# taz.de -- EU-Klimakommissarin zieht Bilanz: „Ich hasse Klimakonferenzen“
       
       > Die scheidende EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard über das geplante
       > EU-Klimapaket, Prozentzahlen, nationale Interessen und ihre eigene
       > Frustration.
       
 (IMG) Bild: „Europa stößt nur noch 14 Prozent der weltweiten Emissionen aus“: Vom All aus gesehen wirkt alles bestens.
       
       taz: Frau Hedegaard, Sie blicken auf fünf Jahre als EU-Klimakommissarin
       zurück. Jetzt will die EU ein neues Klimapaket beschließen, das bis 2030
       eine Reduktion der Emissionen um 40 Prozent vorsieht. Klingt gut, ist aber
       nur Business as usual, oder? 
       
       Connie Hedegaard: Einspruch. Das ist ein gutes Paket, und ich hoffe sehr,
       dass die Regierungschefs es beschließen werden. Sie haben keine
       Vorstellung, wie ehrgeizig die 40 Prozent sind. Mitten in der
       Wirtschaftskrise, in der sich viele EU-Länder noch befinden, beschließen
       wir, die Reduzierungen zu verdoppeln, und zwar in nur zehn Jahren. Bei den
       ersten 20 Prozent hatten wir viel mehr Zeit, wir hatten die Reduktionen
       durch den Zusammenbruch der Industrien in den ehemaligen Ostblockstaaten,
       und wir konnten einen Teil der Minderung außerhalb der EU erbringen. Jetzt
       haben wir das nicht mehr und gehen auf 40 Prozent, das ist ein großer
       Schritt.
       
       Aber wir erreichen damit nicht die Reduktion um 95 Prozent, die wir bis
       2050 brauchen, um die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. 
       
       Wir haben 80 bis 95 Prozent zugesagt, und wir sind mit diesem Paket auf dem
       Weg, die 80 Prozent zu erreichen.
       
       Ein weiteres Ziel des Pakets: eine Steigerung der erneuerbaren Energien auf
       27 Prozent für die gesamte EU. Jedoch gibt es keine nationalen Quoten, die
       einklagbar wären. 
       
       In der entscheidenden Phase der Verhandlungen darüber gab es einen Brief
       der acht Länder, die am meisten für Erneuerbare plädieren, auch Deutschland
       war dabei. Es fehlte darin ein winziges Wort: verbindlich. Die Staaten
       haben das Wort nicht einfach vergessen. Es war nicht gewollt.
       
       Warum ist die EU gegenüber Kanada beim Import von Öl aus Teersänden
       eingeknickt? Jetzt kann dieser extrem klimaschädliche Treibstoff nach
       Europa kommen. 
       
       Nicht die EU ist eingeknickt, sondern die Mitgliedstaaten. Wir als
       Kommission hatten 2011 einen viel besseren Vorschlag, aber für den gab es
       keine Mehrheit. Deshalb haben wir nun einen anderen Vorschlag vorgelegt,
       der wenigstens eine Methodologie einführt, nach der man die Teersandöle
       erkennen kann.
       
       Aber man kann sie nicht bis in die Ölfirmen zurückverfolgen und diese damit
       in Haftung nehmen. 
       
       Es war nichts Besseres möglich. Wir mussten etwas vorlegen, denn ohne eine
       Regelung käme das Teersandöl völlig ohne Regeln nach Europa.
       
       Die EU hat ihre Vorreiterrolle beim internationalen Klimaschutz verloren. 
       
       Falsch. Fast alle Vorschläge, die die Klimaverhandlungen in den letzten
       Jahren vorangebracht haben, stammen aus Europa. Wir gehören zu den wenigen,
       die eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls unterzeichnet
       haben. Wir haben unsere Klimaschutzziele erreicht, das können sonst nicht
       viele andere Staaten von sich sagen. Wir haben in Durban 2011 eine
       Koalition aus Industrieländern und Entwicklungsländern zusammengebracht,
       die beschlossen hat, dass sich ab 2020 alle Staaten zum Klimaschutz
       verpflichten sollen. Schauen Sie auf die anderen Länder. Ich begrüße sehr,
       wie die USA das Klimathema inzwischen ernst nehmen. Aber diese
       Anstrengungen sind im Vergleich zu unseren Erfolgen sehr gering. Während
       wir seit 1990 unsere Emissionen um 8 Prozent gesenkt haben, sind sie in den
       USA trotz Schiefergasbooms in dieser Periode um 8 Prozent gestiegen.
       
       Aber die USA und China nähern sich an. Die EU wird an die Seitenlinie
       gedrängt. 
       
       Davon haben wir doch seit Jahren geträumt, dass endlich auch die beiden
       CO2-Supermächte Verantwortung übernehmen! Beim Ban-Ki-moon-Gipfel in New
       York haben nun beide klargemacht, dass sie ihre Verantwortung sehen. Das
       können wir nur begrüßen. Europa macht nur noch 14 Prozent der weltweiten
       Emissionen aus, da ist es gut, dass sich die großen Verschmutzer endlich
       für das Thema erwärmen.
       
       China hat erklärt, sie wollten den Höhepunkt ihrer Emissionen „so schnell
       wie möglich“ erreichen. Das kann alles und nichts bedeuten. 
       
       Sie müssen die Entwicklung sehen. Als ich vor ein paar Jahren in China bei
       einem offiziellen Treffen diesen Höhepunkt ihrer Emissionen angesprochen
       habe, herrschte eisiges Schweigen, und das Treffen war praktisch vorbei.
       Jetzt erklärt der Vizepremier öffentlich vor den UN, dass sie das so
       schnell wie möglich anstreben.
       
       Sie waren die erste Klimakommissarin der EU. Und trotzdem steht die
       europäische Klimapolitik heute schlechter da als vor fünf Jahren. 
       
       Vor der UN-Konferenz in Kopenhagen gab es sicher mehr Aufregung und
       Bewegung in der Öffentlichkeit. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass erst
       danach bei uns die Wirtschafts- und dann die Eurokrise zugeschlagen haben.
       Da waren Fortschritte bei der Klimapolitik sehr schwer. Dafür gibt es aber
       heute viel mehr Akteure: die OECD und die Weltbank, die deutlich sagen, wer
       Wachstum will, muss Klimaschutz betreiben. Positiv ist auch der Zubau an
       erneuerbaren Energien, auch bei Ihnen in Deutschland.
       
       Aber in der Klimapolitik gibt es keine Europäische Union, sondern eine
       europäische Trennung. Seit Jahren gibt es keinen Fortschritt, weil zum
       Beispiel Polen alles blockiert. 
       
       Das ist nicht meine Erfahrung. Polen war zum Beispiel bei der
       Energieeffizienz sehr eifrig dabei. Aber es ist auch klar, dass einzelne
       Länder sich nach ihren nationalen Interessen verhalten.
       
       Also ihren nationalen Industrien? 
       
       Natürlich. Das hat man ja auch in Ihrem Land gesehen, als es um die
       CO2-Grenzwerte für Autos ging, wo die deutsche Autoindustrie betroffen war.
       Und in Ländern, wo große Biotreibstofffabriken stehen oder die
       Landwirtschaft wirklich wichtig ist, ist der Druck größer, noch mehr
       Biotreibstoffe zuzulassen, was ich aus Klimagründen falsch fände.
       
       Europa ist als Wirtschaftsunion gegründet worden. Im Zweifel stören da
       soziale und ökologische Belange. 
       
       Das sehe ich anders. Wir sind der einzige Kontinent, der in den letzten
       Jahrzehnten sein Wachstum vom Energieverbrauch entkoppelt hat. Unsere
       Wirtschaft wächst, und wir verbrauchen trotzdem weniger Energie. Aber man
       kann auch nicht immer nur auf den Klimaschutz verweisen – wenn in Spanien
       die Hälfte aller jungen Menschen keine Arbeit hat, ist das erst mal ein
       soziales Problem.
       
       Sie scheiden nun aus dem Amt. Kann man ein guter Klimakommissar sein, wenn
       man enge persönliche Verbindungen in die Ölindustrie hat – wie Ihr
       designierter Nachfolger Miguel Arias Cañete? 
       
       Das kann man, wenn man die persönliche Integrität hat. Ich kenne Miguel
       Cañete aus seiner Zeit als spanischer Umwelt- und Agrarminister und von
       einigen Klimakonferenzen. Ich traue ihm das zu. 
       
       Was war in der Zeit als Kommissarin Ihr größter Erfolg? 
       
       Die Klimakonferenz von Durban 2011 mit dem Durchbruch hin zu Paris. Das hat
       gezeigt, wozu wir Europäer fähig sind, wenn wir einig sind. Und die neue
       EU-Budgetplanung, die inzwischen vorsieht, dass 20 Prozent aus allen
       Ressorts für Klimaschutz eingeplant werden müssen.
       
       Und die größte Niederlage? 
       
       Der Rückschlag beim Versuch, die nichteuropäischen Fluglinien in den
       Emissionshandel einzubeziehen (Der Vorstoß wurde im Frühjahr 2014
       ausgesetzt und gilt als erledigt; d. Red.). Und sicher auch die
       Treibstoffrichtlinie mit den Teersänden. Das zeigt, was passiert, wenn wir
       uns auseinanderdividieren lassen.
       
       Bedauern Sie es, dass Sie 2015 in Paris nicht mehr im Amt sind, wenn das
       Klimaabkommen geschlossen werden soll? 
       
       Nein, ich hasse Klimakonferenzen. Es ist ein enormer Stress, alles ist
       inzwischen sehr groß und komplex, und jedes Wort in einem Text kann eine
       unglaubliche Bedeutung haben. Außerdem geht da nichts so schnell und
       effektiv, wie ich es zum Leidwesen meiner Mitarbeiter gern habe. Aber ich
       habe gelernt, wie wichtig es ist, in diesem Rahmen Geduld zu haben. Auch
       wenn ich manchmal schon gedacht habe, ich erzähle immer und immer wieder
       das Gleiche.
       
       Viele Leute haben auch deswegen inzwischen alle Hoffnung aufgegeben, dass
       die Klimadiplomatie noch zu einem echten Ergebnis führen kann. 
       
       Ich verstehe alle diese Frustrationen. Mir geht es manchmal genauso. Aber
       man muss auch sehen, wie viel sich in letzter Zeit bewegt. Noch vor ein
       paar Jahren gab es viele Staaten und Einrichtungen, die sich dem Thema
       völlig verschlossen haben. Das ist nun vorbei. Auch viele Unternehmen
       machen Druck, 73 Staaten haben in New York unterschrieben, dass sie einen
       Preis für Kohlenstoff fordern, darunter China. Die Entwicklung braucht eben
       Zeit.
       
       Haben wir diese Zeit? 
       
       Was sollen wir denn sonst machen? Uns zurücklehnen und resignieren? Das ist
       die falsche Antwort.
       
       23 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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