# taz.de -- Unmenschliche Zustände in Unterkünften: Das Versagen der Behörden
       
       > Am Hamburger Stadtrand weigern sich Flüchtlinge, einen Baumarkt zu
       > beziehen. „Die Zustände sind unmenschlich“, sagt eine syrische Frau.
       
 (IMG) Bild: Eine schmutzige Baumarkt-Halle? Eher bleiben sie auf der Straße. Flüchtlinge protestieren in Hamburg-Bergedorf
       
       Hamburg taz | Die 60-jährige Khadiga hat seit zwei Tagen nichts gegessen.
       Seit vier Tagen und drei Nächten ist sie auf der Straße. Sie gehört zu
       einer Gruppen von Flüchtlingen in Hamburg-Bergedorf, die sich weigern, die
       ihnen zugewiesene Unterkunft zu betreten.
       
       „Wir sind schockiert über die Zustände drinnen“, sagt Khadiga. Zusammen mit
       75 anderen, hauptsächlich syrischen Flüchtlingen, sitzt sie am Zaun vor
       einem leerstehenden Baumarkt. AnwohnerInnen haben ihnen Matratzen gebracht.
       Mit Decken schützen sie sich gegen die herbstliche Kälte. Am Freitag
       Nachmittag waren die Flüchtlinge von der zentral gelegenen Erstaufnahme in
       der Messe nach Bergedorf, an den Stadtrand, gebracht worden. 1.400
       Flüchtlinge hatten zuvor in einer einzigen Halle geschlafen.
       
       „Sie haben uns versprochen, dass es besser wird“, sagt ein syrisches
       Mädchen. Die 18-jährige Suzan war zwei Monate in der Messehalle. „Wir haben
       so lange auf diesen Moment gewartet“, seufzt sie. Erst am Freitag Morgen
       seien sie über den Umzug informiert worden. „Sie haben gesagt, wir kriegen
       Wohnungen oder Container.“ Vorgefunden hätten sie stattdessen eine leere,
       schmutzige Halle, ohne Betten, ohne Regale, ohne Trennwände. Ein beißender
       Chemikaliengeruch habe in der Luft gelegen. „Ich dachte, der Gestank könnte
       uns alle umbringen“, sagt Suzan.
       
       Aus Angst vor Infektionen und um ihren Protest zu zeigen, sei eine Gruppe
       Flüchtlinge draußen geblieben. Ihr Gepäck wurde mit LKWs gebracht und auf
       dem Parkplatz abgeladen – in Mülltüten, alles durcheinander. Als sie gegen
       Abend hungrig zur Essensausgabe vor dem Baumarkt gegangen seien, habe man
       ihnen nichts gegeben.
       
       „Die Wächter wollten unsere Registrierungspapiere sehen“, erzählt Suzan.
       Dokumente, die sie nur in der Halle hätten erhalten können. „Sie wollten
       uns rein locken.“ Lieber verzichteten die Flüchtlinge auf Nahrung. „Wir
       sind im Hungerstreik“, sagt Khadiga. „Die Halle ist kein Ort für Menschen.
       Höchstens für Tiere.“
       
       Inzwischen hat Fördern und Wohnen, das Unternehmen, das fast alle Hamburger
       Unterkünfte betreibt, eingeräumt, dass Fehler passiert sind. „Wir bedauern
       das sehr“, sagt Susanne Schwendtke, Sprecherin des Unternehmens. „Aber in
       Zeiten wie diesen passiert so was mal.“ Es sei immer sehr viel auf einmal
       zu tun.
       
       Dass das Unternehmen komplett überfordert ist, haben ehrenamtliche
       HelferInnen schon lange festgestellt. Am Sonntag hatte es ein stadtweites
       Vernetzungstreffen der verschiedenen selbstorganisierten
       Flüchtlings-UnterstützerInnen-Initiativen gegeben. „Das Versagen der
       Behörden ist beschämend“, sagte Franz Forsmann vom Hamburger
       Flüchtlingsrat.
       
       Die AktivistInnen kritisierten unter anderem die Massenunterbringung der
       Flüchtlinge in den Randbezirken. „Hamburg ist eine Stadt der Lager
       geworden“, sagte der Recht-auf-Stadt-Aktivist Niels Boeing. „Es ist an uns,
       zu entscheiden, ob wir das akzeptieren, oder lieber eine Stadt der
       Ankommenden schaffen.“
       
       Von Überforderung will Susanne Schwendtke nicht direkt sprechen. „Aber es
       wird immer schwieriger, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, gibt sie zu.
       
       Die Protestierenden vor dem Zaun wollen erst wieder essen, wenn die
       Behörden ihr Versprechen einlösen und für eine würdige Unterkunft sorgen,
       sagt Khadiga. Ein paar von der Gruppe seien schon rein gegangen – es ist
       kalt draußen und sie haben Hunger. „Ich bin zu alt für so was“, sagt die
       Syrerin. „Aber ich will, dass man unsere Geschichte hört.“
       
       Dann fängt sie an zu weinen. Jemand spielt auf einem kurdischen
       Saiteninstrument, zwei Männer singen dazu. Drei andere Frauen müssen auch
       weinen. Ein Iraki übersetzt: „Ich habe mein Land verlassen, meine Stadt,
       meine Familie, und es geht mir nicht gut hier.“
       
       Eine Nachbarin hat ihre Garage geräumt, damit die Kinder und zwei
       schwangere Frauen nachts dort schlafen können. Andere NachbarInnen bringen
       Wasser und Decken. „Mit den Nachbarn gibt es kein Problem“, sagt Khadiga.
       „Nur mit der Regierung.“
       
       28 Sep 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Schipkowski
       
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