# taz.de -- Streitgespräch zum NSA-Skandal: „FBI und NSA sind kriminell“
       
       > Netzaktivist Jacob Appelbaum wird von US-Behörden schikaniert, Howard
       > Schmidt arbeitete für Barack Obama zu Cybersicherheit. Ein Gespräch über
       > Überwachung.
       
 (IMG) Bild: Überwachung ist allgegenwärtig. Und überflüssig. Oder nicht?
       
       taz: Herr Appelbaum, Sie tingeln seit Wochen durch Deutschland und
       entschuldigen sich für die USA. Wieso eigentlich? 
       
       Jacob Appelbaum: Ich lebe derzeit in Berlin, und viele Europäer fragen
       mich, wieso US-Behörden Menschen auf der ganzen Welt ausspionieren. Diese
       Menschen fragen das zu Recht. Das ist nicht das, was sie von den USA
       erwarten sollten. Ich habe das Gefühl, dass ich mich als US-Bürger dafür
       entschuldigen muss.
       
       Sie haben doch nichts verbrochen. 
       
       Appelbaum: Ich bin in Kalifornien geboren, im Silicon Valley aufgewachsen
       und habe in der Tech-Industrie gearbeitet. Und ich bin entsetzt über das,
       was in den vergangenen Monaten durch die Enthüllungen von Edward Snowden
       alles herausgekommen ist. Auch in den USA wussten die meisten Menschen
       nicht, was die NSA weltweit tut. Und sie unterstützen es auch nicht. Also
       ist es auch nicht legitim.
       
       Sie leben derzeit faktisch im politischen Asyl. 
       
       Appelbaum: Ja. Ich stehe seit einigen Jahren aufgrund meiner Verbindungen
       zu Wikileaks im Fokus von US-Behörden. Ich kann in den USA nicht arbeiten
       und reisen, ohne unter massiven Schikanen durch das FBI oder
       Grenzschutzbehörden zu leiden. Es ist leider wahr, dass ich mit einer
       begrenzten Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland derzeit freier leben kann
       als mit einem amerikanischen Pass in Washington, wo mein Haus steht.
       
       Herr Schmidt, Sie haben die US-Präsidenten Bush und Obama beraten und waren
       jahrelang Koordinator in Sachen Cybersecurity im Weißen Haus. Sind Sie
       nicht derjenige, der um Entschuldigung bitten müsste? 
       
       Howard A. Schmidt: Nein, das muss ich nicht. Ich entschuldige mich für
       Dinge, von denen ich wusste und für die ich verantwortlich bin.
       
       Was wussten Sie etwa von der Überwachung des Handys der Bundeskanzlerin? 
       
       Schmidt: Ich kenne die Vorwürfe auch nur aus den Medien.
       
       Sie waren ein Topsecretberater in Sachen Cybersecurity und hatten von
       diesen Ausmaßen keine Ahnung? 
       
       Schmidt: Das ist korrekt. Es gibt im Weißen Haus die
       Geheimdienstverantwortlichen, die Bescheid wussten. Das heißt aber nicht,
       dass ich informiert war. Ich war für die Abwehr von Cyberangriffen
       zuständig, nicht für Spionage.
       
       Sie waren jahrzehntelang beim Militär, bei der Air Force etwa sind Sie für
       Gegenaufklärung verantwortlich gewesen. Heute arbeiten Sie mit dem
       ehemaligen US-Heimatschutzminister Tom Ridge zusammen. Irgendwie schwer
       vorstellbar, dass Sie nun überrascht sind. 
       
       Schmidt: Meine Aufgabe war es, Kommunikationssicherheit zu garantieren. Ich
       hatte etwa früher mit dem berüchtigten „Clipper-Chip“ zu tun. Das war jener
       Chip, den US-Behörden in Hardware einbauen wollten, um eine
       Zugriffsmöglichkeit auf die marktgängigen Geräte zu haben. Ich habe immer
       davor gewarnt, massenhaft unsichere Kommunikationstechniken auf den Markt
       zu werfen. Aber wenn ich etwa im Weißen Haus betonte, dass wir bessere
       Verschlüsselungsmechanismen bräuchten, dann gab es natürlich meist auch
       jemanden im Raum, der darauf hinwies, dass uns das nur erschweren würde,
       die anderen Dinge zu tun, die auch nötig sind.
       
       Wären interne Veröffentlichungen wie die von Wikileaks und Edward Snowden
       in Ihren Aufgabenbereich gefallen? 
       
       Schmidt: Natürlich, eine meiner Aufgaben war es, Daten gegen Bedrohungen
       von außen und innen zu schützen.
       
       Dann ist Edward Snowden wohl eher kein Held für Sie. 
       
       Appelbaum: Edward Snowden ist ein Held.
       
       Schmidt: Aus Datenschutzsicht hätte das nie passieren dürfen. Aber Menschen
       können sich entscheiden, ob ihnen eine Sache wichtig genug ist, um dafür
       ihre Freiheit zu riskieren und ins Gefängnis zu gehen. Solche Menschen
       ändern manchmal den Lauf der Geschichte. Ob Edward Snowden ein Held oder
       Verräter ist, kann ich nicht beantworten. Ich bin kein Richter.
       
       Aber Sie haben doch sicher eine Meinung. 
       
       Schmidt: Ich bin froh, dass wir die ganze Diskussion jetzt führen. Das
       hätte schon viel früher passieren sollen. Aber ich denke nicht, dass eine
       Straftat eine andere wettmachen kann. Menschen sollten tun, was sie von
       sich als Bürger erwarten. Ich denke nicht, dass das eine politische Frage
       ist.
       
       Aber es ist eine politische Frage, wie lange man Whistleblower ins
       Gefängnis steckt und wie man mit ihnen umgeht. 
       
       Appelbaum: Ich denke, Herr Schmidt wird diese Frage nicht beantworten
       können, und das ist ein Teil des Problems der USA. Niemand aus dem
       politischen Apparat in den USA darf offen sagen, dass Edward Snowden ein
       Held ist. Auch wenn sie genau das denken.
       
       Stimmt das, Herr Schmidt? 
       
       Schmidt: Das ist sehr schwierig zu beantworten. Ich würde zum Beispiel
       nichts sagen, was etwa einem Familienangehörigen schaden würde.
       
       Was haben Sie gedacht, als Sie von der Überwachung des Merkel-Telefons
       gehört haben? 
       
       Schmidt: Ein Teil meiner Familie lebt in Bayern. Meine Verwandten haben
       mich gefragt, ob sie auch von US-Behörden ausspioniert werden. Meine
       Antwort war: Ich weiß nicht, ob die Dienste das tun oder ob sie es nicht
       tun, aber sie können es. Und wenn du über Informationen verfügst, an denen
       sie interessiert sind, dann werden sie es auch tun. Das passiert überall
       auf der Welt. Mit der heutigen Technologie haben wir nicht nur ein großes
       Geschenk in die Hand bekommen.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Schmidt: Die Möglichkeiten der Technik stellen auch eine viel größere
       Gefahr dar als früher, weil es Kriminelle gibt, die diese Technik gegen uns
       verwenden.
       
       Appelbaum: Mir macht im Moment der Geheimdienst viel mehr Angst. Es gibt
       eine Datenbank mit dem Namen Marina. Marina ist eines von vielen streng
       geheimen Programmen. Man bräuchte einen Tag, um all diese Programme
       aufzuzählen. Marina liefert Geheimdienstanalysten die Daten von
       Internetnutzern. Das funktioniert ganz einfach: Man tippt eine beliebige
       E-Mail-Adresse ein, und Marina sucht dazu alles, was sie im Netz gesammelt
       hat. Marina speichert Daten 15 Jahre lang. Das heißt, dass da sehr viel
       über Ihre Familienmitglieder, Herr Schmidt, zu erfahren ist – und zwar
       auch, was sie vor langer Zeit getan haben.
       
       Herr Schmidt, Sie lachen sich wahrscheinlich schlapp über die naiven
       Deutschen, die sich kaum um ihre Sicherheit im Internet kümmern und den USA
       so lange vertraut haben. 
       
       Schmidt: Nein, sicher nicht. Ich wurde in meiner Arbeit 40 Jahre lang immer
       wieder gewarnt, wenn ich auf Reisen ging: Ich dürfe keine Mails abrufen,
       kein Handy nutzen. Wenn ich eine Präsentation vor mir hatte, nahm ich
       Laptops mit, auf denen sich nur die Präsentation befand und sonst gar
       nichts. Es gab immer die Perspektive, dass andere Geheimdienste dabei sein
       könnten, die mich ausspionieren und wissen wollten, was ich tue. Ich sage
       Ihnen: Das ist tatsächlich nicht die Art und Weise, wie wir leben sollten.
       Schauen Sie sich die Paranoia an, mit der Jacob Appelbaum unterwegs ist –
       wir sollten nicht die Angst haben müssen, in den USA zu leben. 
       
       Appelbaum: Ich bin nicht paranoid, sondern bedacht. Schauen Sie nur, wie
       sich Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft verkriechen muss und
       wo Edward Snowden sich befindet. Aber abgesehen davon: Die NSA hat der
       Cybersecurity unbeabsichtigt einen unglaublich großen Schub gegeben.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Appelbaum: Wir wissen nun, dass die NSA Informationen aus den Datenzentren
       etwa von Google abgreift. Google will diese Daten nun besser schützen. Das
       ist sicher nichts, was die NSA jemals gewollt hätten.
       
       Sie waren als junger Aktivist an den sogenannten Kryptokriegen beteiligt.
       US-Behörden wollten sicherstellen, dass es für jede Verschlüsselungstechnik
       ein technisches Einfallstor gibt, um Kommunikation überwachen zu können.
       Sie programmierten Alternativen. 
       
       Appelbaum: Nach diesen frühen Kryptokriegen dachten wir, wir hätten den
       Kampf gewonnen. Jetzt zeigt sich, dass wir komplett verloren haben. Die
       Gegenseite hat schlicht aufgehört, nach den demokratischen Regeln zu
       spielen. Sie haben Hintertüren in die kryptografischen Standards eingebaut,
       für jedes moderne Gerät Einfallstore entwickelt, sie beherrschen die Handys
       und die SIM-Karten in den Handys. Sie sind in der Lage, die globale
       Kommunikationstechnik zu kontrollieren und zu dominieren. Das hatte einen
       Preis: Wir haben einen großen Teil unserer Demokratie dafür aufgeben
       müssen.
       
       Gerade in dieser Woche wurden wir wieder daran erinnert. Laut Washington
       Post sammelt die NSA täglich Milliarden Ortsdaten von Handynutzern. 
       
       Appelbaum: Es gibt ein systemisches Problem: Die technische Entwicklung hat
       sich verselbstständigt, und die Dienste und Agenturen, die diese
       Entwicklungen vorantreiben, sind der demokratischen Kontrolle entwichen. Es
       gibt für die politische Sphäre gar keine andere Möglichkeit, als sich hin-
       und herschubsen zu lassen. Ihnen ist die Kontrolle verloren gegangen.
       
       Herr Schmidt, hat Herr Appelbaum recht? 
       
       Schmidt: Nein. Es gibt ja immer noch große Bereiche organisierter
       Kriminalität, die schlicht und ergreifend verfolgt werden müssen. Viele
       Kriminelle haben sich in den digitalen Untergrund verabschiedet. Wir nennen
       das „Going Dark“. Die Sicherheitsdienste stellen sich natürlich die Frage,
       ob sie dabei einfach zuschauen sollen. Daher kamen doch die Ideen, die
       Unternehmen dieser Welt dazu aufzufordern, Hintertüren einzubauen.
       
       Hat Appelbaum den Krieg um die Verschlüsselung verloren? 
       
       Schmidt: Es stimmt zumindest, dass die Leute, für die Herr Appelbaum hier
       spricht, viel bluten mussten. Aber auch die anderen haben ja ihren Job zu
       tun: Niemand will einen neuen Terroranschlag. Niemand will sein Kind
       entführt wissen. Niemand will, dass seine Tochter vergewaltigt wird. Man
       kann das nur verhindern, wenn man auch die technischen Möglichkeiten dazu
       hat.
       
       Appelbaum: Haben die den Anschlag in Boston verhindert?
       
       Schmidt: Bei einer Sache gebe ich ihm recht.
       
       Und das wäre? 
       
       Schmidt: Die Frage, die viele von uns nun stellen, ist: Welche Kosten sind
       damit verbunden?
       
       Appelbaum: Ich möchte Ihnen mal eine Erfahrung aus meinem Leben erzählen.
       Meine Mutter wurde wegen eines Nachbarschaftsstreits 18 Monate ins
       Gefängnis gesteckt – ohne einen Prozess. In dieser Zeit hat man sie auch
       über meine Rolle bei Wikileaks ausgefragt. Das hatte nichts mit dem zu tun,
       wofür sie festgenommen wurde. Später wurde meine Mutter in eine
       Nervenklinik verlegt, weil man sie für psychisch krank erklärt hatte. Sie
       haben ihr Psychopharmaka verabreicht und erneut zu meiner Rolle bei
       Wikileaks befragt.
       
       Was folgern Sie daraus? 
       
       Appelbaum: Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu interpretieren: Entweder kann
       so etwas jedem passieren. Das wäre schrecklich. Oder das ist nur meiner
       Mutter passiert, weil es eigentlich um mich ging. Alle reden immer darüber,
       dass es darum gehe, Kriminelle zu überführen. Aber die Methoden von FBI und
       NSA sind selbst kriminell. Der Staat gibt vor, Terrorismus verhindern zu
       wollen, dabei ist die Spionage selbst eine Art von Terror.
       
       Schmidt: Nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde uns im Weißen
       Haus von der kompletten Führungsriege und dem Präsidenten versprochen, dass
       wir unsere Freiheiten nicht aufgeben werden. Ich habe das geglaubt, und ich
       glaube das auch heute noch. Aber ich gebe zu: Wir sind ein bisschen vom Weg
       abgekommen.
       
       Sie wollen nicht Ihre Freiheit verlieren, aber Sie haben sie doch längst
       verloren. 
       
       Schmidt: Nein, wir haben unsere Demokratie nicht verloren. Ich stimme so
       weit zu: Wir gehen in die falsche Richtung. Aber wir dürfen auch nicht so
       tun, als ob das alles völlig neu wäre. Ich war in den 60er Jahren auch mal
       so etwas wie ein Hippie. Es gab seinerzeit schon ein Geheimdienstprogramm,
       mit dem Aktivisten überwacht und politische Gruppen unterwandert worden
       sind.
       
       Appelbaum: Als das Programm, von dem Sie sprechen, bekannt wurde, gab es
       einen großen Aufschrei. Heute gibt es wieder so etwas. Ich selbst bin ein
       Ziel eines solchen Programms. Mir hat ein FBI-Mitarbeiter erzählt, wie das
       abläuft.
       
       Haben wir das richtig verstanden: ein FBI-Mitarbeiter? 
       
       Appelbaum: Ja. Ich fand es übrigens ganz beruhigend, dass es wenigstens
       auch beim FBI noch ein paar Leute gibt, die wissen, wie sie ihren eigenen
       Überwachungsapparat umgehen.
       
       Und was hat er Ihnen erzählt? 
       
       Appelbaum: Sie installieren in den Häusern der Zielpersonen etwa langlebige
       Wanzen, die bis zu zehn Jahre funktionieren. Das ist technisch übrigens
       faszinierend: Sie schaffen es, Energie aus der Umgebung zu sammeln, sodass
       man ihre Batterien nicht wechseln muss. Heute ist die Überwachung total.
       Nach dem 11. September wurden Maßnahmen, die in den 60er oder 70er Jahren
       nicht legal waren, legalisiert. Nixons Liste all der Sachen, die er sich
       wünschte, als Präsident tun zu können, wurde unter Obamas Präsidentschaft
       erstmals komplett legalisiert. Ich möchte gerne von Herrn Schmidt wissen,
       was er darüber denkt, dass die ganze Welt inklusive der USA abgehört wird
       und die Inhalte privater Kommunikation massenhaft erfasst werden. Hätte ich
       das mit meinem Computer gemacht …
       
       Schmidt: … würden Sie im Gefängnis landen.
       
       Appelbaum: Genau. Weil es kriminell ist. Aber wenn mächtige Männer das
       anweisen, dann soll das plötzlich in Ordnung sein? Da brechen etliche
       Behördenleiter systematisch die Gesetze, und das bleibt dann ohne
       Konsequenzen.
       
       Schmidt: Ich würde zustimmen, wenn es da nicht Sonderregelungen im
       US-Geheimdienstgesetz gäbe. Diese Menschen haben das Recht, das zu tun.
       
       Appelbaum: Da gibt es aber wirklich genug Gegenmeinungen.
       
       Schmidt: Ja, wenn man drei Juristen fragt, bekommt man manchmal drei
       Antworten.
       
       Was sollten die USA denn künftig lieber unterlassen? 
       
       Schmidt: Bei den Nordkoreas und Irans dieser Welt wird immer gesammelt
       werden. Aber man sollte aufhören, Regierungschefs befreundeter Nationen zu
       überwachen und Daten über Menschen zu sammeln, die eine andere politische
       Meinung vertreten. Ich gestehe ja: Ich würde mir wünschen, die USA wären
       die Einzigen, die das tun. Das sind sie aber nicht.
       
       Appelbaum: Stimmt. Wir sind nur die Nummer eins – aber in einem Bereich, in
       dem es besser wäre, nicht Nummer eins zu sein.
       
       9 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
 (DIR) Svenja Bergt
       
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