# taz.de -- Muslimischer Theologe an Hamburger Uni: Mehr als nur ein „Israelkritiker“
       
       > In Deutschland nennen manche den Theologen Farid Esack aus Südafrika
       > einen „Antisemiten“. Er tritt für einen liberalen Islam und
       > Menschenrechte ein.
       
 (IMG) Bild: Hat sich seinen Humor bewahrt: Farid Esack
       
       Farid Esack hat so manchen Kampf ausgefochten und sich trotzdem seinen
       Humor bewahrt. Dass er jetzt im Zentrum [1][einer erbitterten Kontroverse]
       steht, nachdem er an der Uni Hamburg diesen Winter eine Gastprofessur
       innehatte, bringt ihn kaum aus der Ruhe. Die Kritik entzündet sich daran,
       dass Esacks Haltung zu Israel umstritten ist. Denn Esack sitzt in Südafrika
       der Boykott-Bewegung gegen Israel vor, „BDS“ genannt (für Boykott,
       Desinvestionen, Sanktionen).
       
       In den USA und Südamerika, in Großbritannien oder Skandinavien hat diese
       Bewegung Einfluss und prominente Fürsprecherinnen wie Naomi Klein, Judith
       Butler oder Laurie Penny. BDS-Anhänger finden sich dort in der Linken oder
       auf dem Campus von Hochschulen. In Südafrika ist BDS sogar mehrheitsfähig,
       wird offiziell von der Regierung unterstützt. Denn Veteranen aus der
       Apartheid-Ära wie Farid Esack ziehen Parallelen zwischen der Situation der
       Palästinenser und ihrem eigenen Befreiungskampf.
       
       In Deutschland dagegen ist die Bewegung nicht nur wenig bekannt – sie ist
       äußerst unpopulär. Die Hamburger CDU will sie sogar als „antisemitisch“
       einstufen. In der kommenden Woche bringt sie dazu einen Antrag in die
       Bürgerschaft ein, um zu erreichen, dass die anderen Parteien diese Sicht
       teilen. Die „Christlichen Israelfreunde Norddeutschland“ haben eine
       Petition an den Hamburger Senat gerichtet, um künftige Auftritte Esacks in
       Hamburg zu verhindern. Die israelische Botschaft forderte die Universität
       Hamburg dazu auf, Esack nie wieder einzuladen.
       
       Esack kann sich nicht mehr an dieser Debatte beteiligen, er ist nach
       Südafrika zurückgekehrt. Ihn verwundert aber, dass keiner der Journalisten,
       die zuerst über die Vorwürfe gegen ihn berichtet haben, ihn selbst
       kontaktiert habe. „Das ist unter Journalisten doch üblich – selbst wenn das
       nur ein Vorwand ist, um Objektivität vorzutäuschen“, sagt er. „Diese
       Einseitigkeit ist etwas, das man in einem Land wie Saudi-Arabien erwarten
       würde, wo man von Orthodoxien umzingelt ist – aber doch nicht in
       Deutschland!“
       
       ## Universalistische Kritik
       
       Esack ist sich der historischen Sensibilitäten hierzulande durchaus
       bewusst. Dass er jedoch unterschlagen soll, dass er die Situation in Israel
       mit der in Südafrika zur Zeit der Rassentrennung für vergleichbar hält, das
       sieht er nicht ein. In den besetzten Gebieten sei die Lage sogar noch
       schlimmer, findet er. Auch andere prominente Südafrikaner wie Nelson
       Mandela und Bischof Desmond Tutu haben die Lage in Israel ähnlich scharf
       angeprangert.
       
       Wie diese, ist auch der 58-jährige Farid Esack in der Zeit der
       Rassentrennung aufgewachsen. Seine Familie ist seit Generationen in
       Südafrika zu Hause, seine Mutter ist ursprünglich malaiischer und sein
       Vater indischer Herkunft. Als Esack noch ein Kind war, wurde seine Familie
       deshalb in eine der neu gegründeten Townships umgesiedelt. „Dort gab es
       zwei Möglichkeiten, zu überleben: entweder, sich einer Gang anzuschließen
       oder religiös zu werden. Ich entschied mich für Letzteres.“ Zugleich begann
       er, sich politisch zu engagieren, wurde deshalb mit 15 zum ersten Mal von
       der Polizei fest genommen. „Der Mann, der mich damals von der Schule
       abholte, war einer der übelsten Folterer. Mein Fall machte damals
       Schlagzeilen“, erzählt er und fügt ironisch hinzu: „Wir Veteranen tragen
       unsere Medaillen mit Stolz.“
       
       Esack schrieb mehrere Bücher zum Verhältnis von Islam und Politik, seine
       Autobiografie „On Being a Muslim“ oder Einführungen in den Koran wie „The
       Qur’an: A User’s Guide“. Esack verbindet islamischen Glauben mit einer
       Kritik von Kolonialismus, Imperialismus und westlicher Hegemonie, mit einem
       Plädoyer für soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung.
       
       Muslime hätten schon im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika eine
       wichtige Rolle gespielt, erzäht Esack, und ihr Einfluss ginge auch heute
       noch weit über ihre eigentliche Zahl hinaus. „Nach den ersten freien Wahlen
       waren 13 Prozent der Abgeordneten und viele Minister Muslime, auch im
       gegenwärtigen Kabinett finden sich mehrere“, zählt er auf.
       
       In Pakistan wandte Esack sich gegen die Diskriminierung von Christen durch
       Muslime. Als Gleichstellungsbeauftragter setzte er sich unter Mandela für
       Frauen- und Homosexuellenrechte ein, gründete die Gruppe „Positive Muslime“
       im Kampf gegen Aids. Er lehne jede Form der Diskriminierung ab – auch die
       aufgrund der sexuellen Orientierung, sagt er, auch wenn das für manche
       muslimische Ohren provokant klingt.
       
       Esack ist aber ebenso ein Kritiker des Westens: von Unterdrückung im Namen
       der Terrorbekämpfung, von Waffenexporten an Regimes wie Saudi-Arabien oder
       Ägypten. „Wir tun so, als würden wir die Werte von Aufklärung und
       Demokratie vertreten. Aber unsere ökonomischen Interessen wiegen oft
       schwerer.“
       
       Das Argument der „historischen Verantwortung“ Deutschlands gegenüber
       Israel, das häufig in Debatten zum Nahen Osten fällt, hält Esack für ein
       moralisches Mäntelchen, um politische und ökonomische Interessen zu
       kaschieren. Den Vorwurf, der Israel-Boykott erinnere an die Nazi-Parole
       „kauft nicht beim Juden“, bezeichnet er als Propaganda. „Manche Deutsche
       glauben offenbar, sie seien die Achse, um die sich die ganze Welt dreht“,
       sagt er.
       
       ## Ein vegetarischer Staat
       
       Mit Antisemitismus habe die BDS-Kampagne „absolut gar nichts“ zu tun. Das
       sehe man daran, dass im Beirat der BDS-Bewegung auch Juden säßen und sich
       auch in Israel Juden gegen die Besatzung engagierten. „Ich wünschte, die
       deutschen Zeitungen hätten den Mut, den israelische Zeitungen wie Ha’aretz
       haben, wenn es um die Kritik der israelischen Politik geht.“
       
       Kritiker werfen Esack außerdem vor, er habe auf einer Veranstaltung in
       Hamburg Sympathien für die Idee eines „islamischen Staats“ bekundet. Das
       weist Esack zurück. „Das Gegenteil ist der Fall!“, wehrt er sich. „Ich
       persönlich lehne Staaten auf religiöser oder ethnischer Grundlage ab, und
       ich kann mir auch nicht vorstellen, in einem solchen Staat zu leben.“ Er
       habe dort lediglich gesagt, dass man Ideen nicht mit Gewalt oder Verboten
       bekämpfen könne, sondern nur mit besseren Ideen.
       
       „Als Beispiel habe ich angeführt, dass Vegetarier das Recht haben sollten,
       für einen vegetarischen Staat einzutreten, wenn sie der Meinung seien, dass
       Fleischkonsum schlecht für die Umwelt sei und wir die Tiere schützen
       müssten“, sagt Esack. „Im gleichen Sinne sollten Muslime das Recht haben,
       für einen muslimischen Staat zu plädieren, wenn sie davon überzeugt sind.“
       In Südafrika würde auch über die Ideen von Kommunisten offen und kontrovers
       gestritten.
       
       Esack versteht sich als muslimischer Befreiungstheologe und sieht sich
       damit auf einer Wellenlänge mit christliche Kollegen wie Leonardo Boff oder
       Gustavo Gutiérrez oder jüdischen Theologen wie Daniel Boyarin und Marc
       Ellis. Dass Muslime in Südafrika nicht die Mehrheit stellen, aber auch
       keine diskriminierte Minderheit sind, hält er für eine ideale
       Voraussetzung, um eine liberale Auslegung des Islam zu entwickeln.
       
       „Weil ich in einer Gesellschaft lebe, in der ich nicht um meine eigene
       Identität kämpfen muss, kann ich besser für die Rechte von anderen Menschen
       kämpfen – für Geschlechtergerechtigkeit oder für Menschen mit HIV“, sagt
       er. „Aus diesem Grund kommen einige der kreativsten Arbeiten zu Islam,
       Demokratie, Zivilgesellschaft und Gender aus Südafrika.“
       
       Farid Esack steht für eine linke Solidaritätsbewegung des globalen Südens
       und ein demokratisches und pluralistisches Verständnis des Islam und gegen
       Extremismus, Fundamentalismus und Gewalt. Vor diesem Hintergrund muss man
       sein Engagement für die BDS-Bewegung sehen. Man muss seine Haltung zu
       Israel nicht teilen. Ihn jedoch nur darauf zu reduzieren und ihn deshalb
       gar zu einem „Antisemiten“ zu stempeln wird diesem Intellektuellen und
       Aktivisten nicht gerecht.
       
       Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung des Artikels hieß
       es, der Grünen-Politiker Volker Beck habe Esack vorgeworfen, er würde für
       einen „Islamischen Staat“ plädieren. Diesen Vorwurf hat Volker Beck so
       nicht geäußert. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
       
       9 Feb 2017
       
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