# taz.de -- Konferenz der Welthandelsorganisation: Freihandel will Unterwerfung
       
       > Die Welthandelsorganisation (WTO) tagt auf Bali obwohl sie seit Jahren
       > handlungsunfähig ist. Ihre Versprechen hat sie ohnehin nie erfüllt.
       
 (IMG) Bild: Versprechen: Handelserleichterungen sollen angeblich weltweit 20 Millionen Arbeitsplätze bringen
       
       GENF taz | Internationale Organisationen führen ein hartnäckiges Leben,
       selbst wenn sie längst funktionslos geworden sind. Sei es, weil ihr
       Gründungszweck erfüllt ist, wie etwa bei der in den 60er Jahren
       geschaffenen UN-Organisation für die industrielle Entwicklung (Unido).
       
       Sei es, weil sie, wie der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete
       Weltpostverein, von technologischen Veränderungen überholt wurden. Sei es,
       weil sie seit vielen Jahren handlungsunfähig sind. Letzteres gilt für die
       1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO), deren inzwischen 159
       Mitgliedstaaten vom 3. bis 6. Dezember in Bali zu ihrer 9.
       Ministerkonferenz zusammentreffen.
       
       Eigentlich soll in Bali der lange angekündigte große Wurf gelingen: ein
       umfassendes Abkommen zur weiteren „Liberalisierung“ der Weltwirtschaft.
       Davon versprechen sich seine Befürworter in der Genfer WTO-Zentrale einen
       Zuwachs des globalen Handels um eine Billion US-Dollar und 20 Millionen
       neue Arbeitsplätze. Über dieses Abkommen wird bereits seit der 4.
       Ministerkonferenz im November 2001 in Katars Hauptstadt Doha in endlosen
       Sitzungen verhandelt. Vergeblich.
       
       Bali wurde im Vorfeld zur Konferenz der „letzten Chance“ ernannt. Doch die
       „letzte Chance“ ist bereits verspielt. Das große Abkommen zum Abschluss der
       „Doha-Runde“ wird es auch dort nicht geben. Selbst auf marginale
       Vereinbarungen, die dann in Bali als „Erfolg“ hätten verkauft werden
       können, konnte sich der Generalrat der ständigen WTO-Botschafter in Genf
       trotz monatelanger Beratungen im Vorfeld nicht verständigen.
       
       ## Bürokratie und Subventionen bleiben
       
       Weder auf Handelserleichterungen durch den Abbau von Bürokratie bei der
       Zollabfertigung noch auf eine substanzielle Senkung der vor allem in der EU
       und in den USA gezahlten Agrarexportsubventionen. Und ob es den
       Entwicklungsländern in Bali zumindest für eine Übergangszeit erlaubt wird,
       Nahrungsmittel zu staatlich festgesetzten Preisen aufzukaufen, um Reserven
       für die Versorgung der Bevölkerung anzulegen, ist wegen des Widerstands der
       USA auch unsicher.
       
       Die seit zwölf Jahren anhaltende Handlungsunfähigkeit der WTO ist
       allerdings nicht zu beklagen, sondern zu begrüßen. Denn die WTO hat ihr
       Gründungsversprechen „Alle werden profitieren!“ zu keinem Zeitpunkt wahr
       gemacht.
       
       Überall in Marrakesch hingen Plakate mit diesem Slogan, als dort im April
       1994 die WTO aus der Taufe gehoben wurde. Als Nachfolger des „Allgemeinen
       Zoll und Handelsabkommens“ (Gatt) und als ein fester institutioneller
       Rahmen für Verhandlungen über internationale Wirtschaftsbeziehungen, die
       seit 1947 in mehreren Runden stattgefunden hatten.
       
       Hauptbetreiber einer solchen Institutionalisierung war das Quartett der
       damals größten Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada. Dass sie eine
       afrikanische Stadt zum Gründungsort machten, diente allein der Imagewerbung
       für die Organisation auf dem afrikanischen Kontinent und in anderen
       Regionen des Südens. Doch gerade Afrika profitierte am wenigsten von der
       WTO und den in ihrem Rahmen vereinbarten „Liberalisierungen“ des
       Welthandels.
       
       ## Negative Folgen für die Mehrheit
       
       Afrikas Anteil am Welthandel lag 1994 bei 2,6 Prozent und hat sich seitdem
       nicht erhöht. In Asien und Lateinamerika haben zwar einige wenige, bereits
       1994 wirtschaftsstärkere und exportorientierte Länder wie Brasilien,
       Argentinien, Singapur oder Südkorea von der WTO profitiert, doch für die
       Mehrheit der Länder des Südens und ihre Bevölkerungen hat sich die
       Mitgliedschaft in der WTO und die Unterwerfung unter die dort vereinbarte
       Marktöffnung für Güter, Dienstleistungen und Kapital negativ ausgewirkt.
       Denn diese Marktöffnung erfolgte durchweg zum Vorteil des Quartetts der
       großen Wirtschaftsmächte und ihrer überlegenen Industrien oder
       Dienstleistungsunternehmen.
       
       Zugleich schottete das Quartett seine Märkte vor allem gegen Agrarprodukte
       oder Baumwolle aus Ländern des Südens weiterhin ab. Und einer der größten
       Skandale der WTO ist die von den vier Staaten mit den größten
       Pharmaindustrien – USA, Deutschland, Japan und die Schweiz – durchgesetzte
       Vereinbarung zum Patentschutz für ihre teuren Medikamente.
       
       Denn diese Regelung macht es Herstellerländern von erschwinglichen Generika
       zur Behandlung von Aids und anderen Krankheiten fast unmöglich, diese
       preiswerteren Medikamente in Länder, wo sie dringend benötigt werden, zu
       exportieren.
       
       „Wirtschaftliches Wachstum durch mehr Freihandel“. Das ist die Ideologie
       der WTO. Alles andere ist nachrangig. Völkerrechtlich verbindliche Abkommen
       über Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards gelten nur als Hindernis
       für den Freihandel. Dieser Linie folgen bisher fast alle Entscheidungen der
       zwischenstaatlichen Streitschlichtungsgremien der WTO. Das jüngste Urteil
       eines WTO-Panels, das das EU-Importverbot für Robbenprodukte gegen die
       Klage Japans und Norwegens als „moralisch gerechtfertigen Tierschutz“
       anerkennt, ist nur eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.
       
       ## Neue Machtverhältnisse
       
       Nach dem WTO-Beitritt Chinas 2001 und der Bildung der G-20-Gruppe unter
       Führung von China, Indien, Brasilien und Südafrika haben sich die
       Machtverhältnisse in der WTO grundlegend geändert. Das alte Quartett der
       Wirtschaftsmächte kann seine Interessen heute nicht mehr wie noch in den
       neunziger Jahren gegen die anderen WTO-Staaten durchsetzen. Das hat die
       Blockade verstärkt und legt offen, worum es dem Quartett wirklich ging: um
       Dominanz.
       
       Inzwischen setzen immer mehr Staaten statt auf neue globale Vereinbarungen
       in der WTO auf bilaterale oder regionale Handelsabkommen. Auch in diesen
       Abkommen finden Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards nicht mehr
       Beachtung als in WTO-Verträgen. Doch haben lokale und regionale Abkommen
       zumindest den Vorteil, dass dabei – anders als in der WTO – eher gleich
       starke Partner miteinander verhandeln.
       
       1 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Zumach
       
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