# taz.de -- Tanzperformance in Osnabrück: Die diffuse Hektik des Daseins
       
       > Ein Tanz um Leben und Tod in der vermuteten Unendlichkeit: Die Dance
       > Company Osnabrück schlängelt sich in Johanna Nuutinens „Æon“ durch Zeit
       > und Raum.
       
 (IMG) Bild: Transit: Tänzer im „freien Flug“ in Æon
       
       Ein wuchtiges und denkmalgeschütztes Schulgebäude im Design romanisierender
       Rundbögen – reichlich Treppen dieser Festung sind zu ersteigen, dann öffnet
       sich in der ehemaligen Aula eine intime Studiobühne. Choreografin Johanna
       Nuutinen zog in dieses kleine „emma-theater“, die Studiobühne des
       [1][Osnabrücker Theaters,] mit einem übergroßen Thema ein. „[2][Æon]“
       lautet der Titel ihrer dreiteiligen Arbeit. Es geht also um das
       unvorstellbar Größte überhaupt, die Ewigkeit selbst.
       
       Johanna Nuutinen ist an deutschen Theatern noch ein unbeschriebenes Blatt.
       Sie kommt vom Ballett, hat 15 Jahre an der [3][Finnischen Nationaloper]
       getanzt und leitet seit 2016 in Helsinki eine Compagnie für
       zeitgenössisches Tanztheater. Jetzt setzt sie die Präzisionsmaschinerie
       ihrer Bewegungssprache mit der Dance Company Osnabrück in Gang.
       
       Gestartet wird mit „Crea“. In sich und ineinander verknotet, so schlängeln
       und rollen sich zwei Wesen durch das Quadrat des ausgelegten Tanzbodens.
       Angefeuert von der perkussiven Dynamik elektronischer Musik entknäuelt sich
       das Paar in die Senkrechte empor – und gewinnt die Mutenergie, einander
       loszulassen. Wie eineiige Zwillinge, die sich ins Leben entzweien.
       Entfalten und befreien. Beide kommen aber mit – annähernd synchron
       ausgeführtem – Bodenturnen, -tanz, -gymnastik, -akrobatik auch wieder
       zusammen. Rücken an Rücken stemmen sie sich erneut empor. Proben erste
       Hüftschwünge und Ballettschritte, erkunden achtsam das Miteinander und
       erwachen dabei zu sich selbst. Wobei nur die zunehmend pathetisch dröhnende
       Musik und mangelnde Geschmeidigkeit des Tanzduos stören.
       
       Teil 2: „Vault“. Auf die zarte Klarheit des Geborenwerdens folgt die
       diffuse Hektik des Daseins. Also werden Nebelmaschinen und eiskalt
       flackerndes Licht angestellt. Ein glamouröses Quartett exerziert mit
       feingliedriger Elastizität einen zuckenden Tanz der Arme. So eitel wie
       verloren drehen sich die Tänzer:innen auch um sich selbst. Sie wirken
       anmutig in ihrer raumgreifenden Aggressivität. Einem manischen Begehren.
       
       [4][Nuutinen] choreografiert, wie sich der gehetzte Zeitgeist auf die
       gestressten Körper auswirkt. Die allgemeine Verunsicherung erstarrt final
       mit stolzgerader Pose in einem Scheinwerferkegel. „Vault“ sei wie eine
       „Kammer der Wünsche und Wünsche und mehr Wünsche“. So erklärt Nuutinen ihr
       Anliegen, die Landschaft des Unbewussten und der Gefühle in Bewegung zu
       übersetzen, eine Landschaft, die für sie eine Wunschmaschine ist, wie es
       uns ja bereits Sigmund Freud und das [5][Sams] erklärt haben.
       
       Mühsam aufstehen, hektisch herumirren – schon gilt es in Teil 3, „Ever“,
       nochmal schnell angesichts des Todes darüber zu räsonieren, ob irgendetwas
       für immer ist oder alles als begrenzt zu erfahren. Und so schwanken drei
       Tänzerinnen hin und her. Zeigen Bewegungsfolgen, die nicht einfach enden,
       sondern sich verwandeln, entwickeln.
       
       Bald aber macht sich Entspannung breit. Ein Ausklingenlassen. Der
       Abschiedstanz kommt als tröstliche Zeremonie des Loslassens in schöner
       Eleganz daher. Während ein Herzschlagrhythmus in synthetischem
       Geigenschmelz ertrinkt, versinken die Tänzerinnen schließlich in einem Meer
       aus Licht und Nebel. Etwas optisch derart Beeindruckendes war im
       „emma-theater“ wohl noch nie zu erleben (Lichtdesign: Tuomas Honkanen).
       
       Nicht, dass Nuutinen hier philosophisch das Wesen der Zeit erkundet und
       metaphysische Möglichkeiten im [6][Denken über Unendlichkeit] analysiert
       hat: Aber sie führt das unzufrieden machende Streben der Menschen während
       ihrer klitzekleinen Lebensmomente in der vermuteten Ewigkeit vor – mit drei
       facettenreichen Bewegungskonzepten. Das und die visuelle Kraft wie auch
       tänzerische Intensität der Choreografie ergeben eine überzeugende
       Bewerbung, demnächst auf der großen Bühne arbeiten zu dürfen.
       
       17 Dec 2025
       
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