# taz.de -- Morgens auf der Sonnenallee: Das Stadtbild in Berlin-Neukölln kurz nach 9 Uhr
       
       > In der Frühe ist die Stadt angenehm ruhig. Ein Spaziergang durch die
       > Sonnenallee – wenn sie mal nicht so sehr nach Müll, Abluft und Abgasen
       > stinkt.
       
 (IMG) Bild: Sonne in der Sonnenallee: hier an der Ampel vor der Ausfahrt der A100 in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln
       
       Wie immer mache ich meinen kleinen Spaziergang am Sonntagmorgen, ich nenne
       ihn meinen Spießerspaziergang: Sonntags am frühen Morgen nach Berliner
       Zeit, also so um kurz nach 9, sind die Welt und das Stadtbild in
       Berlin-Neukölln in schönster Ordnung. Unruhestifter*innen schlafen
       dann offenbar noch oder haben heute frei, die wenigen Nachtschwärmer*innen,
       die jetzt noch vom Club nach Hause unterwegs sind, sind meist schon wieder
       nüchtern und wenn nicht, dann jedenfalls gut gelaunt.
       
       Die Stadt ist ungewohnt und angenehm ruhig und an diesem kalten
       Dezembermorgen nach einer sternenklaren Nacht stinkt sie auch nicht so sehr
       nach Müll, Abluft und Abgasen. Die Sonne, die winters in der Berliner
       Innenstadt nur in der Mittagszeit über die Dächer der Häuser kommt, schickt
       ein paar Strahlen immerhin schon durch die breiteren Straßen und man
       versteht plötzlich, warum die [1][Sonnenallee] Sonnenallee heißt.
       
       Die Kälte der vergangenen Dezembernacht hat dafür gesorgt, dass die
       Partygänger*innen und Späti-Tourist*innen Nordneuköllns nicht allzu
       viel Zeit hatten, die Straßen und Gehwege mit ihrem Müll und anderen
       Hinterlassenschaften zu bedecken; keine Ratten kreuzen heute Morgen meinen
       Weg.
       
       Stattdessen die freundlichen Spaziergänger*innen des frühen Berliner
       Sonntagmorgens: verantwortungsbewusste Gassigeher*innen etwa mit
       angeleinten Hunden und den kleinen schwarzen Kotbeutelrollen in der Hand
       oder an der Leine festgeknotet, von denen ich viele mittlerweile so oft
       gesehen habe bei meinen Spaziergängen, dass wir uns begrüßen oder immerhin
       zunicken. Eltern mit kleinen Kindern im Lastenrad, Fahrradanhänger oder dem
       Kindersitz am Lenker, die der Jahreszeit entsprechend laut von der
       Weihnachtsbäckerei singen. Alte Neuköllner Damen auf dem Weg zum
       Gottesdienst oder Kaffeeklatsch oder beidem in den nahen Kirchen, junge
       Berliner*innen auf dem Weg in die Moschee; Gruppen Jugendlicher mit
       Sporttaschen, vielleicht auf dem Weg zu einem Fußballspiel oder ins Gym.
       
       ## Die Abwesenheit der alltäglichen Hektik
       
       Und alle haben wenigstens ein freundliches Nicken oder gar ein „Guten
       Morgen“ übrig für das Lächeln, das ich – die gut gelaunte und gern
       lächelnde Fußgängerin – ihnen an diesem wunderbaren Morgen schenke (für das
       man in Berlin aber leider auch schnell mal für eine potenzielle
       Psychopathin gehalten wird).
       
       Wunderbar sind auch die Stille und die Abwesenheit der sonst so
       alltäglichen Hektik: keine lärmende Menschenmenge, kein Hupen, sowieso kaum
       Autos auf den Straßen, auch keine Rider mit zentnerschweren E-Bikes oder
       Scooterfahrer, die über die tagsüber eh schon überfüllten Gehwege heizen.
       Stattdessen hört man nur ein paar Kirchenglocken – Muezzine dürfen auch in
       Neukölln leider noch nicht rufen und wären wohl auch früher dran gewesen.
       
       Dafür sind die Besen zu hören, mit denen die Besitzer*innen der Spätis,
       die Angestellten der Frühstückscafés, die jetzt schon ihre Türen öffnen,
       den letzten Müll wegfegen, den die Nacht trotz ihrer Kälte hinterlassen
       hat: Schrrrp, schrrrp.
       
       Die Infrastruktur, die hier um diese Zeit schon ihre Dienste anbietet, hat
       zu 100 Prozent Migrationsgeschichte: Die Familien der Menschen, die gerade
       die Gehwege vor ihren Frühstückscafés, Spätis, Zeitungs- und Blumenläden
       oder Imbissen fegen, bevor sie dann Tische und Stühle, Zeitungsständer oder
       Körbe voller Blumen aufbauen, sind aus der Türkei oder Spanien, aus den USA
       oder Böhmen, aus Israel, Sri Lanka und Bayern, aus Vietnam, Indien,
       afrikanischen oder arabischen Ländern eingewandert – manche schon vor sehr
       langer, manche erst vor kürzerer Zeit. Mit vielen tausche ich ein paar
       Worte: Ich wünsche ihnen einen guten Tag und gute Geschäfte, sie wünschen
       mir einen schönen Sonntag, manche eine schöne Weihnachtszeit. So ist das in
       Neukölln, so ist das in Berlin. Und so ist das schön.
       
       21 Dec 2025
       
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