# taz.de -- Polizeikontrollen in Zügen: Die Flüchtlingsfänger
       
       > Ihre Aufgabe ist es, irreguläre Migration zu bekämpfen. Stichprobenartig
       > kontrollieren Bundespolizisten Reisende im Zug. Ein heikler Job.
       
 (IMG) Bild: Kontrolle der Bundespolizei in einem Zug.
       
       SAARBRÜCKEN taz | Es ist 14.59 Uhr, als der ICE 9555 aus Paris mit dem
       schrillen Geräusch von Metall auf Metall einfährt. In diesem Moment nimmt
       Christopher Thome, 26, per Funkgerät Kontakt zu seiner Leitstelle auf: „Wir
       steigen gleich in den ICE von Saarbrücken nach Kaiserslautern.“ Auf den
       Schulterklappen seiner dunkelblauen Uniform befindet sich ein silberner
       Stern, Dienstgrad Polizeikommissar, gehobener Dienst.
       
       Bevor er gemeinsam mit seinem Kollegen Dennis Schellig, 31,
       Polizeiobermeister, in den Zug steigt, schaut er sich um. Wer steigt ein,
       wer steigt aus? Beide Polizisten tragen über der Uniform schusssichere
       Westen. Am Gürtel befinden sich eine Dose Pfefferspray und ein Schlagstock,
       hinten tragen sie ihre Dienstwaffe, eine P30 von Heckler&Koch, zwei Paar
       Handschuhe, grobe und feine, eine Taschenlampe und eine Lupe mit Licht, um
       Ausweise auf ihre Echtheit zu überprüfen. Ihr Auftrag: die Bekämpfung
       irregulärer Migration.
       
       Seit 2009 gehen 15 deutsche Bundespolizisten aus dem Saarland gemeinsam mit
       Beamten der französischen Polizei auf Streife. Die wollen sich heute aber
       nicht von der Presse begleiten lassen. Das Einsatzgebiet reicht quer durch
       die Grenzregion Saar-Mosel bis nach Paris.
       
       Momentan werden von der Bundespolizei deutschlandweit täglich 300 bis 500
       illegal Einreisende aufgegriffen. Mit den Schengener Abkommen wurden
       zunächst die stationären Grenzkontrollen zwischen einzelnen Staaten, mit
       dem Vertrag von Amsterdam alle Kontrollen an den Binnengrenzen der
       Europäischen Union abgeschafft. Trotzdem führt die Bundespolizei noch
       Stichprobenkontrollen durch. Im Jahr 2013 registrierte sie fast 34.000
       unerlaubte Einreisen, 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch im Jahr 2014
       steigt die Zahl weiter an. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hat sie sich
       bereits mehr als verdoppelt.
       
       Die Streife beginnt. Thome und Schellig sehen sich prüfend um, achten auf
       Gesichter, Kleidung, Gepäck, Verhalten der Reisenden. Nach Paragraf 22 des
       Bundespolizeigesetzes ist es der Behörde erlaubt in Fernzügen,
       Fernbahnhöfen, Flughäfen und in Grenznähe Menschen verdachtsunabhängig zu
       kontrollieren. Ihr wird häufig vorgeworfen, dies nur bei Menschen nicht
       weißer Hautfarbe zu tun. Im Oktober 2012 erklärte das
       Oberverwaltungsgericht Koblenz in einem Berufungsverfahren, dass
       Personenkontrollen aufgrund der Hautfarbe nicht mit dem
       Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar seien.
       
       Seither ist nicht nur die allgemeine Wahrnehmung für das sogenannte Racial
       Profiling geschärft, sondern auch viele Polizisten sind verunsichert, wie
       sie verdachtsunabhängige Kontrollen ausführen können, ohne jemanden zu
       diskriminieren. Die Beamten stehen vor dem Dilemma: Sie sollen irreguläre
       Migration bekämpfen, wofür sie stichprobenartig Menschen kontrollieren
       können. Aber sie dürfen sich nicht an der Hautfarbe orientieren.
       
       ## Wie erkennt man einen Illegalen?
       
       Thome und Schellig wissen, dass derzeit meist Flüchtlinge aus Syrien und
       Eritrea über die deutsch-französische Grenze kommen. Wie erkennt man, ob
       ein Mensch illegal ist? „Das kann man so pauschal nicht sagen“, erklärt
       Thome. „Ich schaue immer auf das Gepäck und suche nach Hinweisen, die
       Aufschluss über Reiserouten geben können. Das können zum Beispiel die
       Zettel sein, die noch von Flughäfen am Gepäck sind.“ Er gleicht sie ab, mit
       den bevorzugten Reiserouten von Flüchtlingen. Südroute, Südostroute, Umwege
       über Frankreich.
       
       „Dann achte ich auch immer auf das Verhalten der Reisenden. Manche
       versuchen sich beschäftigt zu geben. Manche gucken aus dem Fenster und
       vermeiden Blickkontakt, manche stellen sich schlafend, manche sind einfach
       schockiert.“ Ein Mensch, der sich illegal aufhält, trägt heute nicht
       unbedingt mehr zu große Anzüge, das wissen die Polizisten. Er hat auch
       nicht zwingend eine Plastiktüte in der Hand. Aber er hat in der Regel nicht
       viel Gepäck.
       
       Thome und Schellig gehen hintereinander den schmalen Gang des ICE entlang.
       Am Ende des Wagons öffnet Schellig die Tür zur Toilette, schaut hinein,
       während sich Thome bereits den Überblick über den nächsten Wagen
       verschafft. Routine. Sie gehen den Gang entlang, scannen, gleichen alles
       mit ihrer inneren Landkarte ab. Genau drei Wagons geht das so, bis Thome
       plötzlich sagt: „Bundespolizei, Ihre Ausweise bitte. Passports, please. Vos
       cartes d’identité, s’il vous plaît.“ Die Menschen fangen an, in ihren
       Taschen zu kramen. „Was ist das für eine Kontrolle?“, fragt eine Frau
       besorgt. „Eine ganz normale Grenzkontrolle.“ Ein Mann, der am Fenster
       sitzt, reagiert nicht. Als Thome ihn anspricht, schüttelt er den Kopf.
       
       ## Sofort Dolmetscher angefragt
       
       „Follow me, please“, sagt Thome freundlich bestimmt. Der junge, hagere Mann
       steht auf und nimmt seinen grauen Rucksack, auf dem in goldener Schrift
       „Angel“ steht. Sein ganzer Besitz befindet sich darin, wird sich später
       zeigen.
       
       Thome und Schellig gehen mit ihm zur Tür. An der nächsten Station werden
       sie gemeinsam aussteigen. Alle, die noch ohne gültige Papiere im Zug
       sitzen, haben Glück gehabt. Was genau diese Kontrolle ausgelöst hat? „Ich
       weiß, worauf Sie hinaus wollen“, sagt Schellig. Dann schweigt er. Der Mann
       lehnt sich derweil gegen die Wand im Zug neben dem Ausgang, er wirkt
       verunsichert. Mit der rechten Hand verdeckt er einen Teil des Gesichts, mit
       der linken Hand hält er sich den Bauch. Er richtet still den Blick auf den
       grauen Boden des ICE, während draußen die Landschaften der Saarpfalz in
       einem verwischten Grün vorbeiziehen.
       
       „Sind Sie krank?“, fragt ihn Thome auf Englisch. Der junge Mann antwortet
       auf Englisch, dass er Bauchschmerzen habe. Er komme aus Eritrea, er möchte
       in Deutschland Asyl beantragen. Sein Äußeres ist gepflegt, blaue Jeans,
       weiße Turnschuhe, darin unterscheidet er sich nicht von den anderen im Zug,
       aber er ist ein Flüchtling, ohne Papiere, ohne offizielle Identität. Hier
       auf der Strecke zwischen Saarbrücken und Kaiserslautern bekommen die Krisen
       dieser Welt ein Gesicht.
       
       Thome fragt, welches seine Muttersprache sei? „Amharisch.“ Thome zückt sein
       Handy, organisiert einen Dolmetscher. Fünf Minuten später hat er einen am
       Telefon. Er übergibt dem Mann sein Handy. Der Dolmetscher erklärt ihm, was
       mit ihm passieren wird. Seine Gesichtszüge entspannen sich.
       
       ## Auf der Wache
       
       Kurz darauf fährt der Zug im Bahnhof Kaiserslautern ein. Amre B., der in
       Wirklichkeit einen anderen Namen angegeben hat, betritt das erste Mal in
       seinem Leben deutschen Boden. Er ist grau. Gemeinsam gehen die beiden
       Bundespolizisten mit ihm auf die nächste Dienststelle, direkt neben dem
       Bahnhof. Nicht immer läuft alles so ruhig ab. Werden viele Flüchtlinge
       aufgegriffen, warten meist am Bahnhof Beamte zur Verstärkung.
       
       „Please come“, sagt Schellig auf der Wache, und dann gehen alle drei einen
       langen Flur entlang. Zimmer 1.08. Neben der Tür steht „ED/Durchsuchung“. ED
       steht für Erkennungsdienst. Gemeinsam gehen sie hinein, zwei Beamte, das
       ist Pflicht.
       
       Amre B. wird sich in diesem Raum bis auf die Haut ausziehen. Schellig und
       Thome werden ihn und seinen Rucksack untersuchen. „Er hatte circa 50 Euro
       in der Hosentasche. Und weiteres Geld im Hosenbund eingenäht. Das hat er
       uns selbst gezeigt.“ Schellig zählt das Geld: 541 Euro. „Das ist keine
       Seltenheit.“ Dann tippt Schellig Informationen über Amre B. ins System ein:
       geboren 1984 in Gonder, Äthiopien. Familienstand: verheiratet. Phänotyp:
       schlank. Muttersprache: Amharisch. Gestalt: schwarzafrikanisch. Dann werden
       Fotos gemacht. Frontal, seitlich. Fertig.
       
       ## Er weiß genau, wo er ist
       
       Schellig nimmt Amre B. Fingerabdrücke für das nationale Datensystem und für
       die EU-Biometrie-Datenbank Eurodac ab. In spätestens zwei Stunden wird man
       wissen, ob er bereits einen Asylantrag in einem anderen EU-Land gestellt
       hat. Dann dürfte er nicht in Deutschland bleiben.
       
       Raum 1.05., Vorgangsbearbeitung. Thome sitzt am Tisch, Amre B. ihm
       gegenüber. Ein Dolmetscher ist telefonisch zugeschaltet. Thome klärt
       zunächst die wichtigsten Fragen. Benötigt er einen Arzt, möchte er
       aussagen, weiß er, wo er ist. Ja, er weiß, wo er ist. Ja, er möchte
       aussagen. „Fragen Sie ihn, ob er weiß, dass die unerlaubte Einreise ein
       Straftatbestand ist“, sagt Thome. Sätze auf Amharisch. Der Dolmetscher
       spricht. Sätze auf Amharisch. Amre B. spricht. Der Dolmetscher übersetzt:
       „Ja, aber ich habe einfach keine Papiere.“ Amre B. spricht über seine
       Reiseroute: Eritrea, Sudan, Libyen, Italien, Frankreich, Deutschland,
       Zielland. Angaben über Schleuser kann er nicht machen. „Ich möchte in
       Deutschland bleiben“, sagt er. Dann muss er Papiere unterschreiben und
       bekommt die Adresse der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Trier. Kurz
       vor fünf sitzt er im Zug. Er hat sich einen Fensterplatz gesucht. Niemand
       weiß, ob er dorthin fahren wird. Oder woanders hin. Aber: Er ist jetzt im
       Eurodac-System.
       
       Schellig und Thome fahren zurück nach Saarbrücken, diesmal im
       Regionalexpress. Ein normaler Arbeitstag. „Wir bekämpfen nicht die
       Menschen. Die Hintermänner sind die Verbrecher, die verdienen am Leid der
       Menschen“, sagt Thome. Ob ihn ein Fall wie Amre B. berührt? Er schweigt
       kurz. „Man bekommt einen professionellen Abstand. Wie ein Arzt.“ Aber er
       sei auch überzeugt, dass man den Menschen helfe – so wie heute. „Er kann
       hier einen Asylantrag stellen, man wird ihn nicht abschieben, er ist da
       angekommen, wo er hinwollte.“ Thome blickt durch die Glasscheibe, er kennt
       die Strecke in- und auswendig. Dann sagt er: „Ich kann nicht mehr einfach
       so im Zug sitzen, auch wenn ich nicht im Dienst bin. Mein Blick hat sich
       verändert.“
       
       30 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
       
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