# taz.de -- Infrastruktur in der Ukraine: Zehn Stunden Strom am Tag
       
       > Der Ukraine steht ein schwieriger Winter bevor. Russland versucht, die
       > Stromversorgung des Landes in zwei Teile zu spalten.
       
 (IMG) Bild: Am eisernen Faden hängen: eine beschädigte Stromleitung in einem Umspannwerk in Odessa
       
       Wann wird es endlich wieder hell? Diese Frage treibt die Ukrainer mehr um,
       als die [1][Verhandlungen zwischen den USA, Europa, Russland und Kyjiw].
       Angesichts der andauernden russischen Angriffe warnen Experten und Beamte
       schon seit Langem vor einem schwierigen Winter für die Energieversorgung.
       
       „Der ukrainische Energiesektor wird in folgendem Modus operieren:
       großflächiger Beschuss, danach fünf bis sechs Tage für die
       Wiederherstellung mit Notfallabschaltungen für Millionen von Kunden,
       mehrere mehr oder weniger stabile Tage mit geplanten Abschaltungen und dann
       wieder ein großflächiger Beschuss“, kündigte Alexander Chartschenko vom
       Center for Energy Research bereits im September im Radiosender NV an.
       
       Leider hat sich seine Voraussage bewahrheitet. [2][Seit Herbst greifen die
       Russen Kraftwerke, Umspannwerke], Eisenbahnstrecken und Gasfelder an. Am 9.
       Dezember räumte die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Swrydenko ein,
       dass nun auch Teile der kritischen Infrastrukturen von der Stromversorgung
       abgekoppelt und mit Generatoren betrieben würden.
       
       Auf diese Weise hofft die Regierung, die Dauer regionaler Stromausfälle zu
       verkürzen und mehr Strom für die Allgemeinheit bereitstellen zu können.
       „Bitte verlegen Sie die Nutzung von Elektrogeräten mit hohem Stromverbrauch
       in die Nachtstunden – nach 23.00 Uhr“, appelliert DTEK, eines der größten
       privaten Energieunternehmen der Ukraine, immer wieder an seine Kunden.
       
       ## 704 Drohnen und Raketen
       
       Das Unternehmen teilte mit, dass die Russen in der Nacht zum 6. Dezember
       704 Drohnen und Raketen auf Kraftwerke abgefeuert hätten. Die Flugabwehr
       konnte nicht alle abfangen. Die Energieversorger waren gezwungen,
       Notabschaltungen durchzuführen. „Notfall“ bedeutet in diesem Fall: ohne
       Vorwarnung.
       
       Für viele Ukrainer, die seit Jahren unter diesen Bedingungen leben und
       erschöpft sind, ist dies sehr beunruhigend. Im Dezember kann es vorkommen,
       dass Haushalte 14 bis 16 Stunden am Tag ohne Strom sind. In den sozialen
       Medien kursieren Empörung und Besorgnis.
       
       Die Ukrainer geben dafür nicht nur den Russen die Schuld. Auch die
       ukrainische Regierung und die Energieunternehmen seien verantwortlich, da
       sie „aus nicht nachvollziehbaren Gründen den Strom abstellen“ oder ihn
       „weiterhin in die EU exportieren“ würden.
       
       Als Reaktion darauf erklärten die Energieunternehmen, dass viele
       Wärmekraftwerke und Hochspannungsnetze betroffen seien, eine sichere
       Stromübertragung sei schlichtweg unmöglich geworden. Solange die Netze
       nicht repariert seien, könnten auch Kernkraftwerke ihre Leistung nicht
       wieder hochfahren.
       
       In den Grenzregionen sowie den Gebieten Charkiw, Tschernihiw, Sumy und
       Poltawa ist die Lage besonders kritisch. Laut Ukrenergo seien in der
       Hauptstadt Kyjiw 50 Prozent der Haushalte ohne Strom.
       
       In Odessa führte ein Stromausfall zu großflächigen Straßensperrungen. Die
       Stadt lag mehrere Tage lang fast völlig im Dunkeln. Nach dem russischen
       Angriff am 13. Dezember wurde in der Region Odessa der Ausnahmezustand
       verhängt. Es handelte sich um einen der schwersten Angriffe in der Region
       seit dem Beginn des Krieges.
       
       Eine halbe Million Haushalte war ohne Strom. Daher beschlossen die lokalen
       Behörden, mit den Unternehmen eine Vereinbarung zur Reduzierung
       insbesondere der dekorativen Beleuchtung zu treffen. Zusätzlich werden
       Mittel aus einem Reservefonds bereitgestellt, um Generatoren in
       Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen und anderen wichtigen Einrichtungen
       mit Treibstoff zu versorgen.
       
       Laut Wolodymyr Omeltschenko, Leiter der Energieprogramme am Kyjiwer
       Rasumkow-Zentrum, verfolge der Kreml konsequent die Strategie, das
       ukrainische Energiesystem in zwei Teile zu spalten – den einen am rechten
       Ufer, den anderen am linken Ufer des Dnipro.
       
       Seinen Angaben zufolge sei der Teil der Ukraine am linken Ufer,
       einschließlich Kyjiw, aufgrund der Konfiguration des Stromsystems
       historisch unterversorgt. Alle neun Kernkraftwerksblöcke befänden sich am
       rechten Ufer, und auch alle Stromimporte stammen von der Westgrenze.
       Infolgedessen führten regelmäßige Angriffe auf die Stromerzeugung am linken
       Ufer zu einer zunehmenden Verknappung, während überschüssige Importe und
       erzeugter Strom aufgrund zerstörter Stromleitungen nicht vom rechten zum
       linken Ufer transportiert werden könnten. Daher seien die westlichen
       Regionen deutlich weniger von Stromausfällen betroffen.
       
       „Russlands Strategie sieht die Zerstörung der lebenswichtigen Infrastruktur
       der Ukraine vor, darunter Umspannwerke in der Nähe von Atomkraftwerken.
       Dadurch entsteht ein hohes Risiko eines von Menschen verursachten Unfalls“,
       so Omeltschenko.
       
       In der Innenstadt der westukrainischen Stadt Luzk sind unterdessen die
       Lichter am Weihnachtsbaum angezündet worden. „Ich hoffe, es gibt in diesem
       Winter nicht so viel Schnee und Frost, auch wenn ich dann weniger
       verdiene“, sagt ein Fotograf. Seine eine Körperhälfte ist in Dunkelheit
       gehüllt, während die andere im festlichen Lichterglanz erstrahlt.
       
       Aus dem Russischen Barbara Oertel
       
       21 Dec 2025
       
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