# taz.de -- Eva Menasse über Datenmissbrauch: „Ende der Meinungsfreiheit“
       
       > Bestimmte Bürgerrechte sind längst außer Kraft gesetzt, sagt die
       > Österreicherin Eva Menasse. Sie ist Mitinitiatorin des
       > Schriftsteller-Aufrufs gegen die Schnüffelei.
       
 (IMG) Bild: Die Überwachungsmaschinerie ist nicht mit den Bürgerrechten vereinbar.
       
       taz: Frau Menasse, warum verdient gerade die Überwachung Ihren Einsatz?
       Warum nicht Hungersnot oder Rassismus? 
       
       Eva Menasse: Weil wir das Gefühl haben, dass auf einer höheren Ebene unsere
       Demokratien angegriffen und unterhöhlt werden. So schrecklich Kriege und
       Gewaltverbrechen sind, damit hatte die Menschheit immer schon zu tun. Das
       hier ist etwas Neues, schon wegen der technologischen Entwicklungen. Viele
       können die Implikationen dabei noch gar nicht einschätzen.
       
       Einer Ihrer Protagonisten spricht einmal von einem „direkten Weg in den
       Totalitarismus“ – ist die Überwachung der erste Schritt auf diesem Weg? 
       
       Eine vollkommen überwachte, abgehörte, ausgespähte Gesellschaft, bei der
       jede Lebensäußerung daraufhin abgecheckt wird, was algorithmisch daraus
       folgt, ist keine freie Gesellschaft mehr. Das ist das Ende der
       demokratischen Gesellschaft. Es ist auch das Ende der Meinungsfreiheit,
       wenn die Maschinen unsere Gedanken lesen können. Bürgerrechte, wie zum
       Beispiel die Unschuldsvermutung oder das Briefgeheimnis, existieren heute
       nicht mehr. Sie sind durch den Wilden Westen des Datenmissbrauchs außer
       Kraft gesetzt.
       
       Als Autorin sind Sie sowieso eine öffentliche Person. Haben Sie überhaupt
       eine Chance, der Überwachung zu entkommen? 
       
       Im Moment hat niemand diese Chance. Das Putzige an unserer Aktion war, dass
       sie auf hunderten E-Mails beruht, die wir an Autoren weltweit geschrieben
       haben und dass jede dieser Mails natürlich mitgelesen und gespeichert
       wurde. Aber es geht darum, dass wir eine Wahl haben, zu sagen was wir
       wollen und was nicht. Es ist eine glatte Lüge der Politik zu sagen: Man
       kann hier nichts machen, das sind die technischen Entwicklungen, das ist
       alles supranational, da haben wir keinen Zugriff. Wir haben es geschafft,
       die atomare Abrüstung einzuleiten und die Treibhausgase einzuschränken. Es
       ist ein harter und steiniger Weg, aber wir können ihn schaffen.
       
       Ganz ehrlich: Ist die Aktion nicht auch gute PR für Sie und Ihre Arbeit? 
       
       Uns kennt ja keiner. Werbung für uns selbst ist das überhaupt keine. Im
       Gegenteil, in Deutschland gibt es eher die Tendenz zu sagen, der politische
       Autor macht sich wichtig, der ist peinlich. Also, wenn wir uns schaden,
       dann in Deutschland.
       
       Und warum engagieren Sie sich trotz Peinlichkeitsgefahr? 
       
       Weil ich das Gefühl habe, dass die Überwachung eine der großen
       Herausforderungen unserer Demokratie ist, und weil das nicht verstanden
       wird. Das ist etwas, was mich als ein in einer Demokratie aufgewachsenes
       glückliches Kind wahnsinnig macht. Dieses Desperate, dieses „Wir können
       nichts tun“. Da schrillen alle Alarmglocken in mir.
       
       Aktualisieren Sie also Sartre für das 21. Jahrhundert? 
       
       Ich würde sagen, wir zitieren Orwell. Hat den eigentlich jemand gelesen?
       Hat jemand Kafka gelesen oder Ray Bradbury? Lest das mal, Leute, dann wisst
       ihr, warum wir kämpfen. Ich selbst schreibe keine politischen Romane, aber
       ich bin ein politischer Mensch. Heinrich Böll hat gesagt: „Ein
       Schriftsteller ist auch Bürger, im besten Fall ein artikulierter.“ Wenn ich
       als Bürger bedroht bin, dann ist mein ganzes Schaffen bedroht. Und dann ist
       es egal, ob man Bäcker ist oder Schriftsteller. Das ist die Front, an der
       ich jetzt kämpfe.
       
       Ist Literatur nicht allein deswegen politisch, weil sie einen Gegenraum
       schafft? 
       
       Das kommt auf die historische Perspektive an. Als Kafka seine Erzählung
       „Die Verwandlung“ geschrieben hat, wurde sie zum damaligen Zeitpunkt
       vermutlich nicht besonders politisch verortet. Erst mit den Totalitarismen
       des 20. Jahrhunderts ist sie zu einer Literatur geworden, die heute extrem
       politisch anmutet. Literatur ist dazu gemacht, dass sie ewig bleiben soll.
       Und dadurch verändert sich ihre Bedeutung.
       
       Was können Sie konkret verändern? Wollen Sie eine digitale Polizei
       einbauen? 
       
       Wir fordern in unserem Appell internationale digitale Menschenrechte. Das
       heißt, wir fordern, dass die Rechte an den Daten den Bürgern zurückgegeben
       werden müssen. Das ist nur ein Anfang. Ich denke, unser Aufruf wird etwas
       zu der allgemeinen Sensibilisierung für dieses Thema beitragen. Und wir
       werden nicht aufhören, politische Forderungen zu stellen, gerade auch an
       die neue Bundesregierung.
       
       10 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Catarina von Wedemeyer
       
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