zu den Rundgängen
       als erwartet, junge Leute sind dabei, für die die Auseinandersetzung mit
       kolonialer Geschichte zum Selbstverständnis gehört.
       
       Viele ihrer Gegner wüssten einfach zu wenig über Deutschlands koloniale
       Vergangenheit, meint Mboro. „Wir haben mal zusammen mit einem Seniorentreff
       aus dem Stadtteil eine Infoveranstaltung und einen Stadtrundgang gemacht“,
       erzählt Mboro. „Viele haben mir danach gesagt, dass dieser Teil der
       deutschen Geschichte neu für sie war, sie hatten mehr Verständnis für unser
       Anliegen und waren sogar für neue Straßennamen.“
       
       Am May-Ayim-Ufer habe das gut geklappt: Es hieß bis 2010 nach Otto
       Friedrich von der Groeben, der am Sklavenhandel Brandenburg-Preußens
       mitwirkte, und trägt nun den Namen der Dichterin und afrodeutschen
       Aktivistin.
       
       Er sehe dort oft Passant*innen, die stehenblieben, um die Tafel zu lesen,
       sagt Mboro. Und er findet: „Es ist unsere gemeinsame Geschichte, und über
       die sollten wir doch reden können.“
       
       22 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Schleiermacher
       
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