# taz.de -- Pressefreiheit in Italien: Palästina-Protestierende stürmen Tageszeitung „La Stampa“
> In Turin griffen Demonstrierende die Redaktionsräume der Tageszeitung La
> Stampa an. Die Reaktion der UN-Sonderberichterstatterin Francesca
> Albanese sorgt für Irritationen.
(IMG) Bild: Vor dem Redaktionsgebäude von „La Stampa“ am 28. November in Turin
Es war 13.30 Uhr am letzten Freitag, als sich in Turin rund 100 Menschen
aus dem großen Demonstrationszug lösten. Gleich darauf klirrten am
Hintereingang der Tageszeitung La Stampa die Türscheiben, stürmten die
durchweg jungen Leute die Treppe hinauf zu den Redaktionsräumen, fegten
Blätter und Bücher von den Schreibtischen, riefen „Giornalista terrorista“
(„Journalist – Terrorist“), sprühten Parolen wie „Fuck Stampa“ und „Free
Shahin“ an die Wände – [1][Mohamed Shahin ist ein ägyptischer Imam aus
Turin, der in Abschiebehaft sitzt, weil er vor einigen Wochen das
Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 als Akt des legitimen Widerstands
bezeichnet hatte].
Tausende waren am Freitag auch in Turin auf die Straße gegangen, im Rahmen
des von linken Basisgewerkschaften ausgerufenen Generalstreiks gegen die
Haushaltspolitik der Regierung, gegen die Wiederaufrüstung, gegen den
„Völkermord“ in Gaza. Sie alle hatten friedlich protestiert – bis auf die
100, die am Ende, dank ihrer Vandalenaktion, die Schlagzeilen bekamen.
In der Redaktion hatten sie leichtes Spiel gehabt, denn die war an jenem
Tag verwaist, [2][da auch Italiens Journalist*innen am Freitag
landesweit streikten], für den Abschluss eines neuen Tarifvertrags. 34 der
Täter*innen konnte die Polizei schon dank der Videos der
Überwachungskameras identifizieren; sie waren einigermaßen unbekümmert und
meist ohne jede Vermummung in die La-Stampa-Redaktionsräume eingedrungen.
Viele von ihnen stammen aus dem besetzten Autonomen Zentrum Askatasuna und
aus linksradikalen studentischen Kollektiven. Sie müssen jetzt mit Anklagen
wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung rechnen.
Und sie haben Gegenwind, nicht nur aus der Politik. Von links bis rechts,
von der [3][postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni] über die
Fünf Sterne und die gemäßigt linke Partito Democratico hin zur Alleanza
Verdi-Sinistra (Grün-linke Allianz) hagelte es empörte Kommentare zu dem
Sturm auf die Redaktion. An „faschistische Aktionen“ sah sich der
italienische Journalistenverband FNSI erinnert: an die Zeiten, als
Mussolinis Schergen mit Knüppeleinsätzen und Rizinusöl dissidente Stimmen
zum Schweigen brachten. Auch das stramm linke Journalistennetzwerk
„Nobavaglio“ („Kein Knebel“) fand deutliche Worte: „Eine Redaktion zu
stürmen ist nicht Dissens, sondern faschistische Gewalt. Und es hat nichts
mit den von uns unterstützten Mobilisierungen gegen Genozid und Apartheid
zu tun.“
## Italienische Medien berichten ausführlich über Gaza
Verständnis für die Randalierer gab es nur von einer prominenten Person:
von [4][Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die Lage der
Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten]. „Ich verurteile das
Eindringen in die La-Stampa-Redaktion“, erklärte Albanese zwar, fügte aber
sofort hinzu: Dies sei „auch eine Mahnung an die Presse, wieder ihre Arbeit
zu tun, die Fakten und, wenn sie es denn schaffen, auch ein Minimum an
Analyse und Kontextualisierung wieder in den Mittelpunkt zu stellen“.
Das klingt ganz so, als würden Italiens Medien rund um Palästina und die
Gräuel in Gaza ihren Job schlicht nicht tun. Davon aber kann keine Rede
sein. So breit wie in kaum einem anderen Land berichten sowohl die
Tageszeitungen als auch die TV-Sender über Gaza, räumen Platz auch für
Debattentexte frei, liefern immer wieder jenen Hintergrund, den Albanese
vermisst. So hatte ausgerechnet La Stampa an diesem Montag einen Text der
jüdischen Italienerin und scharfen Israelkritikerin Anna Foa im Blatt, der
Titel: „Die Indignation ist schon zu Ende, die Bomben nicht. Was geschieht,
wenn wir Gaza vergessen“.
Ins Bild fügt sich auch die breite Berichterstattung der italienischen
Medien über die Global Sumud Flotilla, die im September mit über 40 Booten
in See stach, um die Gaza-Blockade zu durchbrechen – [5][auf diversen
Schiffen waren italienische Journalist*innen an Bord, um live zu
berichten]. Ins Bild fügt sich ebenfalls, dass Begriffe wie Genozid oder
auch Apartheid in der italienischen Öffentlichkeit den Weg in den
Mainstream gefunden haben.
Nicht zuletzt ist die UN-Berichterstatterin Francesca Albanese zu einem
wahren Star der in Italien sehr breit aufgestellten Gaza-Protestbewegung
geworden, wird immer wieder als Rednerin zu Veranstaltungen und
Kundgebungen, aber auch als Teilnehmerin in TV-Talkshows eingeladen.
## Albanese in der Kritik
Nicht nur die Kleinstadt Jesi in den Marken, sondern auch Bologna machte
sie im Oktober 2025 zur Ehrenbürgerin, und den Stadträten sowohl von Turin
als auch von Florenz liegen Anträge vor, ihr auch dort diese Auszeichnung
zukommen zu lassen. Und in Reggio Emilia war ihr am 1. Oktober „die erste
Trikolore“ überreicht worden. Eine Ehrung, die ihre Wurzel in der Tatsache
hat, dass die italienische Fahne in den Farben Grün-Weiß-Rot Ende des 18.
Jahrhunderts erstmals in Reggio Emilia gehisst wurde. Doch als während der
Zeremonie der Bürgermeister von dem „grausamen terroristischen Angriff der
Hamas am 7. Oktober“ sprach und die Freilassung der israelischen Geiseln
forderte, wies Albanese ihn zurecht mit ihrer Aussage „der Frieden braucht
keine Bedingungen“, schob dann aber gnädig nach, „ich verurteile den
Bürgermeister nicht, ich vergebe ihm“.
Kurz darauf entschuldigte sie sich für diese Worte. Doch diesmal, nach
ihrem Kommentar zu der Stürmung der La-Stampa-Redaktion, will sie von einer
Entschuldigung nichts wissen, da sie die Gewalt doch schon verurteilt habe.
Damit hat Italiens Öffentlichkeit nicht nur den Fall La Stampa, sondern
auch den Fall Albanese – und auch von links widerfährt ihr diesmal
keinerlei Solidarität. Der Bürgermeister von Bologna geht auf Distanz,
diverse Stadträte aus den Reihen seiner Partito Democratico fordern, die
Ehrenbürgerwürde zu widerrufen.
Turin wiederum hat auch den Fall Askatasuna. Das radikal linke Autonome
Zentrum soll, wenn es zum Beispiel nach dem Stellvertretenden
Ministerpräsidenten und Außenminister Italiens, Antonio Tajani, geht,
umgehend geschlossen werden. Davon aber will Turins Bürgermeister vorerst
nichts wissen. Jedenfalls sollen die Verhandlungen der Stadt mit dem
Askatasuna über eine Legalisierung der Besetzung der vom Zentrum genutzten
Immobilie fortgesetzt werden.
1 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/protest-gegen-drohende-abschiebung-des-turiner-imams-shahin-accg-200310442.html
(DIR) [2] https://www.sn.at/politik/weltpolitik/grossangelegter-streik-italien-188455516
(DIR) [3] /Justizreform-in-Italien/!6125018
(DIR) [4] /Nach-Absage-fuer-Albanese/!6067115
(DIR) [5] /Nahost-Berichterstattung-/!6110281
## AUTOREN
(DIR) Michael Braun
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