# taz.de -- Bremens Innensenator bricht Kirchenasyl: Abschiebung scheitert an Zivilgesellschaft
       
       > Rund 100 Engagierte verhindern eine nächtliche Abschiebung aus der
       > Zionskirche. Grüne und Linke distanzieren sich vom Bruch des
       > Kirchenasyls.
       
 (IMG) Bild: Unter dem Dach der Kirche soll es Schutz geben für Verfolgte. Doch auch in Bremen wird das neuerdings nicht mehr respektiert
       
       Bremen taz | Um halb vier Uhr morgens läuten die Glocken an der Zionskirche
       in der Bremer Neustadt. Die Polizei hat zu diesem Zeitpunkt die Kirche
       umstellt, mit drei Mannschaftswagen ist sie vor Ort. Im Gemeindesaal stehen
       rund hundert Menschen, die die Nacht von Montag auf Dienstag in der Kirche
       verbracht haben, mit Schlafsäcken und Isomatten. Jetzt sind alle wach. So
       erzählen es Beteiligte am Tag danach.
       
       Kirchenmitglieder sind dabei, Menschenrechtsaktivist*innen und
       Anwohner*innen. Schützen wollten sie Ayoub I. Der junge Somalier hat von
       der evangelischen Gemeinde [1][Kirchenasyl bekommen]. Die Bremer
       Innenbehörde will ihn abschieben, nach Finnland, wo er zunächst seinen
       Asylantrag gestellt hatte. Dafür ist Innensenator Ulrich Mäurer (SPD)
       bereit, das Kirchenasyl zu brechen – das ist in Bremen seit 30 Jahren nicht
       passiert.
       
       Die Polizei macht zunächst kehrt, kommt aber nach kurzer Zeit zurück. „Ich
       möchte da nicht mit vollem Polizeiaufgebot reingehen“, habe ihm ein
       Zivilpolizist gesagt, erzählt Gemeindepastor Thomas Lieberum, und an seine
       Vernunft appelliert. Die Kirche bekäme doch auch nur Ärger, wenn die Leute
       die Polizei weiter von ihrer Arbeit abhielten. „,Wir stehen hier friedlich
       und fühlen uns tief verwurzelt im Glauben', habe ich ihm daraufhin gesagt.
       Ich glaube, das hat er nicht ganz verstanden.“
       
       Reiner Selbstzweck war die theologische Diskussion nicht. „Natürlich habe
       ich auch gehofft, dass die Zeit vergeht“, so der Pastor. „Der Abschiebeflug
       nach Finnland war ja für eine bestimmte Uhrzeit gebucht.“ Irgendwann zieht
       die Polizei ganz ab. Für diese Nacht ist I. gerettet.
       
       ## Kirchenasyl-Bruch liegt im Trend
       
       Jahrzehntelang war die Tradition, dass Kirchen besonderen Härtefällen trotz
       anderslautender Behördenentscheidung humanitäres Obdach vor dem Zugriff des
       Staates gewähren, akzeptiert worden. Doch in diesem Jahr haben schon
       mehrere Bundesländer ihre Politik geändert – und [2][erstmalig auf
       Abschiebungen aus dem Kirchenasyl] gesetzt.
       
       Die Zahl der Kirchenasylfälle war zuvor stark gestiegen – während
       zeitgleich der gesellschaftliche Druck gewachsen ist, Abschiebungen
       durchzuführen. Auch in Bremen lassen sich beide Entwicklungen ablesen: Erst
       Mitte November hatte eine Liste des Migrationsamtes von 111 gescheiterten
       Abschiebungen 32 auf Kirchenasyl zurückgeführt. Innensenator Mäurer hatte
       noch im Oktober mit einer „Zentralstelle für Rückführungen“ [3][auf mehr
       Abschiebungen gesetzt].
       
       Der Somalier Ayoub I. ist seit einigen Wochen im Kirchenasyl der
       Ziongemeinde. Laut Dublin-Regelung müsste er nach Finnland zurück, wo er
       zuerst Asyl beantragt hatte. Doch dort hat er [4][Gewalt durch Pushbacks]
       erfahren: Zwischen Russland und Finnland werden Geflüchtete in einer Art
       Niemandsland hin und her geschickt.
       
       Menschenrechtswidrig sei das, sagt Lars Ackermann, der in Bremen beim
       Verein „Zuflucht“ für die Kirchen Anträge auf Kirchenasyl prüft – und auch
       Ayoub I. als Härtefall aufgenommen hat. Wenige Tage noch müsste I.
       aushalten, dann würde die Rückführung nach Dublin-Regelung verfallen: Am
       Samstag hält sich I. ein halbes Jahr in Deutschland auf.
       
       Für die Bremer Innenbehörde ist der Fall scheinbar klar: Das
       Härtefall-Dossier, das die Kirche für ihn eingereicht hatte, war vom
       Bundesamt für Migration (BAMF) abgelehnt worden – damit müsse das
       Kirchenasyl enden.
       
       Mäurer gibt sich empört über die nächtliche Versammlung der Menschen in der
       Zionskirche: Gemeindemitglieder, aber auch „teilweise Vermummte“ hätten
       sich der Polizei entgegengestellt – und das Läuten der Kirchenglocken
       mitten in der Nacht sei „an Zynismus nicht zu übertreffen“. „Mit der Aktion
       wird gegen eine gültige Vereinbarung verstoßen. Staat und Kirchen müssen
       darüber dringend reden.“
       
       Gemeint ist eine Vereinbarung aus dem Jahr 2015, in der die Kirchen und das
       BAMF versucht hatten, Regeln für den Ablauf des Kirchenasyls aufzustellen.
       Die Vereinbarungen werden seit diesem Jahr von Landesbehörden und Kirchen
       [5][unterschiedlich interpretiert:] Die staatlichen Vertreter pochen auf
       einen Absatz, dass das Kirchenasyl drei Tage nach abgelehntem
       Härtefalldossier enden muss. Die Kirchen beharren darauf, dass dieser Satz
       nachträglich vom BAMF ergänzt wurde – und nie Teil der Vereinbarung war.
       
       Fakt ist: Seit Bestand der Vereinbarung stellte ein abgelehntes
       Härtefalldossier für den Staat nie einen Anlass dar, das Kirchenasyl
       tatsächlich zu brechen – obwohl auch in der Vergangenheit eine
       überwältigende Mehrheit der Anträge „ohne echte Einzelfallprüfung“, wie
       Lars Ackermann sagt, abgelehnt worden war. Die Empörung des Innensenators
       über den Rückhalt der Kirche für Ayoub I. kommt daher einigermaßen
       überraschend.
       
       Zumal die versuchte Abschiebung zumindest die Dehnung eines eigenen
       Erlasses der Innenbehörde von 2020 darstellt. Darin ist festgehalten, dass
       aus „besonders sensiblen Bereichen“ – unter anderem sakralen Räumlichkeiten
       – ein „polizeiliches Einschreiten ausschließlich zum Zwecke der (…)
       Abschiebung regelmäßig nicht erfolgen“ soll.
       
       Die Innenbehörde kontert, „ausnahmsweise“ sei eine solche Abschiebung –
       nach besonderer Prüfung durch den Innensenator – aber auch nach diesem
       Erlass möglich. Worin die besondere Ausnahme im Fall von Ayoub I. gegenüber
       früheren Fällen von Kirchenasyl besteht, wird nicht deutlich.
       
       Einen Widerspruch sieht der Flüchtlingsrat, der maßgeblich daran beteiligt
       war, Menschen für die Nachtwache in der Kirche zu mobilisieren, auch zum
       Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung: Dort ist eine „humanitäre
       Migrationspolitik“ als Ziel festgehalten.
       
       ## Regierungsfraktionen überrascht
       
       Tatsächlich wurden die Regierungsfraktionen von der Entscheidung des
       Innensenators offenbar überrascht. Grüne und Linke reagierten scharf. „Dass
       die Verantwortlichen im Senat nun nicht mal vor kirchlichen Räumen
       zurückschrecken, ist eine Zäsur“, so Sophia Leonidakis, Vorsitzende der
       Linksfraktion. Auch Henrike Müller, die Fraktionsvorsitzende der Bremer
       Grünen, wird deutlich: „In diese Schutzorte mit Polizei eindringen zu
       wollen, ist politisch falsch und menschlich unanständig.“ Die SPD-Fraktion
       antwortet nicht auf eine Anfrage der taz.
       
       Pastor Lieberum zeigt sich enttäuscht vom Senat. Pikant sei, dass
       Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) noch am Montag beim Jahresempfang
       der Bremischen Evangelischen Kirche den Verein „Zuflucht“, zuständig für
       die Kirchenasyle in Bremen, für seine Arbeit gedankt hatte. Die
       Senatskanzlei möchte sich zu der Frage, ob der Bürgermeister vorab von der
       geplanten Abschiebung wusste, nicht äußern.
       
       Auch wenn die Polizei in der Nacht von Montag auf Dienstag abgezogen ist:
       Die Gefahr scheint noch nicht gebannt. Die Innenbehörde erklärt, das
       weitere Vorgehen sei noch „in Abstimmung.“ „Wir rechnen jedenfalls mit
       weiteren Versuchen“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen. Konkret
       bedroht sind neben Ayoub I. noch zwei weitere Somalier im Kirchenasyl in
       anderen Gemeinden, deren Härtefalldossiers gerade vom BAMF abgelehnt
       wurden.
       
       „Für die Zukunft des Kirchenasyls in Bremen ist der Bruch eine
       Vollkatastrophe“, sagt Pastor Lieberum, „dass es selbst im weltoffenen
       Bremen nicht mehr akzeptiert wird, das macht so viel kaputt.“ Eine ähnliche
       Sorge treibt auch Oerter um: „Wenn das angeblich so liberale Bremen mit
       seiner rot-grün-roten Regierung das Kirchenasyl bricht, dann hat das eine
       negative Signalwirkung an das ganze Bundesgebiet“, sagt sie. „Das ist ein
       Dammbruch.“
       
       Auch die nächste Nacht will Gundula Oerter in der Kirche schlafen; sie
       rechnet mit vielen weiteren Engagierten. Auf diese Art kann zumindest die
       Abschiebung von Ayoub I. bis Samstag eventuell verhindert werden.
       Ermutigend sei die Solidarität der vielen Menschen, die sich in der Kirche
       die Nacht um die Ohren geschlagen hätten. „Wir brauchen solche Orte des
       kollektiven Widerstands“, sagt Oerter. „Sich gemeinsam der rechten Politik
       der Mitte entgegenzustellen, ist eine stärkendes Erfahrung.“
       
       3 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Finnisch-russischer-Grenzuebergang/!5975030
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
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